Mehr General als Sekretär

Anders F. Rasmussen Statt mit Vorschusslorbeeren hat der neue NATO-Generalsekretär, der Däne Anders Fogh Rasmussen, mit Vorbehalten zu kämpfen, für die er größtenteils selbst gesorgt hat

Nicht allein Bodenoffensiven in Afghanistan und die offenkundige Nachsicht gegenüber der provokanten Siedlungspolitik Israels lassen den Glanz der Kairoer Botschaft verblassen, wie sie Präsident Obama am 4. Juni formuliert hat. Auch eine Personalie ist geeignet, den Versöhnungsgesten die Glaubwürdigkeit zu nehmen. Der neue NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wird in der muslimischen Welt eher als abendländischer Zuchtmeister wahrgenommen denn als liberaler Vordenker einer Koexistenz der Kulturen. Rasmussen verteidigte mit euromanischer Selbstgewissheit, was seinerzeit viele nicht nur in der muslimischen Welt kritisierten: Die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in der rechtskonservativen dänischen Zeitung Jyllands-Posten Ende 2005. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hatte sich deshalb lange nicht vorstellen wollen, dass es unbedingt Dänemarks Ex-Premier sein musste, der den Niederländer Jaap de Hoop Scheffer am 1. August 2009 beerbt (auch der von Rasmussens jüngst beim Good-Will-Trip in Ankara vorgestellte Slogan von der „Allianz der Zivilisationen“ überzeugte ihn kaum).

Wie lange noch?

Die Vorbehalte gegenüber dem neuen NATO-Generalsekretär lassen sich schwerlich als Marginalie abtun. Sie tangieren das politische Kerngeschäft der Allianz, weil die sich künftig mehr denn je durch ihr Verhältnis zur muslimischen Welt definieren dürfte – und sie beeinflussen die strategische Herausforderung, eine Afghanistan-Politik zu entwickeln, die aus Fehlern lernt, die nicht erst seit dem Einmarsch der US-Armee im Oktober 2001 gemacht wurden. Rasmussen kann über mehr Transparenz und bessere Kommunikationskanäle zwischen den 28 NATO-Mitgliedern reden, soviel er will. Gebraucht wird eine brauchbare Exit-Strategie für Afghanistan. Sie entscheidet über die Zukunft des Paktes, der in einem Kriegseinsatz steht und Opfer zu verkraften hat, wie noch nie in seiner 60-jährigen Geschichte. Wie lange lässt sich das durchhalten? Für das Bündnis? Für jedes einzelne Mitgliedland? Keiner Frage wird Rasmussen in nächster Zeit so oft begegnen wie dieser.

Auf den Leib geschneidert

Seit der NATO-Gipfel 1999 in Washington die Strategie der "globalen Reponse" absegnete und die Allianz zur Sicherheitsagentur mit weltweitem Aktionsfeld erklärte, wirkt der Afghanistan-Einsatz wie eine logische Konsequenz dieser Selbstermächtigung – wie dem Konzept einer „NATO total“ auf den Leib geschneidert. Genauso passend für Gesellschaften in Europa, die sich seit Jahrzehnten friedensfähig wähnen und plötzlich die Erfahrung machen, kriegsfähig sein zu müssen? Dieser Bestimmung zu entkommen, kann heißen, Afghanistan zu entkommen. Und das bald. Rasmussen würde die Bündnisräson auf eine harte Probe stellen, sollte er den Einstieg in einen Afghanistan-Ausstieg riskieren.

Vor Jahrtausenden schrieb der griechische Komödiendichter Aristophanes: Wer mächtig heute in den gedrehten Strick greift, dem wird der Krieg einst keinen Strick mehr drehen.

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