der Freitag: Bereuen Sie Ihren Entschluss, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren?
Jan van Aken: Ganz und gar nicht.
Warum?
Weil es politisch richtig ist. Eine Erkenntnis dieser acht Jahre lautet, man muss es irgendwie hinkriegen, dass dieser Bundestag zu einem besseren Abbild der Menschen außerhalb des Parlaments wird. Stattdessen hatte ich immer das Gefühl, dass der Bundestag für viele Abgeordnete als Karriereziel gilt. Ist das erreicht, wird vier Jahre lang daran gearbeitet, wiedergewählt zu werden. Ich denke, wenn man die Parlamentszeit auf acht Jahre begrenzt, kriegt man dieses Karrieredenken weg.
Weil man sich in der zweiten Legislatur nicht mehr um die Wiederwahl kümmern muss.
Nicht nur das. Die Leute müssen auch keine Angst mehr haben, ihren Fraktionsführungen zu widersprechen, was gerade in den Regierungsparteien verpönt ist. Würde der ganze Fraktionszwang schwinden, müsste im Parlament anders um Mehrheiten gekämpft werden – es gäbe völlig andere Debatten. Unterm Strich ist das im Bundestag ein Job, der einen so zum Schlechteren verändert, dass es für die eigene Psyche ganz gut ist, nach acht Jahren aufzuhören.
Zum Schlechteren inwiefern?
Um das im Extrem zu sagen: Ich habe Abgeordnete erlebt, die sind 2013 zum ersten Mal reingewählt worden und taten schon nach einem Jahr so, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Sie redeten ewig lange über Zeug, von dem sie nichts verstanden.
Zur Person
Jan van Aken (56) ist Biologe. Er hat für Greenpeace und 2004 – 2006 für die UNO als Biowaffeninspekteur gearbeitet. Von 2012 – 2014 war er einer der stellvertretenden Parteichefs der Linken und zuletzt deren Sprecher für Außenpolitik im Bundestag
Ziehen Sie sich als aktiver Politiker zurück?
Keineswegs, ich mache seit 1977 aktiv Politik.
Dann als aktiver Parteipolitiker der Linken?
Nein, ich bleibe weiter im Parteivorstand.
Wie viel hat dieses Ausscheiden mit Ihrer Fraktion zu tun?
Nix. Ich habe mich dazu schon im Frühjahr 2013 entschlossen – also vor der Wahl 2013 – und das öffentlich auf dem damaligen Parteitag in Hamburg mitgeteilt.
Sie traten 2007 in die Linkspartei ein und haben sich dann 2009 bis 2011 als Fraktionsvize sofort profiliert. Wie kamen Sie so schnell in diese Verantwortung?
Das weiß ich auch nicht. Ich war 2009 noch gar nicht im Bundestag, als mich die alte Fraktionsführung anrief und fragte, ob ich den Arbeitskreis Internationales leiten und stellvertretender Fraktionschef werden wolle. Ich glaube, das Angebot kam zustande, weil andere Leute verhindert werden sollten und mich meine vorherige Arbeit empfahl. Aber ich habe diese Funktion dann von mir aus nach zwei Jahren aufgegeben.
Weshalb?
Viel Arbeit ist nicht mein Problem, aber ich bin in der konkreten Kampagne besser. Ich hatte einfach das Gefühl, wenn ich als Abgeordneter meine ganze Kraft in das Thema Waffenexporte lege, kann ich mehr bewegen. Diese Führungsebene – das war nicht meins. Insofern resultierte mein Rückzug mehr aus einer Einschätzung persönlicher Stärken und Schwächen.
Warum gingen Sie 2007 nicht zu den Grünen?
Das fragen mich alle. Nur weil Greenpeace, für das ich gearbeitet habe, das „grün“ im Namen hat? Die Grünen waren mir – bis auf die Zeit, als Trampert, Ebermann und Jutta Ditfurth die Partei führten – immer schon zu unsozial. Ich habe sie als Reiche-Mittelstandskinder-Partei wahrgenommen, bei der nie klar war, warum sie nicht mit der FDP fusionierte. Für mich war die soziale Frage stets sehr wichtig, also waren das nicht meine Leute.
Es gab ja 2009/2010 eine schwierige Lage in Ihrer Fraktion. Oskar Lafontaine zog sich krankheitsbedingt zurück, es gab Querelen …
... und eine Situation, in der Gregor Gysi öffentlich von Hass redete, der ihm aus Teilen der Fraktion entgegenschlage. Es gab schon eine aufgeheizte Stimmung, die mich als Neuling eher unerwartet traf. Aber es bildete sich dann in der Fraktion diese Mittelgruppe, der es gelang, die Ränder einzuhegen. Und an der war ich beteiligt.
