Das Protektorat marschiert

Berliner Afghanistan-Konferenz Kommentar

Sollte Präsident Karzai tatsächlich noch 2004 Wahlen abhalten lassen und gewinnen - was wird sich ändern dadurch? Besitzt Afghanistan danach eine zentrale Macht, deren Autorität sich die Provinzen nicht länger entziehen können? Werden die bewaffneten Formationen lokaler Potentaten und Warlords demobilisiert? Kann Drogenanbau und -transfer wirkungsvoller begegnet werden, als es augenblicklich der Fall ist? Gibt es gar einen Abzugstermin für die Amerikaner, die sich dazu durchringen, dem Land seine Souveränität als Staat zurückzugeben? Ausnahmslos rhetorische Fragen, bei denen nicht einmal ins Gewicht fällt, ob sie heute oder ihn fünf Monaten gestellt werden.

Die Berliner Afghanistan-Konferenz hat insofern eines bestätigt: Wird ein Staat von der Beschaffenheit Afghanistans über einen längeren Zeitraum hinweg als von außen alimentiertes Protektorat unterhalten, ist dieses Gebilde irgendwann nur noch lebensfähig, wenn sich an diesem Status nichts ändert. Ein Protektorat lässt sich halten, solange es protegiert wird. Der von Karzai in Berlin präsentierte Finanzbedarf für den Wiederaufbau in Höhe von etwa 28 Milliarden Dollar übersteigt das staatliche Investitionsvolumen wirtschaftlich nicht völlig ausgelaugter Staaten wie Algerien oder Südafrika, die Selbiges weitgehend aus eigenen Ressourcen bestreiten, erheblich. Afghanistan ist dank der Jahrzehnte von Zerstörung und Selbstzerstörung nicht einmal in der Lage, ein Fünftel der genannten 28 Milliarden aus eigener Kraft aufzubringen, es sei denn, man wollte sich dazu entschließen, am Drogenmarkt zu verdienen. Aber ein Staat ohne ökonomischen Unterbau ist kein Staat und hängt buchstäblich in der Luft. Die Frage, ob damit ein befristeter Sanierungs- oder permanenter Versorgungsfall vorliegt, dem sich eine interessierte Staatengemeinschaft aus Eigennutz nicht entziehen kann, wird heute von den Prioritäten des Anti-Terrorkampfes überlagert. Verbindlich beantwortet werden kann sie nicht.

Schließlich besteht ein Ergebnis des Berliner Treffens auch darin, dass die NATO ihre sogenannten Wiederaufbau-Teams (PRT) aufstockt und vermehrt in die afghanischen Provinzen disloziert. Karzais Nation Building bedarf des militärischen Stützkorsetts von außen, was Provinz- und Clan-Führern viel Raum zur Abwehr derartiger Ambitionen gibt - gestützt auf die ethnischen Kollektive, aus deren Mitte heraus sie aktionsfähig sind. Hier gilt Gleiches wie für die ökonomische Hilfsbedürftigkeit. Je länger Nation Building nur dank Fremdintervention möglich ist, desto größer die Gefahr, dass sich der Widerstand dagegen massiert und in den Taleban - vorzugsweise im Süden - willige Vollstrecker findet, desto höher dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die NATO ihr ISAF-Kontingent stetig vergrößert. Man will ja nicht in das Jahr 2001 zurück. Es wäre kühn, Afghanistan als Modell zu deuten - aber wer sagt eigentlich, dass solcherart Protektorate nicht zur vorgestrigen Zukunft einer hierarchisch geprägten Staatengemeinde zählen?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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