Aufgelockerte Bewölkung

KOMMENTAR Waffen-Kompromiss für Nordirland

Tony Blair und Irlands Premier Bertie Ahern haben dem Nordirlandprozess wieder Leben eingehaucht. Sie wollen ab sofort nicht mehr die Waffen, sondern lediglich die Waffenlager der IRA sehen - statt Übergabe also Inspektion.

Warum bloß war nicht schon vor dem 11. Februar, als die gerade zwei Monate amtierende Autonomie-Regierung von London suspendiert wurde, ein derartiges Agreement möglich? Regelmäßig die Depots der IRA und anderer paramilitärischer Korps zu überprüfen oder gar zu versiegeln, das scheint alles andere als ein Geniestreich, eher ein vernünftiger Kompromiss, der schon andernorts in ähnlicher Lage aus dem Dilemma half. Er verzichtet auf jene ultimative Nötigung, die den Republikanern stets ein Alles oder Nichts androht: Entweder Entwaffnung oder Ausschluss vom Friedensprozess.

Es mag sein, dass Tony Blair, als er seinerzeit die Proporz-Exekutive von Belfast wieder entließ, auf das radikale Störpotenzial in der Ulster Unionist Party (UUP) seines Ersten Nordirland-Ministers Rücksicht nehmen wollte. Jedes Abweichen vom kategorischen Demilitarisierungsgebot gegenüber der IRA schien geeignet, David Trimble weiter zu demontieren. Doch Blairs Konzessionen an die Hardliner zahlten sich - erwartungsgemäß - nicht aus. Die Gegner des Karfreitagsabkommens witterten Morgenluft. Nicht zufällig sieht sich Trimble derzeit in der Person des UUP-Unterhausabgeordneten Martin Smyth mit einem ehrgeizigen innerparteilichen Herausforderer konfrontiert. Der punktet nahezu mühelos, je länger der Friedensprozess blockiert bleibt. Als Smyth auf dem UUP-Kongress Ende März in Sachen Reform der noch immer unionistisch dominierten nordirischen Polizei Trimble mit 384 gegen 338 Delegiertenstimmen eine schmerzliche Niederlage beibrachte, schrillten in London die Alarmglocken und klangen wohl wie ein Totengeläut für das Karfreitagsabkommen. Blair weiß nur zu genau, dass sich die UUP unter anderer Führung klar davon absetzen und andere protestantische Parteien in ihren Sog ziehen wird. Insofern kommt die jetzige Neudefinition des decommissioning einem Befreiungsschlag gleich. Er reflektiert nicht zuletzt auch die Verärgerung, die es in Dublin über die starre Position der britischen Regierung gibt. Was dabei überrascht, ist der konziliante Ton, mit dem die Sinn Féin Partei von Gerry Adams auf die gefundene Kompromissformel reagiert. Republikaner und Unionisten sollten künftig gleichberechtigt nach ihren Zielen streben dürfen, sagt sie ungeschminkt. Im Klartext wird damit die Legitimität eines loyalistischen Anspruchs auf Bindungen an Großbritannien eingeräumt, was wiederum nur Verzicht auf die Einheit der irischen Nation bedeuten kann. Soweit waren die Republikaner noch nie - und soweit werden sie nie wieder sein, sollten die Unionisten wieder auf Boykott schalten.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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