Solidarität mit dem bösen Täter

Krimis Die miesen oder agressiven Vernehmungsmethoden der Polizisten schaffen es regelmäßig in mir das Gefült der Sympathie mit dem Täter oder Verdächtigen zu wecken.

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Deutsche scheinen Krimis zu lieben. Zumindest ist dies mein Eindruck, wenn ich das Fernsehprogramm oder die Zusammenstellung des Angebots im Buchhandel mit anderen Ländern vergleiche, in denen ich bisher gelebt (und dabei ferngeschaut und/oder Buchhandlungen aufgesucht) hatte.

Und auch ich scheine nach über zehn Jahren immer mehr „deutsch“ zu werden – denn durchschnittlich einmal pro Woche erwischt mich ein TV-Krimi auf der Couch. Nicht aus echtem Interesse, Leidenschaft oder Sucht, eher aus Gewohnheit – und dem Wunsch, anderthalb Stunden am Abend meiner Freundin Gesellschaft zu leisten. Vor allem wenn der Kopf „Bitte heute nicht“ zu einem qualitativen schwedischen Familiendrama (ob Bergmann-Klassiker oder was neues) murmelt.

Wahrscheinlich bin ich nicht nur in dieser faulen und platten Gewohnheit des „Abendkrimis“-Absitzens den Deutschen sehr ähnlich. Auch darin, sich weniger der Logik und der Spannung der Handlung zu widmen – als zu meckern.

Nicht nur über die Leistung der Schauspieler oder über ein krudes Drehbuch. Auch nicht immer über den zwanghaften Versuch, aus einem „Tatort“, einem „Polizeiruf“ oder mit „Bella Block“ keinen echten Krimi, sondern eher einen Beitrag zur Gesellschaft & Politik (Alewiten, Tschetschenen-Mafia, Kindesmißbrauch, sozialer Abstieg, Pharmakonzerne etc.) zu konstruieren.

Am ehesten schaffen es die Ermittler, und ihre Art zu arbeiten, in mir irgendwelche Emotionen zu wecken. Diese Emotionen sind meistens – wie die Ermittler – ein Duo. Das eine Gefühl ist das Unverständnis, ja Ärger und Verachtung für die Ermittler. Das zweite – welches daraus folgt – ist eine Sympathie, Anteilnahme, ja Solidarität mit den (vermeintlichen oder nicht) Tätern.

Vielleicht liegt es am Alter – und der „Krimisozialisation“ unter Helden wie Colombo oder H. Poirot. Statt Dirty Harry.

Vielleicht an der Abscheu vor physischer wie psychischer Gewalt und Folter, und der Wertschätzung für Logik, Intelligenz, Aufmerksamkeit und gutes Gedächtnis, manchmal sogar Schlauheit und Rhetorik.

So sehr ich logische, argumentative Umzingelungsgebilde seitens eines Kommissars bewundere, so sehr erzürnen mich miese, schmutzige (rhetorische) Tricks, wie Lügen, falsche Versprechen, ausgedachte Aussagen, Spekulationen, und erst recht Drohungen aus dem Mund des Polizisten.

Und genau in solchen Momenten, als meine Wut und Verachtung über die Vernehmungsmethoden der Ermittler ansteigen, wächst die Sympathie für den verfolgten/verhörten Täter.

Bei jeder lügenhaften rhetorischen Falle des Kommissars – halte ich die Daumen fester für den Verdächtigen – und hoffe auf seine Intelligenz und das Durchhaltevermögen zum Schweigen (was angeblich dessen Recht ist).

In Szenen, als die Polizisten auf den Tisch hauen, Stühle umschmeißen, bedrohliche Körpernähe oder Gebrüll als „Vernehmungswaffen“ ausfahren – möchte ich ihrem Zielobjekt zuflüstern: „Laß dich nicht einschüchtern, halt durch!!“ Genauso wenn im Rahmen von psychischer Folter jemand im Vernehmungsraum stundenlang sitzend warten muss – bevor es wieder mit dem „2-Polizisten-Guter-und-Böser“-Spiel losgeht. Haben die nicht vorhin gesagt, man hätte das Recht zu schweigen?... Weil alles gegen einen verwendet werden kann?...

Und jedes Mal, wenn die Ermittler „so fast zufällig“, „beiläufig“ einen Verdächtigen „mit noch einer kleinen Frage“ stören und verstören wollen, indem sie mitten in sein tägliches Umfeld reinplatzen (zuhause, in der Firma, in der Schule/Verein), schreie ich fast schon: „Laß die doch nicht rein, schmeiß die raus, sag denen: Was erlauben Sie sich???“ Und wundere mich, daß es immer wieder Verdächtige gibt, die sich von dem Spruch „... dann müssen wir Sie auf´s Präsidium vorladen“ einschüchtern lassen. Ja!, tut es doch!!! Dort kann ich mir in Ruhe und Konzentration eure Fragen anhören und Teil eures Spiels sein, abgeschottet, nicht am Familientisch oder vor meiner Schulklasse oder bei der Teamsitzung!... Das Gebäude ist doch nicht Ljubljanka oder Gestapo-Hauptquartier, daß der zu Vernehmende sich ängstigen sollte, da nie wieder (heil) rauszukommen.

Oder doch? Nähern sich die Kommissare in ihren Methoden nicht dem NKWD, dem Gestapo, der Guantanamo-Vernehmungen? Jedenfalls, egal wie viel Dreck am Stecken der Verhörte wirklich hat (oft stellt sich heraus, daß es gar nicht der eigentliche Täter war...) - ich halte zu ihm. Ich solidarisiere mich, zwar ohne seine bösen Taten zu rechtfertigen, doch mit dem Wunsch, die Welle der unfairen, dumpfen, auf Druck und nicht auf Intelligenz aufbauenden Ermittlungsmethoden zu widerstehen. Mindestens durch ein freches, verächtliches Schweigen.

Kommt manchmal vor. Selten, aber doch. Daher gibt es für mich doch immer wieder einen Spannungselement bei den Abendkrimis. Ja! - er schweigt! Ja – er grinst! Ja – sie schmeißt die Ermittler raus!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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