Angela Merkel hat beim heutigen Gipfel in Berlin nicht nur das Hausrecht. Sie kann auch den taktischen Vorteil auskosten, dass Präsident Medwedjew 24 Stunden vor seiner ersten Begegnung mit Barack Obama nichts weniger braucht als die üblichen Hakeleien im deutsch-russischen Verhältnis. Er wird mit jeder Geste den Gesandten der genesenen Weltmacht geben.
Russlands Regeneration nach einem Jahrzehnt Jelzin-Chaos ist weitgehend abgeschlossen und mündet in die nachholende weltpolitische Emanzipation. Eine konsequente Außenpolitik unter der Präsidentschaft Wladimir Putins hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Die Russische Föderation ist wieder ein Partner mit Kontur, auf den Deutschland schon wegen des Energietransfers angewiesen ist. Angela Merkels kürzliche Regierungserklärung zu 60 Jahren NATO ließ erkennen, dass man sich damit nicht nur arrangieren, sondern Politik machen will, um die westliche Allianz von antirussischer Obsession und anachronistischer Feindbild-Pflege zu befreien. Weitsichtige Politiker des Westens wie Charles de Gaulle, George Pompidou oder Willy Brandt wussten schon vor Jahrzehnten, dass man sich der Partnerschaft im Osten versichern sollte, um für Partnerschaften im Westen Statur und Spielraum zu gewinnen.
Die derzeitige Kanzlerin hat daran nur bedingt anknüpfen wollen. Man hoffte vergeblich auf eine neue Ostpolitik der großen Koalition. Stattdessen erlebte man beim Georgien-Konflikt im August 2008 den Rückgriff auf absurde Täter-Opfer-Schablonen. Merkel legte gegenüber Medwedjew und Putin häufig eine pädagogisierende Art an den Tag: Ihr in Russland müsst Demokratie noch lernen, lautete die Botschaft und war das Übliche – die zum Selbstlob des Westens nach 1990 gepflegte Entmündigung des Ostens. Dies sorgte in Moskau stets für gebremstes Entzücken und wurde weniger als Entwicklungshilfe denn als Anmaßung empfunden. Die ist hierzulande weit verbeitet und kommt nicht selten von Leuten, die sich in der Anbetung Gorbatschows gern gegenseitig überbieten, aber völlig übersehen, dass Glasnost und Perestroika nicht die einsame Botschaft eines Wendigen, sondern Resultat der Massenbewegung eines zur Wende gedrängten Volkes waren.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht im deutsch-russischen Verhältnis nicht um einen Interessenabgleich schlechthin, sondern um die Anerkennung der Gleichrangigkeit unterschiedlicher Interessen. Russland scheint gerade dabei, sein Verhältnis zur Welt wie folgt zu definieren: Soviel Nähe zum Westen wie nötig, soviel Abstand wie möglich. Eine der Quellen für Schwierigkeiten im Umgang mit Europa lag schon im 19. Jahrhundert in einem Gefühl der Minderwertigkeit, das auf Misstrauen in die Kraft der eigenen Kultur ebenso zurückzuführen war wie auf das mangelnde Vertrauen in das Recht auf eine vorsichtige, nicht überstürzte Modernisierung. In gewisser Weise war nach 1917 der einsame Übergang zum Sozialismus ohne Partner in Westeuropa und unter Umgehung des entwickelten Kapitalismus ein Resultat dieser Lage.
Die Willkür der „Radikalreformer“ hat nach 1990/91 das Land erneut unter den Pflug genommen, so dass der Boden für vieles bereitet wurde, nur nicht für einen wirklichen Fortschritt. Erst Putin hat dem Einhalt geboten. Es wäre an der Zeit, dass die deutsche Politik dies anerkennt und zu schätzen weiß, was sie an einem stabilen russischen Partner hat.
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