1933: Auf Feindfahrt

Zeitgeschichte Mit dem Spielfilm „Morgenrot“ über ein U-Boot im Ersten Weltkrieg liefert die Ufa eine Heldensaga ab, die der NS-Propaganda und der Regierung Hitler recht gelegen kommt
Ausgabe 46/2018
Sterben ist ein Sport für Männer: Adele Sandrock, Rudolf Forster
Sterben ist ein Sport für Männer: Adele Sandrock, Rudolf Forster

Foto: United Archives/Imago

Seine Uraufführung feiert der Ufa-Film Morgenrot am 31. Januar 1933 in Essen, umso mehr darf die Reichshauptstadt nicht leer ausgehen. Zwei Tage später wird eine symbolische Berlin-Premiere im Ufa-Palast am Zoo angesetzt. Der neuen Reichsregierung wegen, die sich in der Mittelloge zeigt. Hitler, Hugenberg, von Papen und Goebbels wollen in Augenschein nehmen, wie die Ufa mobilmacht für Heldengedenken und Kriegspathos. Als hätten die Macher von Morgenrot, die Universum-Film AG (Ufa) und Regisseur Gustav Ucicky, geahnt, dass die neuen Schirmherren des deutschen Films ein vaterländisches Melodram über U-Boot-Fahrer im Ersten Weltkrieg zu schätzen wissen. Ohnehin gilt es, Versäumtes nachzuholen.

Nach 1918 verfällt die U-Boot-Waffe vorübergehend kollektiver Amnesie. Der Versailler Vertrag untersagt der deutschen Marine, dergleichen zu besitzen. Den totalen U-Boot-Krieg, wie er ab 1916 unter Bruch des Kriegs- und Seerechts gegen die britische Handelsflotte wie Schiffe neutraler Staaten geführt wurde, als Filmstoff aufzugreifen hieße stets, die Schmach eines erzwungenen Verzichts einzugestehen. So hat das Filmschaffen in der Weimarer Republik an maritimer Kriegsnachlese bis 1930 lediglich das noch ohne Ton produzierte Machwerk Unsere Emden aufzubieten. Morgenrot, im Herbst 1932 mit einem finnischen U-Boot im Finnischen Meerbusen und vor Kiel gedreht, bricht mit der gestörten Erinnerung und hält sich an völkische, teils martialische Vorbilder. Dafür gesorgt hat unter anderem der Schlachtenfilm Tannenberg in der Regie von Heinz Paul. Entstanden 1931 an den Masurischen Seen in Ostpreußen, werden mit der Handlung die Mythen Stahlbad und Schicksalskampf bedient. Für die Familie des Rittmeisters von Arndt, die auf ihrem Gut trotz des Anmarschs der russischen Njemen-Armee aushält, wird die Gefahr aus dem Osten zur Frage von Sein oder Nichtsein. Ähnlich getrimmt wie Tannenberg ist der Streifen Douaumont – die Hölle von Verdun, gedreht ebenfalls von Heinz Paul. In der verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs wird der Sturm auf das französische Fort Douaumont als Kraftprobe für deutschen Heldenmut inszeniert. Über seine Absicht schreibt Paul: „Wir zeigen den unpathetischen Krieg. Seine Helden sind die des Willens und des Martyriums. Die schlichteste Bewährung kämpft ihn, der unsichtbare Opfermut.“ Nicht fehlen darf in den frühen 1930ern der patriotische Alpinismus eines Luis Trenker mit Kriegsdramen wie Berge in Flammen. Die Schlacht zwischen italienischen und österreichischen Gebirgsjägern wird zum archaischen Dekor einer verschneiten Bergwelt, deren Idyll das Staccato der Maschinengewehre zerreißt.

In Filmen wie diesen wird der Krieg zum ästhetischen Schauspiel und verliert seinen Schrecken. „Die Trommel ruft zum Streite, er ging an meiner Seite. Gloria, Viktoria“, gestern, heute, morgen, nie wird, nie darf es anders sein. Das Sterben ist ein Sport für Männer, denen das Heroische im Blut liegt. Es wird verdrängt, was Krieg in Wirklichkeit bedeutet – ein Sterben, das ein Krepieren ist, die Verzweiflung der Familien zu Hause, die Frage nach der Schuld an der nie versiegenden Blutlache. Tannenberg und Douaumont wirken wie Todesboten, denen es verboten ist, vor dem Tod zu warnen. Vielmehr wird ungerührt das „Dulce et decorum est pro patria mori“ („Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben“) beschworen, von dem man 1918 glaubte, es sei als so verlogen entlarvt, dass die Phrase niemanden mehr rührt oder gar verführt.

