Wenn sich die NATO in der trügerischen Sicherheit wiegen will, mit ihr sei alles zum Besten bestellt, sie befinde sich an keinem kritischen Punkt ihrer Existenz und habe sich auch in Afghanistan nicht verrannt – dann würde diese Personalie gut ins Bild passen, dann sollte der dänische Premier Anders Fogh Rasmussen neuer Generalsekretär des Nordatlantik-Paktes werden.
Wenn hingegen ein Wandel der Allianz betrieben und ihre offensive Doktrin überprüft werden soll, wenn in der NATO tatsächlich die Überzeugung reifen sollte, dass die Welt sich im Übergang zu einer globalen Schicksalsgemeinschaft befindet und dass darauf nur mit globaler Sicherheitspartnerschaft und nicht mit globaler Ordnungspolitik des Westens reagiert werden kann, wenn sich die NATO also fragen muss, ob sie nach 1990, als das Bündnis in Frage gestellt wurde, eine gute Entwicklung genommen hat, dann sollte lieber nochmals überlegt werden: Ist Dänemarks Premier wirklich der Mann, der den Niederländer Jaap de Hoop Scheffer beerben sollte?
Rasmussen wird kein Reformer, schon gar kein Erneuerer sein (es sei denn, er erlebt im Amt die große Metamorphose). Mit einem solchen Generalsekretär hätte sich die Bush-Regierung gewiss anfreunden können, auch wenn ihr möglicherweise Polens Außenminister Sikorski als Galionsfigur für die alte Russland-Aversion des „neuen Europa“ lieber gewesen wäre. Immerhin gehörte Rasmussen wie der damalige polnische Ministerpräsident Leszek Miller Anfang 2003 zu den acht Erstunterzeichnern einer Ergebenheitsadresse europäischer Regierungschefs an das Weiße Haus.
George Bush konnte den Aufruf Europa und Amerika müssen zusammenstehen als Ermächtigung zum Krieg gegen den Irak verstehen. Dort stand schwarz auf weiß, was wenige Tage später auch sein Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat als vorweg genommene Begründung der Invasion servieren sollte. Zum Beispiel: „Das irakische Regime und seine Massenvernichtungswaffen sind eine klare Bedrohung für die Weltsicherheit. … Die Kombination aus Massenvernichtungswaffen und Terrorismus stellt eine Bedrohung mit unkalkulierbaren Folgen dar.“
Als wenige Wochen später Saddam Hussein gestürzt und der Irak besetzt war, stellte sich heraus, dass der Diktator weder Massenvernichtungswaffen noch Verbindungen zu al Qaida besessen hatte. Es wurde offenbar, wie die US-Regierung und ihre Dienste gelogen hatten, um diesen Krieg zu führen und willfährige Europäer wie Rasmussen im Tross zu haben. Der erwähnte Aufruf wurde zur Geburtsurkunde der Koalition der Willigen und zu einem Tiefpunkt der transatlantischen Beziehungen. Nicht nur, weil dieser Konsens mit einem europäischen Dissens bezahlt, sondern weil Rechtsbruch zur Regierungsnorm erhoben wurde. Im Irak-Krieg unterstützte Rasmussen folgerichtig die USA und entsandte ein dänisches Kontingent.
Wer all das zu verantworten hat, soll der die NATO in einem Augenblick führen, in dem sie in existenzieller Weise mit den Konsequenzen dieser Verirrungen und Vergehen konfrontiert ist? Gewiss mag Rasmussen mit diesem politischen Vorleben ein Zugeständnis an osteuropäische NATO-Mitglieder wie Polen, Ungarn oder die baltischen Staaten und insofern ein Mann der Stunde sein. Für eine Zukunft der NATO, die sich von ihrer Vergangenheit seit 1990 unterscheidet, steht er – vermutlich – nicht.
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