Geltungsbedürftiges Klubmitglied

Frankreich und die NATO Frankreich und die NATO: Präsident Nicolas Sarkozy macht sein Land wieder zum vollständigen Bündnis-Mitglied und inszeniert nun, was längst über die Bühne ging

Eine Absage an die europäische Verteidigungsidentität? Ein Verzicht auf eigenen strategischen Spielraum, gar eine Abkehr von General de Gaulle und vom Unabhängigkeitsdenken der V. Republik? Begeht Präsident Sarkozy ein Sakrileg, wenn er Frankreich wieder zum vollständigen NATO-Mitglied macht?

Auf jeden Fall degradiert er das gaullistische Vermächtnis nicht zum Anachronismus, das verdient, unter den Dielenbrettern der Geschichte zu landen. Die „atlantische Revision“, wie in Paris die Rückkehr in die integrierte Kommandostruktur der NATO genannt wird, hat wenig mit Bilderstürmerei zu tun, wie wohl die Pflege des Gaullismus von den Erben des Generals – ob sie Pompidou, Debré, Juppé oder Chirac hießen – nie als Götzendienst betrieben wurde.

Fast überall dabei

Wie im wirklichen Leben erweisen sich auch in der Politik Vermächtnisse gelegentlich als Erbschaften, an deren Gebrauchswert die Zeit nicht spurlos vorüberzieht. Immerhin hatte sich schon Sarkozys Vorgänger Jacques Chirac 1996 der NATO wieder andienen wollen, nur scheiterten die atlantischen Ambitionen damals an der Vorstellung, das Südeuropa-Kommando müsse unbedingt einem französischen General übergeben werden. Der mit Chirac in Cohabitation regierende sozialistische Premier Lionel Jospin hatte dem Vorhaben ohnehin nichts abgewinnen können.

Wenn Frankreich kurz vor dem 60. Jahrestag mit allen Rechten und Pflichten in den Nordatlantik-Pakt zurückkehrt, ist das weniger eine Abkehr von sterilen Dogmen als vielmehr der Abschied von einem Sonderweg. Nur kommt der Sinneswandel keineswegs über Nacht und sollte daher auch nicht symbolisch überfrachtet werden. Frankreich kehrte bereits 1992 in den Militärausschuss der Allianz zurück, entsandte Mitte der neunziger Jahre Kampfverbände nach Bosnien, beteiligte sich 1999 am Krieg gegen Jugoslawien, stellte später Kommandeure im Kosovo und steht bis heute mit Soldaten in Afghanistan. Man handelte in keinem dieser Fälle als unabhängiger Kombattant, sondern als williger Kompagnon.

Nun, seit die westliche Führungsmacht unter dem Druck der Verhältnisse die Realpolitik wieder entdeckt, kann die NATO davon nicht unberührt bleiben. Auch wenn amerikanische Schwäche nicht automatisch zu mehr europäischer Stärke führen muss. Doch Inventur und Innovation des Bündnisses scheinen nötig und möglich, so dass es sich für Paris lohnen mag, von innen heraus die Kräftebalance zu beeinflussen und das nicht der Federführung Deutschlands zu überlassen.

Europäischer Finger am amerikanischen Abzug

Mit den Franzosen meldet sich ein geltungsbedürftiges Klubmitglied zurück, das aus seinen Bedenken gegen eine fortgesetzte Osterweiterung keinen Hehl macht und seine Vorfreude auf Debütanten wie die Ukraine und Georgien oder auch Albanien, Mazedonien und Kroatien zu zügeln weiß. Nicolas Sarkozy hat stets einer Bündnisphilosophie widersprochen, die an einer globalisierten Allianz als Konkurrenzbetrieb zu den Vereinten Nationen Gefallen findet.

Wenn Barack Obama ein eher instrumentelles Verhältnis zur NATO sucht und auf diese nur dort zurückgreifen will, wo es der amerikanischen Außenpolitik nützen könnte, wären der Allianz in punkto Reformeifer keine Grenzen gesetzt. Frankreich käme das vermutlich schon deshalb gelegen, weil die Reintegration das Prinzip von Nähe und Abstand bedient. Das heißt, Bündnisdisziplin wird mit Bündnisloyalität übersetzt, und der Präsident im Elysée-Palast hat das letzte Wort, wenn es um den Einsatz des eigenen Nuklearpotenzials geht – das bleibt der Garant nationaler Souveränität.

Die Force de Frappe sollte einst so etwas wie der europäische Finger am amerikanischen Abzug sein. Nur gehörte dieser Finger schon zu Zeiten Charles de Gaulles keinem Europäer, sondern einem Franzosen. Daran wird sich nichts ändern – der Rückkehrer will kein demütiger Heimkehrer, eher ein privilegierter Partner sein.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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