Das war nicht nur ein Ohrfeige, sondern ein Rücktrittsgrund. Wenn ihm das Parlament das Plazet für mehr als zwei Drittel seiner Minister verweigert, sollte Hamid Karsai seinen persönlichen Exit-Plan aus der Tasche ziehen und gehen. Nicht abwarten, bis ihn seine Gönner nicht mehr haben wollen oder halten können. Wie das ausgeht, haben einst wohlgelittene Protegés der Amerikaner anderswo bitter erfahren. Man denke an den vor genau 20 Jahren durch eine US-Intervention gestürzten panamaischen Präsidenten Manual Norriega. Oder den am 1. November 1963 per Attentat abservierten südvietnamesischen Diktator Ngo Dinh Diem. Als Präsident Kennedy und sein Außenminister Dean Rusk die Daumen senkten, setzten sich in Saigon die Putschisten in Bewegung.
Auf Abruf
Die Regierung Karsai ist sowohl durch die Wahlfarce vom 20. August 2009 als auch die Absage der ursprünglich als notwendig empfundenen Stichwahl so schwer diskreditiert, dass nun die Legislative rebelliert und dem empfohlenen Kabinett das Vertrauen verweigert. Und damit dem Staatschef höchstselbst. Eingetreten ist eine höchst pikante Situation. Da das Parlament erst am 20. Februar wieder zusammentritt und frühestens dann über neue Ressortchefs entscheidet, steht jetzt bereits fest: Während der Londoner Afghanistan-Konferenz wird es keine legitimierte afghanische Regierung geben. Die nichtafghanischen Teilnehmer des vielbeschworene Treffens haben genau genommen keinen autorisierten afghanischen Partner, was die Beteuerungen, den Afghanen mehr Verantwortung zu übertragen – sei es im zivilen oder Sicherheitsbereich – , enorme Glaubwürdigkeit verleiht.
Man fragt sich, ob unter diesen Umständen der Autismus des Außenministers Westerwelle das Prädikat bedenklich verdient, wenn er Interviews gibt, in denen verlangt wird, der afghanischen Regierung und Armee schon 2010 größere Befugnisse zu erteilen. Wie soll das funktionieren, wenn diese Autoritäten unsichere Kantonisten auf Abruf sind? Wer weiß denn, wie lange sich Karsai noch im Amt hält? Und was es bedeutet, wenn sich Ex-Außenminister Abdullah Abdullah als Nachfolger empfiehlt, der auf weitaus weniger Clan-Loyalitäten hoffen kann, als sie Karsai bisher zur Verfügung standen.
Übersehen oder verdrängt
Es rächt sich, dass gerade die Vereinten Nationen in der Person ihres inzwischen zurückgetretenen Afghanistan-Gesandten, des norwegischen Diplomaten Kai Eide, das Ausmaß des Betrugs bei der Präsidentenwahl vom August heruntergespielt haben. Und das, obwohl es Regionen gab, in denen zehnmal mehr Stimmen registriert wurden als Wähler. Die Dimension des Betrugs bescherte den Taliban den größten politischen Sieg seit ihrem Sturz Ende 2001. Es hat sich gezeigt, wie die Staatsspitze in Kabul, die von den Besatzungsmächten zur Gralshüterin einer afghanischen Demokratie erkoren wurde, damit umgeht.
Das muss erst einmal übersehen oder verdrängen, wer als Außenminister Interviewaussagen trifft wie Guido Westerwelle. Da schnürt einer vorsorglich sein persönliches Rettungspaket und will bei einer deutschen Truppenaufstockung, einer möglicherweise wachsenden Zahl verletzter oder getöteter Bundeswehrsoldaten und den politischen Folgen eines solchen militärischen Ausfallschritts unbeschadet davon kommen. Dass dabei mit afghanischen Realitäten jongliert wird, als seien es lediglich Tennisbälle, spricht Bände.
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