Die Getreuen Allahs

Hamas Sie wird immer wieder als unnachgiebig wahrgenommen, doch hat es in den letzten Jahren durchaus Momente gegeben, in denen Hamas zu Kompromissen mit Israel bereit war

Erinnern wir uns: Noch unter der Führung des Premierministers Ariel Sharons hatte Israel entschieden, Frieden mit den Palästinensern sei nicht möglich. Begründung: Mit Hamas wolle ein Wortführer der palästinensischen Community keinen Frieden, sondern ein islamisches Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer. Der Arafat-Nachfolger Mahmud Abbas als Präsident der Autonomiebehöre zwar dagegen und wolle vielleicht Frieden, aber er sei zu schwach, um für die Sicherheit zu sorgen, die Voraussetzung für einen Frieden sei. Israel müsse darum eine unilaterale Lösung anstreben: die Westbank zerstückeln, die Lücken in der Sperranlage schließen, das abgetrennte Land in Besitz nehmen, den geräumten Gazastreifen sich selbst und seinem Elend überlassen, wie das mit dem Abzug im August 2005 denn auch geschah.

Dass sich Hamas dem nicht unterwerfen würde, war klar. Andererseits deutete schon vor den Wahlen in den Autonomiegebieten im Januar 2006 vieles darauf hin, dass diese Organisation den bewaffneten Kampf einstellen würde, wenn Israel ernsthafte Gespräche über einen souveränen Staat Palästina mit der "Grünen Linie" als Grenze – sprich: den Grenzen vom 4. Juni 1967, als der Sechs-Tage-Krieg begann – nicht länger im Wege steht. Von der Zerstörung Israels und der Errichtung eines Staates Palästina auf dem gesamten Territorium westlich des Jordan war Anfang 2006 im Hamas-Wahlprogramm jedenfalls nicht mehr die Rede. Möglicherweise war das noch nicht ausreichend für eine substanzielle Neuordnung der Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern.

Bei Bedarf auch Verrat am Willen Gottes

Nimmt man jedoch die mit dem Wahlsieg von Hamas verbundene Option für eine Erneuerung des politischen Systems der Palästinenser, wie das von außen immer wieder gefordert hinzu, stellt sich das anders dar. In der Gründungscharta der Hamas hatte das noch anders geklungen. Dort hieß es, man wolle „die Fahne Allahs über jedem Zoll von Palästina" aufziehen. Die Begründung dafür lautete, das Gebiet, auf dem sich Israel befinde, sei als Waqf, als göttliches Vermächtnis zu betrachten, das niemals Nicht-Muslimen überlassen werden dürfe. Das Kampf um dieses Gebiet sei deshalb eine religiöse Pflicht – fard-ain eines jeden Muslims. Noch 1993 hatte Hamas deshalb die Oslo-Verträge zwischen Israel und der PLO als „Verrat am Willen Gottes“ abgelehnt. Doch immer wieder wurde nicht zuletzt aus taktischen Erwägungen von diesem programmatischen Fundament abgewichen. Etwa 2004, als die Hamas-Führung einen immerhin zehnjährigen Waffenstillstand gutheißen wollte, sollte sich Israel aus allen 1967 eroberten Gebieten zurückziehen, womit man sich im Übrigen auf einer Linie mit Forderungen befand, wie sie in diversen UN-Beschlüssen erhoben wird, unter anderen den Resolution 242 und 338.

Die Hamas war in den achtziger Jahren aus der Moslem-Bruderschaft hervorgegangen und hatte sich allein auf moralische und soziale Hilfe für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten konzentriert. Sie fand sich von Israel toleriert und in Maßen gefördert, weil sie als Gegengewicht zur weltlich orientierten Fatah von Yassir Arafat betrachtet wurde. Von Yacob Peri, dem Chef des damaligen israelischen Inlandsgeheimdienstes, ist der Satz überliefert: „Wir haben sie nicht geschaffen, aber wir behinderten auch ihre Entwicklung nicht.“ Als geistiges Zentrum der Hamas galt in jener Zeit die Islamische Universität in Gaza, die schließlich auch der Ort war, an den sich Hamas erstmals als kämpfender Arm der Muslimbruderschaft in Palästina definierte und einen "fortwährenden Dschihad" verkündete. Noch Anfang der neunziger Jahre wurde die PLO als „Vater, Bruder, Verwandter und Freund der islamischen Bewegung“ bezeichnet, mit der man den gleichen Feind, das gleiche Schicksal und die gleichen Ziele teile, wie es hieß. Indirekt war damit das Angebot verbunden, durch das eigene seelsorgerische Wirken und die übernommene soziale Mission die PLO mit ihrer Kernorganisation, der Fatah, zu entlasten. Mit diesem zunächst ungetrübten Verhältnis war es vorbei, als die Hamas mit einer Zwei-Drittel-Majorität die Wahl am 25. Januar 2006 gewann und das tat, was Wahlsieger über all auf der Welt nach einem solchen Votum zu tun pflegen – sie wollte regieren. Eine klare Mehrheit wollte Hamas nicht mehr ante portas, sondern pro domo.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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