Warum sollen Sportler Vorbilder sein?

Vorbildfunktion Lahm, Drygalla, Tyson & Co. - sollten Sportler Vorbilder sein? Und zwar - nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch außerhalb - oder gar in ihrem Privatleben?

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Der „Fall Drygalla“ bei den Olympischen Spielen in London zieht weiter seine skurillen Kreise – zunächst wird die Sportlerin aufgrund ihres Privatlebens von den Spielen ausgeschlossen, danach beteuert sie in der Presse, nichts mit dem rechtsextremen „Gedankengut“ (meine Anführungszeichen – es fällt schwer dieses Wort im Zusammenhang mit der Nazi-Ideologie so stehen zu lassen...) zu tun zu haben, bedauert die Situation und erzählt sogar von Versuchen, ihren Freund von dieser Ideologie und Umgebung abzubrigen. Mit diesen „Erklärungen“ zieht sie allerdings selbst ihr Privatleben in die (sportliche und nicht nur) Öffentlichkeit.

Aber ich lasse nun Frau Drygalla, ihr Privatleben und ihre Umgebung in Ruhe.

Bleibe aber bei den Nazis. Und zwar denen, die für das Vernichtungslager KZ Auschwitz verantwortlich waren. Hier mussten wiederum vor mehr als einem Monat drei deutsche Fußball-Nationalspieler als „gute“, „verantwortungsbewußte“ Vorbilder dienen – indem sie die Auschwitz-Gedenkstätte im Rahmen der Fußball-EM besuchten. Abgesehen von der etwas seltsamen Wahl der Teilnehmer – außer Lahm nahmen seitens der Mannschaft nur Klose und Podolski teil, zwei „polnische Deutsche“ also, als hätten gerade sie eine Geschichtsstunde verdient – hatte ich bei diesem Besuch das Gefühl, einer geplanten Veranstaltung zuzusehen. Erfreulicher wäre es, wenn Lahm, Klose, Podolski, und auch die sonstigen Kollegen, aus eigenen Stücken, und zwar als ganze Mannschaft, quasi „privat“ - und nicht nur vor der EM – die KZ-Gedenkstätte besucht hätten. Und danach von ihren Eindrücken und Gedanken erzählen würden.

Dies sind zwei absichtlich extrem gewählte und gegenüber gestellte Beispiele – die Hauptfrage, die ich mir stelle ist jedoch: Warum verlangen und erwarten wir von Sportlern etwas mehr als Leistung im Rahmen der von ihnen ausgeübten Sportart? Warum müssen Sportler unsere (und „für die Jugend“...) Vorbilder sein?...

Denn selbst wenn sie in die Vorbildrolle nicht – wie bei Lahm & Co. geschehen - reingezwungen werden, so wird diese – je nach Bekanntheitsgrad des Sportlers – sofort abgerufen, wenn sich der Sportler „nicht vorbildlich“ benimmt. Und zwar nicht nur auf dem Spielfeld – sondern gerade auch im privaten und öffentlichen Leben. Was das Verhalten während eines Wettkampfs oder Trainings angeht, so hat jede Sportart ihre Verhaltensregeln, die zurecht Fairness verordnen und das Gegenteil bestrafen – seien es rassistische, homophobe oder einfach sonst idiotische und beleidigende Beschimpfungen, sei es Gewalttätigkeit oder „Nervenspielchen“. Zurecht, denn – wie im Fall Zidane & Materazzi – jede Aggression, ob verbaler oder physischer Art, führt mindestens zur Verwirrung des Gegners, wenn nicht zur einer Aggressionsspirale.

Man verlangt jedoch von Sportlern auch im Privatleben beinahe unmögliches und unmenschliches – nämlich ein immerwährendes Vorbild zu sein, fast ein Heiliger. Kaum geht was schief – was jedem von uns passieren kann und passiert – hört man Kritiken, Entsetzen, gar Entschuldigungs- wenn nicht gar Rücktrittsforderungen. Zu viel Alkohol, zu viele Frauengeschichten, extravangantes Luxusleben, Autounfälle, etc. etc. Dabei sollten doch alle Riberys, Tysons, Beckers & Co. „...ihre Vorbildfunktion nicht vergessen!...“

Doch, sollten sie. Ich möchte auf jeden Fall keine erzwungenen „Sportler-als-Vorbilder“, weder für mich noch für meine Kinder (die noch keine „Jugend“ sind...). Ich freue mich, wenn Sportler im Rahmen ihrer Sportart nicht nur fair, sondern mehr als fair sind – sei es ein Stürmer, der bei einem anerkannten Tor selber den Schiedsrichter korrigiert, und zugibt, mit der Hand gespielt zu haben. Wie ein Radfahrer, der seine Peloton-Kollegen auffordert, auf andere Konkurrenten zu warten, die einen außergewöhnlichen Defekt hatten. Wie ein Formel-1-Fahrer, der sein Rennen unterbricht, anhält, rauspringt - um einem verunfallten Kollegen (Konkurrenten) unter eigener Lebensgefahr zu helfen. Das sind für mich Vorbilder, menschliche und authentische Vorbilder. Was der Sportler als Mensch in seinem Privatleben macht, ob er sich politisch wie Vitali Klitschko engagiert oder sich wie Balotelli einen neuen Ferrari kauft um diesen sobald zum Wrack zu fahren – das ist Sache dieser Menschen, da kann ich es gut oder schlecht oder egal finden, doch auf keinen Fall sollte ich von ihnen verlangen, ihr Verhalten und Leben meinen Wünschen und Vorstellungen anzupassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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