Auch Morgenrot huldigt dem Hurrapatriotismus, doch schimmert bei aller Ergriffenheit ein Hauch von Ambivalenz durch. Die Fabel beginnt Anfang 1916 mit dem Auszug von drei U-Boot-Männern aus dem heimatlichen Meerskirchen: Kapitänleutnant Liers, Oberleutnant Fredericks, Bordfunker Jaul. Liers’ Mutter – zwei ihrer Kinder blieben schon „im Feld“ – darf den Sohn, als der seine gefallenen Brüder als Heroen des Vaterlandes glorifiziert, mit dem Satz zurechtweisen: „Das ist wohl so ’ne neumodische Religion.“ Und während bald darauf die Meerskirchner in trunkenem Rausch die Nachricht feiern, dass „ihr U-Boot“ einen englischen Frachter versenkt hat, driftet „Frau Majorin“ jählings ins unverkennbar Defätistische: „Ich freue mich, dass die Leute auf dem Boot meines Jungen gesund sind, aber einen Grund zum Stolzsein gibt es da nicht. Sie haben ihre Pflicht getan, und die Pflicht war eine bittere. Warum soll man sich freuen, wenn dabei wer weiß wie viele Menschen ihr Leben geopfert haben, die auch ihre Pflicht erfüllten? Wir wollen Gott danken, dass wir diesmal nicht Leid zu tragen haben.“

Sollte der Kriegsgott gemeint sein, so ist der unberechenbar. Bei der nächsten Feindfahrt gerät Kommandant Liers in eine als Zweimastsegler getarnte U-Boot-Falle der Engländer, die mit einem Zerstörer zur Stelle sind, um zu schießen, zu rammen, zu versenken. In 60 Metern Tiefe wird der Todesengel so vieler torpedierter Handelsschiffe zur Todesfalle für Liers und die Seinen. Sie haben den Krieg zur heiligen Pflicht erklärt, ist es nun ihr Opfer erst recht? Mehrere Besatzungsmitglieder sind offenbar ertrunken, als wegen eines Lecks im Bug die Schotten geschlossen wurden. Die Überlebenden sitzen im Bootsrumpf fest. Liers – so verwegen wie versonnen gespielt von Ufa-Star Rudolf Forster – ruft Namen ins Dunkel einer Bordwand, hinter der Wasser gurgelt und gluckst: „ Jaul, hier, Zimiak hier, Kassecker … Lievering … Böhme … Juraczik hier, Garlett … Hennig ... Petermann hier, Weller … Kühnert … Siebelmann hier, Ladewig … Tetzler, hier, Fiontek … Zacharias … Busse … Jäckel … Löringbach … Böhm, hier, Tessmann, hier.“

Acht antworten, dreizehn schweigen. Mit Liers und Oberleutnant Fredericks sind zehn übriggeblieben, für die es acht „Tauchretter“ gibt. Acht könnten damit nach oben, aber alle wollen unten bleiben, sodass Liers zur großen Apotheose ausholen kann: „Zu leben verstehen wir Deutschen vielleicht schlecht, aber sterben können wir jedenfalls fabelhaft.“ Einer übertrifft ihn, Oberleutnant Fredericks: „Ich könnte zehn Tode sterben für Deutschland, hundert ...“ Es reicht dann, dass er den einen – seinen – Tod stirbt, zusammen mit dem Matrosen Petermann, beide erschießen sich. „Sie sind gestorben, damit wir leben“, rundet Kommandant Liers die Szene ab, um sich anschließend schwülstiger Todessehnsucht zu ergeben. „Schlaft gut, ihr Lieben. Und wir? Wir müssen fahren, solange wir noch einen Finger krumm machen können. Wieder auf dem Boot und wieder und wieder, bis uns der liebe Gott beurlaubt.“

So viel zur moralischen Aufrüstung in den Ufa-Ateliers von Babelsberg, so viel zum Vorgriff auf den nächsten Waffengang, von dem 1933 das Publikum des Films Morgenrot nicht ahnen dürfte, dass er sechs Jahre später fällig ist. So viel zum Werk einer Ideologiefabrik, die dem NS-Regime seinen ersten Propagandafilm serviert, aber nie ernsthaft daran gedacht hat, Erich Maria Remarques Antikriegsroman Im Westen nichts Neues zu verfilmen, dies lieber den Universal Studios in Los Angeles überlassen hat. Auf die Wölfe hören und wissen, wie man heult.

Ist 1932/33 wirklich schon in Vergessenheit geraten, wie sehr Heldentum und Heldenbegriff in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges ad absurdum geführt wurden? Morgenrot hilft nach, dass als Abenteuer erscheint, was ein Abgrund war. Am Ende vermelden die Meerskirchner Nachrichten die Rettung der acht Überlebenden, und die Meerskirchner Frauenschaft steht am Gleis, um Soldaten in einem Zug zu versorgen, der zur Westfront unterwegs ist. Dazu eingespielt wird diesmal nicht „Muss i denn zum Städtele hinaus“, das den Auszug der U-Boot-Männer ummantelt hat, sondern der Schlachtruf: „Denn wir fahren gegen Engelland!“

Das NS-Blatt Völkischer Beobachter bedenkt die Ufa mit einem Lob: „Der zeitlose Wert von ‚Morgenrot‘ liegt in seiner kompromisslosen Wiedergabe dessen, was war, was ist und was wieder sein wird – des Krieges.“

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