Ausstellung Im Berliner Ephraim-Palais fehlt dem Exkurs durch die 125-jährige Geschichte des Fußballvereins Hertha BSC der sozialgeschichtliche Tiefgang
Wer passt am besten zum Berliner Fußballhünen Hertha BSC, der gerade sein 125-jähriges Vereinsjubiläum begeht, als sei eine glänzende Karriere zu krönen? Es passt jemand, der davon so wenig vorweisen kann wie die Hertha. Dieser Jemand heißt Franz Biberkopf, der tragikomische Held aus Alfred Döblins Jahrhundertroman Berlin Alexanderplatz (1929), kantig wie Berlin, unverwüstlich in seinem Optimismus, vernarrt in seine Überlebenskunst. „Wir sind alle schon mal aus die Pantinen gekippt, da heißt es, Bauch rein und Brust raus und rasch wieder auf die Beene“, röhrt er als Straßenhändler. Einer der abstürzt, um wieder aufzustehen. Hertha und Biberkopf sitzen in einer Gondel, wenn sich das Lebensrad dreht.
In der
ht.In der Ausstellung Hauptstadtfußball – 125 Jahre Hertha & Lokalrivalen im Berliner Ephraim-Palais sucht man Herthas Alter Ego natürlich vergeblich. Dabei hätte statt des Mannes schon Biberkopfs Esprit gereicht, um der turbulenten Geschichte eines Lokalmatadors den erhellenden Blick zu gönnen. Das soll kein Vorwurf an die Macher sein. Die Exposition zollt dem Anlass Tribut, erzählt Vereinshistorie nach – und lässt es damit bewenden. Will heißen, diese Zeitreise hätte neben vielen (Ab-)Bildern gelegentliche Röntgenaufnahmen gut vertragen, um an Tiefenschärfe zu gewinnen. Proletarische HerkunftWeil die Kuratoren Stella di Leo und Sebastian Ruff dies schuldig bleiben, können sie auch ihr Versprechen nicht halten, das osmotische Verhältnis zwischen Hertha- und Berlin-Geschichte auszuforschen. Zwar werden die großen Zäsuren thematisiert – die Weltkriege, die NS-Diktatur, Mauerbau und Mauerfall, die Rückkehr der Stadt in den Hauptstadtmodus. Nur vernachlässigt derlei Großraumbewirtschaftung die sozialhistorischen Wurzeln eines Berliner Charakterkopfs wie der Hertha. die – um bei Biberkopf zu bleiben – „können's off den Kopp stellen, immer wieder kommt'se off die Beene“. Dabei hätte die Herkunft des Vereins aus dem Arbeiterbezirk Wedding doch eine ideale Vorlage geliefert, um Geschichtsräume auszuschreiten und einem Verein gerecht zu werden, die auf mehr als Torjägerkanonen stolz sein kann. Wenn um 1930 Demonstrationszüge im Wedding aufbrachen, stockte erst der Verkehr im Tiergarten, anschließend kam der bürgerliche Müßiggang am Tauentzien aus dem Tritt, während andere Tritt fassten und sangen: „Links, links, links, die Trommeln werden gerührt / Links, links, links, die Arbeiterklasse marschiert! Wir fragen euch nicht nach Verband und Partei. Seid ihr nur ehrlich im Kampf mit dabei. Gegen Unrecht und Reaktion.“ Immerhin standen die Herthaner in jener Zeit sechsmal im Finale um die deutsche Fußballmeisterschaft und errangen zweimal (1930/1931) den Titel. Da der Verein im proletarischen Norden Berlins zuhause war, einem zusehends verelendenden Milieu, blieb er davon nicht unberührt. Noch im April 1933 hieß es in den Vereinsnachrichten: „Vergessen wir auch nicht, dass der brutale Kampf ums tägliche Brot Formen angenommen hat, die man früher nur in Ausnahmefällen kannte ...“ Förmlich auf der Schwelle zur Hertha spielte sich ab, was am 1. Mai 1929 der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel anrichtete. Er ließ im Wedding eine polizeiliche Bürgerkriegsarmee auffahren, um die traditionellen Maiumzüge zu verhindern (es gab 32 Tote und hunderte von Verletzten). Die Ausstellung nimmt davon keinerlei Notiz und hält es mehr mit einem Geschichtsbild im Fußballformat.Geld für Platzwart und PianistenDie Ausnahmen von dieser Teilamnesie sind zugleich die kleinen Sensationen der Schau, etwa die Tafel mit den auf ergrautem Papier gedruckten, aus vier Paragrafen bestehenden Hertha-Statuten von 1892, denen sich entnehmen lässt, dass der Verein der „Pflege des Fußballsports und der Geselligkeit“ zu dienen hat. So weist der erste Kassenbericht von 1893 nur 17,65 Reichsmark an Einnahmen aus, weil neben dem Platzwart auch Pianisten bezahlt werden müssen, die zu Vereinsabenden aufspielen. Im Übrigen findet sich in der Hertha-Satzung keine Ausschlussklausel, mit der seinerzeit viele Sportclubs aufwarteten, um mit einer Art „Arierparagrafen“ jüdischen Deutschen Mitgliedschaften zu verwehren. Was Jahrzehnte später nichts daran ändert, dass Hertha im Frühjahr 1933 vom NS-System vereinnahmt wird – was die Anhänger wie quittiert haben? Schließlich wählten im Wedding bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 noch 47 Prozent KPD und nur etwas über 20 Prozent NSDAP. Wenn die Hertha ihren blauweißen Kern mit einer braunen Hülle umgab, dürfte das viele Mitglieder nicht eben in Entzücken versetzt haben. Gingen die Zuschauerzahlen zurück? Die Ausstellung schweigt sich aus und greift auf zwei symbolträchtige Bilder zurück, um das Kapitel Gleichschaltung abzuhandeln. Das erste zeigt Stürmerstar Hanne Sobeck in tiefer Verbeugung, als ihm ein NS-Gauleiter 1935 den Pokal für die Berlin-Meisterschaft überreicht. Beim zweiten nimmt Sobeck zwei Jahre später ein pompöses Hitler-Bild für sein 100. Spiel in der Berlin-Auswahl entgegen. Bei diesen Sequenzen, so der Eindruck, rollt immer noch der Fußball den Teppich aus, nicht das Regime. Damit im Ephraim-Palais kein allzu gnädiges Gedächtnis waltet, wird – fast möchte man sagen: zum Glück – an den jüdischen Mannschaftsarzt Hermann Horwitz erinnert, der 1943 nach Auschwitz verschleppt wurde und dort ums Leben kam. Dass sein Schicksal nun so detailliert rekonstruiert werden kann, ist Hertha-Fans zu verdanken, die dazu in etlichen Archiven recherchiert haben. Und überhaupt, die Fangemeinde. Sie soll für ein Drittel der Exponate gesorgt haben, heißt es im Katalog. Nur warum taucht dann die Fan-Szene bestenfalls episodisch auf, noch dazu beschränkt auf Gewaltexzesse der „Hertha-Frösche“ in den 70ern, als sich eine raue urbane Subkultur Geltung verschaffte? Ausgeblendet bleibt, wie sich Fan-Gruppen heute um eine eigene optische Ästhetik bemühen, denkt man etwa an die Choreographien der Ostkurve im Olympiastadion. Nicht gewürdigt wird des weiteren die Vehemenz, mit der sich beispielsweise die Harlekins Berlin ’98 als Teil des Anhangs gegen einen kommerziell kontaminierten Fußball verwahren, der zu Markte trägt, was immer sich verkaufen lässt – und sei es die Seele dieses Sports.Placeholder infobox-1
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