Großer Sprung oder großes Loch

Wacklige Eurostaaten Eine neue Regierung in Athen hin oder her. Angela Merkels mutmaßlicher Königsweg, Griechenlands Wirtschaft durch Auszehrung gesunden zu lassen, ist gescheitert

Einem griechischen Kabinett der nationalen Einheit wird es nicht erspart bleiben, als Notstandsregierung oder letztes Aufgebot wahrgenommen zu werden. Doch hat das aus Sicht der Euro-Sanierer und Griechenland-Gläubiger einen begrüßenswerten Nebeneffekt. Eine solche Regierung minimiert parlamentarische Gegenwehr, weil die bisherige Opposition der Nea Dimokratia, so eigensüchtig sie im einzelnen auch gewesen sein mag, vorübergehend in einem nationalen Kraftakt aufgeht. Nur kann auch eine Große Koalition in Athen den Finanzinvestoren nichts von der Vorahnung nehmen, dass Griechenland die Eurozone verlässt. Es reicht, dass eine solche Ahnung in der Luft liegt, alles andere ergibt sich derzeit von selbst. Es sei denn, die führenden Staaten der Eurozone finden den Mut, ein für allemal klarzustellen, dass ihre Währungsgemeinschaft Bestand haben soll und nicht insgeheim mit der Endlichkeit ihres Daseins kalkuliert.

Genau genommen kann dieses Zeichen nur von der deutschen Regierung kommen, indem sie ihre Bereitschaft signalisiert, Konzessionen zu machen, die bisher als unzumutbares Opfer galten. Gleichzeitig müssten alle 17 Eurostaaten zu verstehen geben, an ihrer politischen Unabhängigkeit nicht rütteln zu lassen, auch wenn sie außerhalb Europas nach neuen Finanzinvestoren suchen.

Wer derzeit jeden Zweifel am Erhalt der Eurozone zerstreuen will, kann dies nur durch die folgenden Entscheidungen bewirken: die Auflage von Eurobonds, eine EU-weite Finanztransaktionssteuer, die Etablierung einer europäischen Rating-Agentur, ein gemeinsames, verbindliches Steuerrecht in der Eurozone und ein Investitionsprogramm für die von akutem ökonomischen Verfall gezeichneten Euro-Staaten. Die mit einem solchen Vorgehen verbundenen Risiken werden weltweit davon überzeugen, dass die Staaten der Eurozone aneinander festhalten wollen. Alles andere als dieser Große Sprung nach vorn und sicher — ins Ungewisse wird den Kollaps nur hinaus zögern, doch auf Dauer nicht verhindern.

Solange ein derartiges Signal ausbleibt – und der G20-Gipfel in Cannes bot die beste, leider verschenkte Gelegenheit, es zu geben – wird die Krise fortgeschrieben. Die dann zu erwartende Kettenreaktion dürfte mit Sicherheit Portugal, Italien und vermutlich auch Spanien treffen. Diese Euro-Staaten werden keine oder nicht genügend Kreditgeber finden, um in den kommenden Wochen fällige Staatsanleihen zu refinanzieren – das heißt, Schulden durch neue Schulden zu tilgen, für die ohnehin mit kräftig steigenden Zinsen zu rechnen wäre.

In dieser Situation kann die Europäische Zentralbank (EZB) gar nicht anders, als zumindest einen Teil dieser fälligen Schuldverschreibungen aufzukaufen. Dies hätte zur Folge, dass die EZB zum Ko-Finanzier für die Haushalte angeschlagener Euro-Staaten wird und in der Eurozone die Vergemeinschaftung von Schulden unaufhaltsam fortschreitet. Warum dann nicht gleich gemeinsame Anleihen aller Eurostaaten, solange Frankreich noch vom Sog schwindender Kreditwürdigkeit verschont wird? Die EZB könnte dieses Aufkaufen von Anleihen nur vornehmen, indem sie selbst Anleihen am Kapitalmarkt platziert oder eben Geld in die schwankenden Euro-Staaten pumpt, für das es genau genommen keine Deckung gibt! Keine verlockenden Aussichten für die Geldwertstabilität und mehr als ein Indiz dafür, dass Angela Merkels mutmaßlicher Königsweg zur Lösung der Schuldenkrise – Wirtschaften wie jene Griechenlands auf dem Weg der Auszehrung gesunden zu lassen – gescheitert ist. Dieses Konzept ist eine sichere Gewähr für ein Fortschreiben der Eurokrise über Jahre hinaus.

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