Nicht chic, aber praktisch

Afghanistan Wie die NATO so hat auch Schwarz-Gelb den "moderaten Taliban" entdeckt. Was ist passiert, wenn dem terroristischen Monster plötzlich die Friedens­glocken läuten?

Ein neues Modell erfrischt die Frühjahrskollektion der NATO. Es gilt als versöhnungs- und gutwillig, patriotisch und paschtunisch, es ist nicht unbedingt chic, aber praktisch. Der „moderate Taliban“ ist da und wird sogleich zum Selbstläufer im diplomatischen Sortiment. Zwar konnte er noch nicht wirklich vorgeführt werden. Aber gefühlt wird er bereits. Auf der Afghanistan-Konferenz in London wurde der Taliban light vorsorglich mit Streicheleinheiten des Westens bedacht, die ihm vorrangig als Schmeicheleinheiten zuteil wurden.

Ob sich das Modell durchsetzt, weiß niemand. Für eine mit viel Fantasie erdachte und ins reale Leben entlassene Kreation kann es keine Erfolgsgarantie geben. Auf jeden Fall wünscht Präsident Karsai, den „moderaten Taliban“ möglichst bald bei einem Großen Friedensrat zu treffen. Seit langem in der Afghanistan-Diplomatie tätige saudische Emissäre sehen sich hohen Erwartungen ausgesetzt. Auch der UN-Afghanistan-Beauftragte Kai Eide eilt an die Verhandlungsfront, um dort „moderaten Taliban“ in die Arme zu laufen. An seiner Seite der britische Außenminister Miliband, dessen Land zum Beweis seiner Friedensliebe mehr Soldaten nach Afghanistan schickt. Was ist passiert, wenn dem terroristischen Monster, das noch am 4. September 2009 in Kunduz nichts als den gnadenlosen Luftschlag verdient hat, plötzlich die Friedens­glocken läuten?

Die Kausalität Verhandlungsgeste – Verständigungswille – Abzugschance der NATO-Alliierten braucht auf der anderen Seite eine Adresse, um glaubwürdig und gegen pazifistische Ausschläge an der Heimatfront gefeit zu sein. Sie setzt auf den Überläufer aus dem Lager der Aufständischen, der vor einer Übermacht kapituliert, wie sie die US-Armee und ihr NATO-Tross gerade in Stellung bringen. Sie hält den „moderaten Taliban“ prinzipiell für salonfähig – genau genommen: regierungswürdig – und weckt an dieser Stelle Zweifel, ob es das neue Modell wirklich gibt. Es wäre dazu da, einen ganzen Krieg in Frage zu stellen, der seit immerhin acht Jahren geführt wird.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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