Anfang November 2011 hatte sich der damalige PASOK-Premier Giorgos Papandreou in höchster Bedrängnis zu einer spektakulären Ankündigung durchgerungen. Als seinem Land der Preis für weitere Kredithilfen aus dem EU-Krisenfonds präsentiert wurde – nämlich ein sozialer Aderlass, wie er für Griechenland seit Ende des Zweiten Weltkrieges ohne Beispiel war – trat er die Flucht nach vorn an. Das Volk sollte in einem Referendum entscheiden, ob es sich neuen Auflagen unterwerfen wolle oder nicht.
Papandreou wurde daraufhin für 48 Stunden von etlichen Partner in der EU so behandelt, als sei er von allen guten Geistern verlassen und spiele wie ein Amok laufender Saboteur mit dem Schicksal der Euro-Gemeinschaft. Besonders Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, die gerade auf dem G20-Gipfel von Cannes zu tun hatten, pfiffen ihn ungeniert zurück. Wie konnte man darauf verfallen, bei anstehenden Maßnahmen, von denen die soziale Existenz des griechischen Volkes abhing, dieses Volk zu fragen, ob es damit einverstanden sei?
Papandreou wurden prompt die Instrumente gezeigt: Entweder weitere Finanzhilfen und Erhalt der Zahlungsfähigkeit oder Plebiszit und Staatsbankrott. Man konnte diese Alternative auch als Entscheidung zwischen Diktat und Demokratie deuten. Wie das Ganze ausging, ist bekannt. Papandreou kapitulierte und sagte sein Vorhaben ab.
Tatsächlich wurde ein derartiges Referendum nur vertagt. Erst auf die Parlamentswahl am 6. Mai, deren Ergebnis dazu angetan war, eine weitere Regierungsübernahme durch PASOK und Nea Dimokratia zu verhindern, inzwischen auf den 17. Juni. An diesem Tag können die Griechen erneut entscheiden, ob sie Souveränität zurückerobern wollen und wie sie damit umgehen werden, falls ihnen das gelingt. Immerhin bürgt besonders die Linksallianz SYRIZA dafür, dass die dem Land verordnete soziale und ökonomische Auszehrung nicht mehr ergeben hingenommen wird, und die Konditionen europäischer Hilfsprogramme neu ausgehandelt werden könnten.
Darin spiegeln sich weder Hochmut noch Wunschdenken noch Verantwortungslosigkeit. Es geht um die Notwendigkeit, mit einer Politik zu brechen, über deren sozialen Unverträglichkeit gar nicht mehr geredet werden muss. Die liegt offen zutage, es reicht auf die teilweise Verelendung von Teile der griechischen Bevölkerung zu verweisen. Worum es jetzt geht, dass ist die Abkehr von einem ökonomischen Irrsinn, der Euro-Ländern die Quellen von wirtschaftlicher Erholung und Wachstum förmlich versiegelt und ihnen damit zugleich jede Chance nimmt, ihre Schulden zurückzuzahlen. Griechenland, aber auch Spanien, Portugal oder Italien werden dazu verdammt, wegen ihrer finanziellen Abhängigkeiten, auf Jahrzehnte eine Marionette der Finanzmärkte zu sein. Bestenfalls die Bedingungen für diesen Status sind verhandelbar, allerdings nicht in Athen, Madrid, Lissabon oder Rom, sondern vorzugsweise in Brüssel, wenn dort der Europäische Rat oder die EU-Finanzminister tagen. Es geht um nicht mehr und weniger als die Frage, ob in den hochverschuldeten Ländern das permanente Diktat einer europäischen Finanzoligarchie geduldet wird oder dies Widerstände stößt, die Europa ein Beispiel geben. Was sich momentan in Griechenland ereignet, ist insofern auch eine Botschaft an Europa, die immerhin aus dem schwächsten und am stärksten durch die bisherige EU-Krisenpolitik geschädigten Euroland kommt. Unterschätzt werden sollte das nicht.
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