Fundstücke aus dem Wertecontainer

CIA-Verhöre Die Bush-Regierung hatte einst die Verhörmethoden der CIA für legitim erklärt. Barack Obama sollte jetzt handeln und sich für wahre Rechtsstaatlichkeit einsetzen

Als vor Jahrzehnten mehrere Staaten in Lateinamerika die Gratwanderung zwischen Diktatur und Demokratie riskierten, galt die dabei waltende Kultur der Straflosigkeit als bedauerlicher Makel oder notwendiges Übel. 1983 versprach Präsident Alfonsín den argentinischen Obristen um General Videla, sie würden ungeschoren bleiben, sollten sie im Gegenzug seiner gewählten Regierung eine Chance geben und nicht erneut als ­Putschisten Unheil stiften. Ähnliches geschah ein Jahrzehnt danach in Chile. Augusto Pinochet wurde Senator auf Lebenszeit, anstatt von einem Richter über Tausende von Verschwundenen befragt zu werden. Später wurde in beiden Ländern nachgeholt, was zunächst aus Angst vor einer Vergeltung der Täter ausblieb. Schuld, Sühne und Strafe mussten im wahrsten Sinne des Wortes zu ihrem Recht finden, sollten die Gesellschaften nicht Schaden nehmen und die Opfer verzweifeln.

Es war mit Robert Jackson ein amerikanischer Jurist, der 1945 in seiner Eröffnungsrede zum Nürnberger Prozess gegen die Nazi-Größen mit großer moralischer Intensität davor warnte, Verbrechen nicht zu ahnden, die „von so verwüstender Wirkung“ sind, dass „die menschliche ­Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen“. Es fehlt keinesfalls an Augenmaß, wenn Jackson auch heute gehört und seine Prinzipien nicht als museale Raritäten ­bestaunt werden. Warum sonst gibt es Tribunale zu Jugosla­wien und Ruanda, hat sich eine Mehrheit der Staaten auf einen Weltgerichtshof verständigt?

Die in dieser Woche erneut ruchbar gewordenen Verhörmethoden der CIA – die Scheinhinrichtungen, das Bedrohen von Gefangenen mit Bohrmaschinen, das simulierte Ertränken – sind von solch dreister Grausamkeit, dass die Frage erlaubt sein muss, ob es wirklich eines Prüfauftrages durch US-Justizminister Holder bedarf, um zu klären, ob die Folterer US-Gesetze übertreten haben. Bei allem Verständnis für die Vorsicht der US-Regierung – was sie tut, darf das System Bush weder legitimieren noch aufhübschen. ­Obama hat sich als Retter der Rechtsstaatlichkeit feiern lassen, er sollte es nun auch sein. Nicht allein um seiner Glaubwürdigkeit willen, auch wegen der Gefahr, dass ungesühnt bleibt, was jenseits zivilisatorischer Normen geschehen ist. Straflosigkeit für die politisch Verantwortlichen von Ex-Präsident Bush, über Ex-Vizepräsident Cheney bis zu Ex-CIA-Chef Tenet und Ex-Justizminister Gonzales wäre in diesem Fall kein bedauerlicher Makel, sondern ein bezeichnendes Stigma. Die Bush-Regierung hat die Misshandlung von Gefangenen nicht nur erlaubt, sondern zum legitimen Mittel erklärt, das aus Gründen der Staatsräson zulässig sei. Darin besteht die Perfidie ihres Handelns, deshalb ist an Robert Jackson zu erinnern. Die Glaubensgemeinschaft im westlichen Wertecontainer hat allen Grund besorgt zu sein. Wenn es sein muss, wissen die abendländischen Kreuzritter ­erschreckend genau, was zu tun ist, wenn die Masken fallen.


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