Revolution der Pflastersteine

Thailand In Bangkok scheinen die Regierungsgegner auf dem Rückzug vor der Gewalt des Militärs. Doch weitere Machtproben mit Premier Abhisit werden mit Sicherheit folgen

Ex-Premier Thaksin Shinawatra hatte zur Revolution gerufen, aber zum Revolutionär wurde er deshalb noch lange nicht, zum Volkstribun schon. Wie eine Ikone schwebte er über dem Aufstand von Bangkok. Auch wenn seine Anhänger in den roten Hemden eigentlich wissen sollten, dieser Mann bürgt keineswegs für die ersehnte Gerechtigkeit und Selbstreinigung der thailändischen Gesellschaft.

Als Thaksin durch den Militärputsch vom 19. September 2006 aus dem Amt geräumt wurde, gab es Korruptionsvorwürfe en masse. Und die waren alles andere als aus der Luft gegriffen. Allein die Umstände, unter denen der Kommunikationskonzern Shin Corp. an die staatliche Singapurer Investitionsgesellschaft Temasek Holdings Ltd. Thaksins verkauft wurde, sprachen Bände. Kein Zweifel, dass hier die Familie des Regierungschefs den großen Schnitt machte.

Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass bei den letzten Wahlen am 23. Dezember 2007 die Phak Palang Prachachon (PPP), eine Nachfolgepartei von Thaksins Thai Rak Thai, triumphierte. Mit ihr ein Programm, das sich der armen Schichten und der Landbevölkerung annehmen wollte. Die etablierten monarchischen und militärischen Eliten Thailands sahen nicht zu Unrecht Pfründe und Privilegien bedroht. Sie taten deshalb alles, um im Sog der spektakulären Flughafenbesetzungen vom Dezember 2008 die Demokratische Partei mit ihrer Galionsfigur Abhisit Vejjajiva ins Regierungsamt zu hieven. Legitimiert war dieser Premier dadurch nicht, er verdankte sein Mandat allein einem Dekret des Königs und dem Willen der großen Familien. Abhisits Blamage als Gastgeber des AEAN-Gipfels vor wenigen Tagen, als Thaksin-Anhänger den Tagungsort Pattaya stürmten, war ein Indiz dafür: Hier regiert eine Marionette, der die Macht schnell entgleiten kann.

Auch wenn die Kraftprobe der vergangenen drei Tage nun mit dem Rückzug der „Rothemden“ vorerst entschieden scheint, gilt doch als sicher, weitere Konfrontationen werden folgen. Um so mehr sollte es hierzulande nachdenklich stimmen, dass ein sozialer Konflikt mit solcher Wucht explodieren kann. Diese Erfahrung sollte mehr beschäftigen als die gestörte Idylle deutscher Touristen. Dass in Thailand ein Bürgerkrieg unter dem Straßenpflaster schwelt, musste auch dem nur sporadisch Nachrichten konsumierenden Zeitgenossen bekannt sein. Wer meinte, trotzdem dorthin hinfliegen zu müssen, der wusste oder ahnte zumindest, was passieren kann. Das Mitgefühl für die Insassen wohlfeiler Urlaubsreservate, denen nun das Wonnegefühl schwindet, hält sich daher in Grenzen. Was sollen erst die ASEAN-Regierungschefs sagen, die immerhin mit Helikoptern aus Pattaya weichen mussten, um vor dem Volkszorn sicher zu sein. Ein wirklich epochales Bild, wenn Volksvertreter vor dem Volk gerettet werden.

Und überhaupt, ist nicht die ganze Betroffenheit von vermeintlich Nichtbetroffenen, ob Touristen oder ASEAN-Honoratioren, eine wunderbare Bestätigung dafür, wie unsere Welt zur globalen Schicksalsgemeinschaft mutiert, in der zusammenwächst, was zusammen gehört? Die Weltfinanzkrise verrichtet mit faustischer Gründlichkeit ihr Werk. Sie hat die Weltordnung nicht nur erschüttert, sondern in des Wortes direkter Bedeutung zusammen schrumpfen lassen. Und dabei auch Thailand zum Opfer erkoren. Hatte die Asien-Krise (auch ein Finanz- und Banken-Debakel) Ende der neunziger Jahre dem Land schon kräftig zugesetzt, blieb die durchgreifende Erholung bis zuletzt ein Wunschtraum. Kein Wunder, denn die thailändische Wirtschaft ist stark exportgestützt. Traditionell gehen 21 Prozent der Ausfuhren in die USA und 16 Prozent nach Japan, deren Konjunktur derzeit solche Bremsspuren aufweist, das sich der Gebrauch des Wortes Konjunktur eigentlich verbietet.

Auch ein Thaksin Shinawatra würde daran zunächst wenig ändern können, aber er wäre unter Umständen eine Gewähr dafür, dass die Lasten der Krise anders verteilt werden als bisher in Thailand üblich.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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