Karsai im Glück

Afghanistan Der afghanische Präsident hat sich bei seinem Berlin-Besuch als Mann der Zukunft präsentiert, dem es an Statur gegenüber den Amerikanern nicht fehlt

Kanzlerin Merkel ereilte am Wochenende das Geschick, sich zwischen zwei Männern entscheiden zu dürfen. Sie konnte sich als Wahlhelferin des afghanischen Staatschefs nützlich machen oder die treue Verbündete des amerikanischen Präsidenten bleiben. Sie konnte Hamid Karsais scharfer Kritik an Rücksichtslosigkeiten der US-Truppen in seinem Land und den dadurch verursachten Tod Hunderter Zivilisten beipflichten – oder ausdrücklich Obamas Offensivstrategie gutheißen, die auf ein Alles oder Nichts hinausläuft. Sieg um einen hohen Preis, denn eine Niederlage wäre auch nicht billiger.

Wie es ihre Art ist, vermied Merkel Klarheit und fand gegen Ende des Karsai-Besuches in Berlin zu den üblichen Floskeln. Man mag ihr zugute halten, dass die diplomatischen Gepflogenheiten nun einmal sind, wie sie sind. Es ist sicher auch eine Frage des Geschmacks, Karsais Katharsis vom Adlatus der Bush-Regierung zum Anwalt des Volkes nicht öffentlich abzusegnen. Aber hinter alldem steht die Frage: Unter welch absurden Bedingungen findet eigentlich inzwischen der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch statt? Als Teil einer multilateralen Militärmacht führt sie Krieg in einem Land, dessen Präsident seine Wiederwahl am 20. August unter anderem dadurch sichert, dass er sich gegen diesen Krieg ausspricht. Zumindest gegen die Art, in der er geführt wird. In der er aber offenbar nur geführt werden kann.

Die offene Feldschlacht gegen einen flexiblen, in seinem Land und nicht auf fremder Erde kämpfenden Gegner bleibt den Amerikanern und ihren Alliierten heute ebenso verwehrt bleibt wie einst den Sowjets. Obama hat darauf die Vietnam-Antwort parat. Die militärische Übermacht noch übermächtiger machen, die Truppen aufstocken und den Krieg in die Nachbarschaft tragen, nach Pakistan etwa. Für Karsai ist das in taktischer Hinsicht ideal. Wenn sich die Amerikaner so ins Zeug legen, garantiert ihm das jetzt die Präsidentschaft, denn Obama kann keine personellen Experimente riskieren, und später die Wiederwahl. Je härter der Krieg, desto mehr lohnt es sich, den Landsleuten als Mann des Friedens entgegen zu treten.

Wer kämpft da eigentlich für und wer gegen wen? Als SPD und Grüne unter Kanzler Schröder nach dem 11. September 2001 Deutschland nach Afghanistan führten, sollte damit die Brutstätte des internationalen Terrorismus getroffen werden. Da die Taliban nicht besiegt sind, sich stattdessen regenerieren und Gefolgschaft rekrutieren, muss neben der Frage "Wer gegen wen?", auch die nach dem "Warum?" erlaubt sein: Worin besteht der Sinn dieses Kriege, der das Gegenteil dessen bewirkt, was mit ihm erreicht werden sollte? Für Hamid Karsai ist die Antwort im Moment ziemlich klar. Der Krieg hilft ihm, politisch zu überleben, als Präsident vor und nach dem 20. August. Vielleicht hat er Angela Merkel gestern in Berlin diese Antwort erläutert. Dies könnte sie animiert haben, die Suche nach dem Sinn dieses Krieges einmal jenseits der üblichen Schablonen zu beginnen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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