Sie müssen mehr als nur beteiligt gewesen sein. Immerhin wurden Sie, als sich Gregor Gysi vom Fraktionsvorsitz zurückzog, als alternative Führung zu Wagenknecht und Bartsch gehandelt. Wollten Sie das?
Meine Position war eher: Ich muss dieses Amt nicht haben, mir ist das Privatleben wichtig, ich hatte damals zwei Kinder in der Schule, ein drittes in der Ausbildung.
Hatten Sie genügend Rückhalt in der Fraktion?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Die Entscheidung fiel schon 2013, als sich abzeichnete, dass Gregor Gysi nach der Hälfte der Legislatur aufhört. Da hätte ich wieder für den Vizefraktionsvorsitz kandidieren können, um sein Nachfolger zu werden, habe mich aber dagegen entschieden.
Welche Rolle hat es gespielt, dass Oskar Lafontaine nach seiner Erkrankung nicht wieder an die Parteispitze zurückkehrte?
Kann ich schwer einschätzen. Fest steht, er hat viele überzeugt, die sich von anderen in der linken Spitze nicht so richtig vertreten fühlten. Alles andere bleibt Spekulation.
Wollte sich die Partei von ihm emanzipieren?
Ich beantworte das einmal so: Ich zählte mit Katja Kipping, Thomas Nord und anderen zu denen, die 2012 auf dem Parteitag in Göttingen einen Mittelweg eingeschlagen haben, um die Machtkämpfe alter Männer zu durchbrechen. Da war am Ende dann doch zu viel Ego im Spiel. Es ging weniger darum, sich von Lafontaine zu emanzipieren, als darum zu sehen, dass da zwei Züge mit voller Geschwindigkeit aufeinander zurauschten.
Welche Züge?
Bartsch und Lafontaine. Beide suchten händeringend eine Frau, die mit ihnen zusammen die Parteispitze bilden würde.
Worin bestand der politische Konflikt?
Ich weiß gar nicht, was daran so politisch war. Ich glaube, es ging um Ego und Macht.
Wie ließ sich das entschärfen?
Am Ende durch die Entscheidung des Parteitages, eine ganz neue Parteiführung zu wählen – Katja Kipping und Bernd Riexinger.
Lassen Sie uns über Rot-Rot-Grün reden. Machen es Trump und seine Bündnisskepsis für Sie leichter, die Bündnisräson der SPD in Sachen NATO in Frage zu stellen?
Nein, und wenn das so wäre, fände ich das schlecht. Ich möchte den nationalistischen Ansatz von Trump gegenüber der NATO überhaupt nicht mit unserer Kritik an der NATO verglichen wissen. Das sollte man auch nicht taktisch ausnutzen, das ist purer Nationalismus, und der ist kriegsgefährlich.
Aber am Dissens mit der SPD über die NATO ändert das nichts.
Falls es rechnerisch reicht für Rot-Rot-Grün, dann wird über eine Koalition verhandelt, das ist für mich überhaupt keine Frage –, dabei wird die NATO-Frage nicht entscheidend sein. Wir haben ein Grundsatzprogramm, dort steht, wir wollen die NATO durch ein kooperatives Sicherheitssystem zusammen mit Russland ersetzen. Das heißt auch, ein solches System muss man erst einmal aufbauen.
Rot-Rot-Grün wäre demnach gefordert, auf Russland zuzugehen.
Selbstverständlich. Und dazu gibt es bei der SPD meines Erachtens keinen Widerspruch. Gernot Erler vertritt das als Russland-Beauftragter der jetzigen Regierung genauso wie wir. Streitpunkt wird sein: Ist ein solches System irgendwann Ersatz für die NATO? Doch muss man eine neue Sicherheitsarchitektur erst einmal haben. Insofern sorgt die NATO-Frage für keinen schweren Dissens.
Was dann?
Die Frage der Auslandseinsätze. Da gibt es nicht ein bisschen schwanger. Entweder man ist oder man ist nicht im Ausland.
Zeichnen sich Kompromisse ab?
Ja, weil es nach meinem Eindruck keinen Auslandseinsatz der Bundeswehr gibt, an dem das Herzblut der SPD hängt. Folglich könnte sich die SPD durchaus bewegen. Deshalb steht bei uns im Wahlprogramm: Wir wollen die Bundeswehr aus allen Einsätzen herausziehen und keine neuen mehr starten, aber die rote Linie für eine Regierungsbeteiligung heißt, alle Kampfeinsätze zu beenden.
