Frank-Walter Steinmeier, den man als Misanthrop erleben konnte, wenn er vor den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Guantanamo-Haft des Deutsch-Türken Murat Kurnaz geladen war, hat in sich den Philanthropen endeckt. Er will Guantanamo-Häftlingen, die unschuldig interniert waren, in Deutschland ein Asyl bieten. Wie viel Jahre wären dem unschuldig festgehaltenen Kurnaz erspart geblieben, wie viel Angst von seiner Familie in Bremen genommen worden, hätte Steinmeier schon früher die humanitäre Glut in sich zum Lodern gebracht. Warum musste er als Kanzleramtsminister nur so brachial ersticken, was an Menschenliebe in ihm steckt? Nun aber ist er kaum noch zu bremsen in seinem missionarischen Furor. Woher dieser Sinneswandel? Kann Kurnaz mit einer Entschuldigung des Mannes rechnen, der ihr nicht haben wollte, als ihn die Amerikaner nicht mehr haben wollten?
Man erinnert sich unwillkürlich der „bedingungslosen Solidarität“ zu Amerika, die Steinmeiers Parteifreund Gerhard Schröder nach 09/11 gegenüber den USA verkündete. Als Kanzler solidarisierte der sich seinerzeit mit dem Amerika von Georg Bush und dessen „Krieg gegen den Terror“, der Straflager wie Guantanamo erst möglich machte. Steinmeier solidarisiert sich heute mit dem Amerika von Barack Obama, das Guantanamo als das erkannt hat, was es ist. Das Lager ist nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch eine vorzügliche Motivationshilfe für al-Qaida und andere islamistische Terrororganisationen. Springt Steinmeier bei Obama so entschlossen aufs Trittbrett, sucht er nach einem Platz auf der sich formierenden „Achse des Guten“, ist das Kalkül offensichtlich. Er spekuliert entweder auf das schlechte Gedächtnis seines Publikums oder auf die resignative Fassungslosigkeit, mit der eine prinzipienlose opportunistische Politik hierzulande inzwischen quittiert wird.
Aber dieser Außenminister hat eben die Zeichen der Zeit erkannt. In einem Augenblick, da die amerikanische Politik so etwas wie die Rückkehr zur Vernunft signalisiert, wollte Steinmeier auch ein Signal aus Berlin nach Washiungton geben. Im Schatten des beginnenden Bundestagswahlkampfes kann zudem der Konflikt mit Innenminister Schäuble, der nicht wie Steinmeier den Epikureer des Guten geben will, von Vorteil sein. Die Kanzlerin wird Farbe bekennen müssen. Ihr Vizekanzler treibt sie in die Alternative zwischen humanitärer Geste und inhumaner Verweigerung. Da Partei zu ergreifen, das ist nicht nur koalitions- und innenpolitisch aufgeladen, sondern auch außenpolitisch brisant, weil im Hintergrund eine der ersten substanziellen Entscheidungen des neuen US-Präsidenten steht. Steinmeiers Instinkt fürs Zeitgeistige, seine Lust auf Anpassung – sie mögen alle Zweifler eines Besseren belehren: Dieser Mann ist bestens geeignet als Kanzlerkandidat der SPD. Derzeit gibt es kaum einen, der besser zu dieser Partei passt.
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