Putins ideologischer Cocktail

RUSSLAND Mit dem neuen Präsidenten hat die Transformation nach der Transformation begonnen

Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. - Die Revolution muß aufhören, und die Republik muß anfangen." Die Sätze spiegeln Revolutions-Frust und Reorganisations-Lust. Formuliert hat sie Georg Büchner in seinem Drama Dantons Tod und dem Dantonisten Herault de Séchelles in den Mund gelegt, der Anfang 1794 die französische Revolution in ihr finales Stadium taumeln sieht und den Drang nach einem Bruch im Umbruch nicht länger zügeln will. Herault stirbt - als Konterrevolutionär gebrandmarkt - zusammen mit seinem geistigen Paten Georges Danton am 5. April 1794 auf der Guillotine, aber die "Reorganisation" lässt nur noch 133 Tage auf sich warten. Am 27. Juli 1794 - nach dem Revolutionskalender der 9. Thermidor - erliegen die Jakobiner um Robespierre dem konzentrierten Angriff ihrer Feinde. Frankreich krönt seine Große Bürgerliche Revolution mit dem Sieg des Großbürgertums.

Zeugt - gemessen an den Fieberkurven derartiger Umschwünge - die Inthronisation des neuen russischen Präsidenten von einer ähnlichen Zäsur? Hat Russland am 7. Mai 2000 - dem Tag der Amtsübernahme Wladimir Putins - seinen 9. Thermidor erlebt, den Abschied von der eruptiven Phase der Transformation, um in das "Stadium der Reorganisation" einzutreten? Zweifellos kam dieser Thermidor nicht mit brachialer Gewalt über die Zeitläufte. Er geriet eher sanft, wofür es unter anderem die Erklärung gibt, dass er eigentlich schon am 31. Dezember 1999 stattfand, als das System Jelzin ohne "konzentrierten Angriff" seiner Feinde geräuscharm abdankte.

Der Nachfolger lässt nun durch forsche Personalentscheidungen und eine rigorose Bandagierung allzu selbstherrlicher Provinzgouverneure eine Autorität aufblitzen, die Jelzin zuletzt bestenfalls als cholerischen Kraftakt offenbarte. Putin gibt zu verstehen, wie Russland wieder zu innerer Geschlossenheit finden kann: Es respektiert die Zentralgewalt, hofiert seine Armee, diszipliniert eine abtrünnige Peripherie und toleriert entstandene Machtclans. Über die Größe präsidialer Macht "reorganisiert" sich die Großmacht. Kurzum, das postsowjetische Russland Jelzins weicht dem Post-Jelzin-Russland Putins und nähert sich wieder dem, was die Sowjetunion war, ohne es auch nur ansatzweise zu sein.

Eine Transformation nach der Transformation - geradezu exemplarisch bürgt dafür die Person des neuen Premiers Michail Kasjanow. Als langjähriger Unterhändler bei Weltbank und IWF mitnichten der Prokurist einer Nuklearmacht, der Putin wirtschaftspolitisch den Rücken frei und die Gläubiger bei Laune hält - viel mehr eine freundliche Offerte an die Adresse der neuen Oligarchen aus den finanz-industriellen Gruppierungen von Rosprom bis Most-Bank. Der Ex-Finanzminister übernimmt unter anderen Vorzeichen die gleiche Mission, wie sie vor einem halben Jahrzehnt dem Ex-Erdgasminister Tschernomyrdin als Premier Boris Jelzins gegenüber den alten Wirtschaftseliten aus den gewaltigen Konglomeraten wie Gasprom oder Lukoil zugedacht war. Auf den postsowjetischen Industriemanager folgt der wirtschaftsliberale Finanzmanager - da gewinnt nicht nur die "Reorganisation" an Kontur, auch eine präsidiale Amtsführung, die in Moskau bereits süffisant als "Putins ideologischer Cocktail" auf den Begriff gebracht wird. Liberale Wirtschaftspolitik garniert mit Sozialpatriotismus, will heißen, sollte Kasjanow die Ökonomie mit der gleichen Härte sanieren, die er bisher der Staatskasse angedeihen ließ, dürften ineffiziente Betriebe dank gekappter Subventionsstränge gleich reihenweise aus dem Markt kippen. Diesen Radikalismus wird der Präsident mit flächendeckenden Nothilfen für die Gestrauchelten parieren und die schützende Hand des "Vaters der Nation" spüren lassen, in dem die Nesawissimaja Gaseta bereits eine "konservative Spielart des Gaullismus" zu erkennen glaubt. Außenpolitisch ein fragwürdiger Vergleich. Während de Gaulle zu Beginn seiner Amtszeit den Algerien-Krieg beendete und das Verhältnis zur NATO einfror, führt Putin erst einmal Krieg in Tschetschenien und will die Beziehungen zur westlichen Allianz eher auftauen, wobei die zu den USA erkennbar Priorität genießen. Genau so, wie es zu Sowjetzeiten war. Eine "Reorganisation" eben, die aufholen will, was sie mit der "Revolution" verloren hat.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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