Ein dehnbarer Begriff.
Wie dehnbar, darüber werden Verhandlungen entscheiden.
Was müsste denn geschehen, damit es nach der Bundestagswahl zu solchen Verhandlungen käme?
Es muss nach dem 24. September nur rechnerisch für SPD, Grüne und Linke reichen. Martin Schulz will unbedingt Kanzler werden. Gibt es andere Möglichkeiten, wird er die wählen. Aber welche sollten das sein? Mit FDP und Grünen? Das bezweifle ich. Nochmals: Hat Schulz eine rot-rot-grüne Option auf die Kanzlerschaft, kommt es zu Koalitionsverhandlungen.
Wie wird die SPD verhandeln?
Sie wird ganz viel opfern, damit es nach zwölf Jahren endlich wieder einen SPD-Kanzler gibt.
Wie groß darf der Abstand zwischen Schulz und Merkel maximal sein, damit Rot-Rot-Grün realistisch ist – zehn Prozent?
Das ist egal. Wenn es reicht, wird Schulz regieren wollen.
Warum hat sich die SPD nach der Saarland-Wahl im März so schnell von Mitte-Links im Bund verabschiedet?
Weil sie Angsthasen sind. Eine Lehre aus Sanders in den USA und Corbyn in Großbritannien ist, dass man mit klarer Positionierung viel erreichen kann. Die SPD aber hat sich nach der Saarland-Wahl gesagt, die drei Parteien links von der CDU verharren gerade bei 40 Prozent, also müssen wir weiter in die Mitte gehen. Ich halte das für eine totalen Fehler, weil in der Mitte und sogar rechts davon viele Stimmen gewinnen kann, wer den Mut zum klaren Profil zeigt.
Andererseits gibt es in der Gesellschaft keine Wechselstimmung.
Dann muss man sie eben erzeugen. Ich bin mir sicher, dass es in dieser Gesellschaft eine Mehrheit, womöglich eine große Mehrheit gibt, die will schon etwas anderes – eine solidarischere und gerechtere Welt. Viele zweifeln daran, dass der Kapitalismus wirklich das Ende der Geschichte ist. Vor allem gibt es eine Mehrheit für eine andere Form des Wirtschaftens, doch die muss man abholen.
Was nicht geschieht.
Ja, weil sich die SPD nicht traut, diese Wechselstimmung zu erzeugen, und wir als Linke nicht stark genug sind, dies zu tun. Die Grünen wissen im Moment sowieso nicht, was sie wollen. Wenn es aber eine SPD gäbe, die genau wie wir sagt: Jetzt muss eine andere Richtung eingeschlagen werden, dann würde sich das ändern. Davor haben sie Schiss.
Nur muss einer Wechselstimmung auch der Wechsel folgen. Ist man sich in der Linkspartei darüber im Klaren, was die von Ihnen angedeutete Zäsur im führenden neoliberalen System der EU bedeutet?
Wir haben extrem kluge Leute in der Partei, die sich mit Wirtschaftspolitik beschäftigen – aber Sie haben recht, was sich nachher in einer rot-rot-grünen Regierung tatsächlich durchsetzen lässt gegen die Kapitalfraktion und öffentliche Meinungsmache, das ist die große Frage. Beantworten kann die nur, wer nicht von vornherein vor einer solchen Zäsur zurückschreckt. Was mich hoffen lässt, ist der Umstand, dass die SPD-Basis viel linker ist als die SPD-Führung.
Teile dieser Basis haben Schulz auf einem Parteitag mit 100 Prozent gewählt.
Weil sie sich vielleicht nicht vorstellen konnten, dass der sich so wenig traut und den Schub nicht zu nutzen weiß, den seine Nominierung zunächst auslöste. Es gibt zwei Fragen, wenn es wirklich zu einer Mitte-links-Regierung kommt. Die erste lautet: Will die SPD einen grundlegenden Wandel mittragen? Die zweite: Ist sich eine solche Regierung einig und fällt nicht bei der kleinsten Eruption auseinander – was kann sie gegen den Widerstand ihrer Gegner in Deutschland bewirken?
Sie haben sich sehr souverän bei der Nachlese zum G20-Gipfel artikuliert. Gehen Sie Ihrer Partei nicht in einem eher ungünstigen Moment verloren?
Wenn ich nicht mehr im Bundestag sitze, bin ich ja nicht weg, sondern nur woanders. Da muss sich keiner Sorgen machen.
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