Für NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen besteht Handlungsbedarf, ein neues strategisches Konzept der NATO sei überfällig. Die Welt habe sich verändert, besonders seit dem 11. September 2001, die NATO als Bündnis notgedrungen auch. „Wir brauchen eine Strategie, um die heutige Wirklichkeit wie die Herausforderungen von morgen widerzuspiegeln“, gab er Mitte der Woche in Brüssel zu verstehen. Und das hatte seinen Grund. Zum ersten Mal hat sich dort jenes Gremium konstituiert, in dem alle 28 NATO-Botschafter unter dem Vorsitz der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright über ein neues Konzept befinden sollen.
In einer Zeit, da man zu Anti-Piraten-Operationen im Indischen Ozean unterwegs ist, die Sicherheit der internationalen Handelsrouten als veritables Problem von morgen begreift, da atomare Newcomer wie Nordkorea ihre nationale Sicherheit an die nukleare Option binden und in Afghanistan das Prestige wie der Siegeswille der Allianz gefragt sind wie noch nie – ist guter Rat teuer. Wenn sich der als zu teuer erweist, sollte wenigstens der „Rat der Weisen“ wohlfeil zu haben sein. So nämlich nennt sich die Albright-Runde, die für die nächsten Monate Definitionsmacht über eine NATO des 21. Jahrhunderts beansprucht. Die Reformatoren wären allerdings gut beraten, wollten sie sich vor Augen halten, wie die gültige NATO-Strategie zustande kam. Vor allem, welche Konsequenzen damit heraufbeschworen wurden.
Die Entscheidung darüber fiel Anfang April 1999 auf dem NATO-Gipfel in Washington, als Tag für Tag und Nacht für Nacht NATO-Jets aufstiegen, um die damalige Bundesrepublik Jugoslawien kapitulationsreif zu bomben. Unter den Bedingungen der globalen Einpolarität wurde der Krieg wieder als legitimes Mittel der Politik in seine zweifelhaften Rechte eingesetzt. Es setzte sich fort, was 1989/90 begonnen hatte, als die Nachkriegsordnung Europas ihren Abschied nahm und dies auch mit der Revision von Grenzen verbunden war. Im Frühjahr 1999 geschah das erstmals gewaltsam. Die Abtrennung der Provinz Kosovo von Jugoslawien, die 2008 zur Unabhängigkeit führte, war nur durch das militärische Übergewicht der NATO möglich. Ein Sündenfall für die Allianz, mit dem das Recht auf Selbstverteidigung durch den Willen zum Angriff ersetzt wurde. Seither sind Out-of-Area-Einsätze, Operationen ohne UN-Mandat und höchst eigenwillige Auslegungen des Völkerrechts bündnisintern kein Streitfall mehr, sondern Selbstverständlichkeit. Doch ist die Welt nicht sicherer geworden, weil sich die NATO als globale Sicherheitsagentur empfindet, um ein für allemal die zeitweilige Sinnkrise der neunziger Jahre überwunden zu haben. Die Albright-Kommission wird dem seither eingeschlagenen Weg nicht abschwören wollen. Wofür schon die politische Vita der Vorsitzenden bürgt, sie war die Außenministerin Bill Clintons, der den Jugoslawien-Krieg entscheidend zu verantworten hatte.
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