Säen und Ernten

Gas-Streit Mit der Lieferblockade für russisches Gas könnte es schnell vorbei sein, wenn sich die EU zu einer klaren Verurteilung der ukrainischen Transitboykotts durchringt

Die EU ist einmal mehr bestürzt über die nachgerade mystische Kraft, die sich dem Gas-Strom von Russland nach Westeuropa via Ukraine in den Weg stellt. Dabei lässt sich das Gas-Orakel leicht entschlüsseln. Man erntet, was man gesät hat, lautet die Botschaft. Die Europäische Union erhält die Quittung dafür, zuletzt nicht wenig getan zu haben, einen Keil zwischen Russland und die Ukraine zu treiben.

Zur Erinnerung: Die Orange-Revolutionäre wurden 2004 in Westeuropa hofiert wie sonst nur noch der Dalai Lama, weil sie die russlandfreundlichen Kräfte in der Ukraine abzuräumen versprachen und für eine stringente Westbindung zu bürgen schienen. Die Erwartung hatte mit den tatsächlichen regionalen Verhältnissen, der Patt-Situation zwischen beiden politischen Hauptlagern wie der Ost-West-Spaltung des Landes – hier die vorwiegend russischsprachige Bevölkerung, dort die ukrainische – nicht viel zu tun. An der Parteinahme für den vermeintlichen Revolutionshelden Juschtschenko änderte das nichts. Als sein Stern nach den Wahlen 2007 unaufhaltsam zu sinken begann und die Reputation im Lande darunter litt, konnte das andauernde Wohlwollen in den EU-Hauptstädten nur dazu führen, diesen Präsidenten in einer Selbstüberschätzung zu bestärken. Die erweist sich für die Ukraine inzwischen mehr und mehr als ein Fluch. Viktor Juschtschenko kann sich in der Rada, dem Parlament in Kiew, gerade noch auf 15 Prozent der Mandate stützen. Ein Grund dafür, das trotz der seit September andauernden Regierungskrise keine Neuwahlen stattfinden. Bei denen dürfte mit einem deutlichen Erfolg der Partei Block Julia Timoschenko und mit einem Sieg der Russland freundlichen Partei der Regionen von Ex-Premier Viktor Janukowitsch zu rechnen sein. Sollte ein Zweckbündnis zwischen diesen beiden Formationen zustande kommen, wäre es mit der Polarisierung gegenüber Russland vorbei, vor allem aber eine politische Neuordnung der Ukraine fällig, die eine Ära Juschtschenko der Geschichte überantworten könnte.
Was wird dann aus den NATO-Ambitionen und einer möglichen EU-Aspirantur? Das Gasstreit ist insofern für das Juschtschenko-Lager eine willkommene Gelegenheit, die Fronten mit Russland zu stabilisieren und dem Westen zu bedeuten, an welchen Hebeln man notfalls sitzt, um sich gegen schwindsüchtige Sympathien bei den Gönnern der Revolution in Orange zu wehren. Da man sich in Berlin, Brüssel oder Prag in Sachen Gas-Export nie zu einer klaren Schuldzuweisung an Kiew durchringen konnte, auch wenn unstrittig ist, dass für West- und Südeuropa gedachtes Gas auf dem ukrainischen Transitweg abgezweigt wurde und wohl weiter wird, gibt es einen weiteren Effekt, den die Präsidenten-Fraktion in Kiew sehr schätzen dürfte: Gazprom wird eine Mitverantwortung angelastet, der Imageschaden ist irreversibel – Gazprom wird bis auf weiteres mit dem Stigma belastet, ein unsicherer Kantonist zu sein. Da kann Wladimir Putin die Gazprom-Zentrale sooft besuchen, wie er will – Viktor Juschtschenko lässt ihn seine Grenzen spüren.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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