Keine Einkehr, keine Umkehr

Im Krieg Verhängnisvoll, dass eine Korrektur von Merkels Afghanistan-Politik innerhalb des geltenden Systems kaum möglich zu sein scheint. Gebraucht wird eine Grundsatz-Debatte

Wer hätte es nicht als angemessen empfunden, wenn es nach den erneuten deutschen Verlusten in Afghanistan einen Moment des Innehaltens durch die Bundesregierung gegeben hätte statt eines stoischen: Weiter so! Nur so geht es weiter! Keine Einkehr, keine Umkehr. Nicht einmal eine Ahnung davon, obwohl dergleichen Not täte, weil sich zur Gewissheit verdichtet, was schon länger unausweichlich scheint. Es gibt kein Entrinnen aus der von Obama und seinem Oberkommandierenden Stanley McChrystal verfolgten Offensivstrategie. Sie bekennt sich ausdrücklich zur offenen Feldschlacht mit dem afghanischen Widerstand und will sie austragen, bis verlorenes Terrain zurückerobert oder beherrschtes absolut sicher ist.

Merkel, Westerwelle und zu Guttenberg haben das gern als Einstieg in den Ausstieg verkauft. Doch erweist sich die neue Strategie als Einstieg in einen mit größerer Unerbittlichkeit und Härte geführten Krieg, von dem niemand weiß, wie und ob sich aus ihm so bald wieder aussteigen lässt. Denn der Gegner antwortet prompt und schlüssig. Er nimmt die Kraftprobe an. Man kann es den Aufständischen nicht vorwerfen, dass sie kämpfen – um ihr Land und in ihrem Land. Gegen eine als Besatzung begriffene fremde Militärpräsenz, die wie nie zuvor seit 2001 aus der Deckung kommt, weil sie muss.

Als die Sowjets zwischen 1979 und 1989 den Eroberer und Besatzer gaben, galten die Streif- und Feldzüge einer Guerilla der Standhaftigkeit im Westen als höchste Tugend und Akt der Selbstbefreiung, demzufolge aller Ehren und manches militärischen Beistandes wert. Was soll jetzt das kriegspropagandistisch aufgeladene Gerede über „hinterhältige Angriffe“ und „feige Überfälle der Taliban", wenn – wie alle Agenturen berichten – am 15. April in der Provinz Baghlan über Stunden in offenem Gefecht um eine Brücke gekämpft wird?

Augenscheinlich hat der Aufstand gegen die Fremdbestimmung das ganze Land erfasst oder zumindest andere Regionen als den schon immer unruhigen Süden und Osten. Wenn das so ist, kommt Obamas strategischer Schwenk zu spät und kann – in seinem Sinne – nur erfolgreich sein, falls der Gegner in all seinen Schattierungen vernichtend geschlagen oder dermaßen geschwächt wird, dass er in einem Nachkriegs-Afghanistan ein Schattendasein fristet oder verschwunden ist. Welcher Aderlass damit den NATO- und ISAF-Truppen abverlangt wird, steht außer Zweifel. Jedes Gefecht, jeder eroberte oder verlorene Fußbreit Boden, jeder getötete Zivilist, jedes zerschossene afghanische Haus, jede gesprengte Brücke, jene verminte Straße – ja, auch jede Widerborstigkeit Hamid Karzais wird diesen Krieg mit Lebenskraft aufpumpen.

Die deutsche Heimatfront bis hin zu den Grünen hat das wohl erkannt und mit der Ausrüstungsdebatte aufgegriffen. Ist die Bundeswehr mit dem zuverlässigsten, modernsten, schlagkräftigsten, sichersten Gerät ausgestattet, um auf der Höhe ihrer Mission zu sein? Aber sicher, sagt der Verteidigungsminister, und verweist auf über 1.000 (!) gepanzerte Fahrzeuge – vom Geländewagen Wolf bis zum Schützenpanzer Marder –, auf Recce-Aufklärungs-Tornados, Transall-Transporter und eine Hubschrauber-Staffel, die in Afghanistan für deutsche Wehrkraft sorgen. Gibt es bessere Argumente als diese Aufzählung, um die Absurdität eines „kriegerischen Wiederaufbaus“ zu offenbaren, der das Land am Hindukusch angeblich befrieden soll?

Wir haben es längst nicht mehr allein mit Erklärungsnöten der Regierenden zu tun, sondern ihrer vorsätzlichen Lüge, einen Krieg als beherrschbar hinzustellen, der längst nicht mehr beherrschbar ist. Von Merkel bis Westerwelle – alle sind aufgewühlt, ihr Überzeugtheit vom richtigen Weg zu zeigen, ohne den leisesten Versuch, wirklich zu analysieren, bevor sie bezeugen. Furchtbar ist es, dass Soldaten dafür geopfert werden. Einem Verhängnis – um nicht zu sagen einer Katastrophe – kommt es gleich, wenn eine Korrektur dieser Politik aus der geltenden parlamentarischen Ordnung heraus unmöglich scheint. Hat die Demokratie versagt? Wurde sie von denen ausgeschaltet, denen sie anvertraut ist?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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