Ikone des Trotzes hat ausgedient

Serbien Zur Festnahme von Radovan Karadzic´ in Belgrad

Nun kann eine späte Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen. Die Verhaftung von Radovan Karadzic´ in Belgrad dürfte die serbische Regierung noch EU-kompatibler machen, als sie ohnehin schon ist. Auch wenn Präsident Boris Tadic´ gewiss nicht zu hoffen wagt, vielleicht vor Kroaten, Montenegrinern und Mazedoniern oder gar Albanern in die EU aufgenommen zu werden - er kann sich damit trösten, dass mit der Provinz Kosovo ein Teil des einstigen serbischen Staates als EU-Protektorat den europäischen Ritterschlag bereits empfangen hat. Jetzt kann Belgrad nachziehen und ohne Vorhaltungen aus Brüssel seine EU-Aspirantur beanspruchen wie die anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen jugoslawischen Föderation. Eine der Konsequenzen wird sein, dass der serbische Rumpfstaat die dank einseitiger Unabhängigkeitserklärung entschwundene kosovarische Region kaum je in seinen Grenzen wiedersehen dürfte.

Wie dem auch sei, die Regierung Tadic´ hat mit der Festnahme von Radovan Karadzic´ zu verstehen gegeben, dass sie Realpolitik auch dort zu betreiben gedenkt, wo es den Nerv der serbischen Nation empfindlich trifft. Wenn der Verlust des Kosovo angesichts der in Europa geltenden Machtverhältnisse hingenommen wird - warum dann Karadzic´ zubilligen, weiter als Ikone des nationalen Trotzes im kollektiven Bewusstsein Serbiens zu vagabundieren?

Eine Verbeugung vor dem Recht ist das nur bedingt, eher ein Akt des politischen Pragmatismus, bei dem die Brüsseler Vormundschaft das Ihre tut. Was nichts daran ändert, dass sich sowohl Karadzic´ als auch demnächst vermutlich der noch gesuchte Ex-General Ratko Mladic´ für die ihnen zu Last gelegten Verbrechen aus den Jahren 1992 bis 1995 verantworten müssen, vor wem auch immer. Wenn es um die gern angemahnte Selbstläuterung und -reinigung Serbiens geht - warum nicht ausnahmsweise einmal vor serbischen Richtern?

Die Ereignisse dieser Woche sind ein Indikator für den Wandel, den Serbien seit dem Sturz Slobodan Miloševic´s im Herbst 2000 erfahren hat. Angestoßen besonders durch den Luftkrieg der NATO ein Jahr zuvor, der einer Züchtigung gleichkam, um die Preisgabe des Kosovo zu beschleunigen und die Niederlage im 1991 ausgebrochenen Sezessionskrieg zu besiegeln. Dem großen Verlierer der Schlacht um die aufgesprengte jugoslawische Föderation wurde durch Gewalt und Rechtsbruch bedeutet: Es ist an der Zeit, sich wie ein Verlierer zu benehmen und vor dem veränderten Status quo auf dem Balkan zu kapitulieren. Es dauerte einige Jahre, bis sich die Regierungen in Belgrad vollends bereit fanden, dieser Erwartung gerecht zu werden. Und es wirkt wie eine Ironie der Geschichte, dass nun ausgerechnet eine Koalition der Demokratischen Partei (DS) mit den einst staatstragenden Sozialisten der SPS soviel Einsicht zeigt wie kein Kabinett bisher. Musste es mit SPS-Chef Ivica Dacic´ erst einen sozialistischen Innenminister geben, um Karadzic´ in Gewahrsam zu nehmen?

Ein Vorgang, der ansonsten keine übermäßigen Risiken birgt. Schließlich hat inzwischen ein Elitenaustausch in den Ministerien, in der Armee und anderen Sicherheitsstrukturen stattgefunden. Die Paten des Krieges sind nicht verschwunden, aber entmachtet oder im Ruhestand. Oder sie haben die Seiten gewechselt.

Sollte Radovan Karadzic´ demnächst nach Den Haag müssen, wäre es nicht das erste Mal, dass serbische Politiker und Militärs an das Jugoslawien-Tribunal ausgeliefert werden. Schon als Slobodan Miloševic´ im Juni 2001 an den Gerichtshof überstellt wurde, hielten sich die Proteste in Grenzen. Auch die Festnahme des einstigen Geheimdienstchefs Jovica Stanisic´ sorgte für keinen Sturm der Entrüstung. Ganz abgesehen davon, dass Vojislav Seselj, die Galionsfigur der Radikalen Partei, 2003 freiwillig eine Haager Gefängniszelle aufsuchte, um sich der gegen ihn erhobenen Anklage dort zu widersetzen, wo er glaubte, das am wirkungsvollsten tun zu können. Inwieweit damit das Tribunal indirekt anerkannt wurde, mag dahingestellt bleiben. Sicher scheint nur, die nationalistischen Kräfte Serbiens wünschen ihre Schlachten inzwischen dort zu schlagen, wo ihnen der Zeitgeist die Arena zuweist. Auch Radovan Karadžic´ wird sich daran halten müssen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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