Rolands niederwertige Aussagen

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Mehr als eine Woche ist es her, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch durch einige Interview-Aussagen zum Thema „Hartz4“, Langzeitarbeitslose und der Idee, diese durch Arbeitspflicht bei Kommunen zu beschäftigen, für etwas Aufsehen gesorgt hatte. Die Reaktionen waren – wie es auch Koch kalkuliert hatte – breit gestreut von „Recht hat er, endlich sagt´s mal einer!“ bis zu „Was für ein rückständiges, menschenfeindliches Vorhaben!“.
Doch anstatt mich hier mit der sozialpädagogischen oder ökonomischen Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit jener Idee zu beschäftigen, möchte ich einige Gedanken loswerden, die sich in mir seit wie gesagt einer Woche türmen, und die als Reaktion auf den zweiten Teil der kontroversen Aussage entstanden sind:

"Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertiger Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung."

Was meint Koch mit der „niederwertigen Arbeit“? Und warum „im Zweifel“? Ist denn jede Arbeit in „einer öffentlichen Beschäftigung“ niederwertig, oder nur eine zweifelhafte?
Koch meinte natürlich – und er ist nicht der einzige mit diesem Vorurteil – Beschäftigungen wie „In den Strassen Müll aufsammeln“, „Schotter auf dem Gemeinde-Parkplatz nachschütten“ oder „Schülerlotse stehen“. Wohl kaum, dass jemand gezwungen worden wäre, den Bürgermeister-Posten oder die Leitung der öffentlichen Verkehrsbetriebe zu übernehmen.

Warum sollen aber solche Arbeiten „niederwertig“ sein? Weil Roland Koch und ein großer Teil der Bevölkerung (incl. der in Frage kommenden Hartz4-Empfänger) dieses Vorurteil hegt?
Sind diese Arbeiten „niederwertig“, weil sie schlecht bezahlt werden (oder im oberen Fall – gar nicht)? Oder weil sie zu wenig „intellektuell“ erscheinen? Vielleicht weil deren Ausübung und Folgen negative Auswirkungen auf den Arbeitenden und/oder seine Umgebung hätten?

Aus meiner Sicht kann keine Beschäftigung als „niederwertig“ bezeichnet werden, nur weil sie schlecht oder gar nicht bezahlt wird. Nicht nur Müllbeseitigung oder Schneeräumung sind an sich positive Tätigkeiten, sondern auch eine Vielzahl ehrenamtlicher Tätigkeiten, ob beim Roten Kreuz, der Feuerwehr, oder im Sport- und Kulturbereich. Diese sind sehr wertvoll, und werden auch dementsprechend geschätzt – von denen, die sie ausüben, und nicht weniger von denen, die davon profitieren.

Vielleicht ist also eine Tätigkeit „niederwertig“, weil sie zu sehr „körperlich“ oder zu „kopflos“ ist? Auch hier sehe ich im Vordergrund das Ergebnis, nicht die Komplexität einer Aufgabe. Die Arbeit eines Schülerlotsen mag nicht sehr „intellektuell“ und abwechslungsreich sein, doch – sofern gut ausgeübt – bringt sie mehr Sinnvolles zutage als die Tätigkeit vieler Beamten, vieler Marketing-Spezialisten oder auch vieler Schriftsteller.

Ebensowenig kann ich mir vorstellen, dass der hessische Ministerpräsident die Langzeitarbeitslosen zu solchen Arbeiten überreden will, aus denen aus meiner Sicht mehr Schlechtes als Gutes resultiert. Also zum Beispiel zu den Jobs eines Waffenlobbyisten, eines Drogendealers, oder eines Hedge-Fonds-Maklers.

Ist vielleicht eine Arbeit „niederwertig“, wenn sie der Ausbildung oder den Interessen einer Person nicht entspricht? Ich schätze, dass nicht mehr als 5% meiner Bekannten annähernd das tun, wofür sie ausgebildet worden sind und/oder was deren Leidenschaft wäre – und sie sind dabei keineswegs unglücklich, und würden ihren Job nicht als „niederwertig“ bezeichnen. Sie behaupten auch nicht, es wäre der „Traum-Job“. Die meisten haben einen Job, den sie wegen des Geldes ausüben, und daneben eine Reihe von Beschäftigungen, die kein Geld einbringen, ihnen dafür aber Freude und/oder Sinn geben. Sei es die Kunst, der Sportverein, oder aber auch der Haushalt und Kindererziehung.
Ist vielleicht eine meiner „Beschäftigungen“ niederwertig – nur weil sie nicht bezahlt, kaum intellektuell ist, nicht wirklich meinen Hobbys entspricht, und noch dazu zwischen Mitternacht und Frühmorgens stattfindet? Die Beschäftigung namens „Baby in den Schlaf tragen“.
Nein, weil ich einen Sinn darin sehe. (Und nebenbei den Zeitungsausträger bewundere, der um 6:34 bei Eis und Kälte mit seinem Rollwagen durch unsere Strasse irrt.)

Und – weil meine Tätigkeit ein Ergebnis meiner Entscheidung ist. Hier ist der einzige Punkt, wo ich eine Arbeit als „niederwertig“ betrachten kann – wenn sie einem „von oben herab“ aufgezwungen wird. Egal wie gut bezahlt oder wie kreativ dieser Job auch sein kann – wenn man selbst keinerlei Motivation dazu hat, und keinen Sinn in der Arbeit sieht – wird die Arbeit tatsächlich niederwertig, vor allem deren Ergebnis.

Vielleicht hat sich also Roland Koch nicht so sehr im Ton, sondern in der deutschen Sprache vergriffen – und meinte nicht eine „niederwertige“, sondern eine „erniedrigende“ Beschäftigung?
Etwas ironischer sah es ein Kommentator in der Online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, der meinte, mit den Worten „...auch niederwertiger Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung“ würde Koch von den Langzeitarbeitslosen verlangen, Politiker zu werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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