Schläge und Gegenschläge

Iran Nach dem Sturm auf die britische Botschaft wird Teheran mit militärischer Vergeltung gedroht. Über die regionalen Konsequenzen einer Eskalation wird kaum geredet

Wenn er tun will, was er glaubt, nicht lassen zu können, muss sich der britische Premier David Cameron beeilen. Soll gegen den Iran ein militärisches Exempel statuiert werden, dann jetzt. Später wird kaum zu vermeiden sein, dass die Olympischen Sommerspiele in London 2012 Schaden nehmen, weil auf sie der Schatten eines Krieges fällt. Und wer kann schon wissen, wie lange eine mögliche Konfrontation dauert, falls es Schlag auf Schlag oder Schlag auf Gegenschlag geht? Die iranische Armee hat oft genug versichert, sie werde einem Angriff nicht tatenlos zusehen. Ist mit den zeitlichen Dimensionen der NATO-Intervention in Libyen zu rechnen, wäre von heute aus gesehen gerade noch rechtzeitig Schluss, damit statt der Kriegsfackel die olympische Flamme lodert.

Allein dieses Szenario zeigt, wie absurd und abenteuerlich die immer wieder gegen die Islamische Republik heraufbeschworenen Kriegsfantasien in Wirklichkeit sind. Wenn es ernst wird, gerät nicht nur Olympia 2012 in Gefahr, dann stellen sich konkrete Fragen: Angriff auf welche Ziele? Mit welchen Mitteln? Flächenbombardements oder punktuelle Schläge? Durch wen? Die USA und Israel? Die NATO und Israel? Israel allein? Was geschieht, sollten iranische Truppen die Grenze zum Irak überschreiten und das im Abgang begriffene US-Besatzungskorps angreifen? Es fällt leicht, ein Land kriegsreif zu reden – es wird unmöglich sein, jene Detonationswellen aufzuhalten, die eine ganze Region erschüttern, wenn es zu spät ist. Wie sich im Mittleren Osten und Zentralasien Konfliktherde und -linien längst nicht mehr eingrenzen lassen, das zeigt der Absturz einer US-Drohne des Typs RQ-170 Sentinel über iranischem Territorium vor wenigen Tagen. Sie kam aus dem südafghanischen Kandahar und hatte offenkundig einen Spionageauftrag, der nicht auf den Herkunftsraum beschränkt war.

Weltordnung bleibt Rangordnung

Sicher, der Gewaltausbruch vor der britischen Botschaft in Teheran bezeugt eine gewollte Eskalation, in der sich Machtkämpfe spiegeln, nicht zuletzt um die Nachfolge von Präsident Mahmud Ahmadinedjad. Es geht zudem um einen inneren Burgfrieden gegen äußere Feinde. Und der Westen tut, was er kann, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen und die Botschaftsstürmer sowie ihre Hintermänner nicht zu enttäuschen. Er begnügt sich seit Jahrzehnten mit dem notorischen Reflex, Iran auf die Anklagebank zu verbannen, anstatt über die Koexistenz mit einer Regionalmacht nachzudenken, deren Sicherheitsinteressen nicht weniger legitim sind als die der Türkei. Warum nicht endlich durch Gleichbehandlung dafür sorgen, dass man sich bei allem Kriegsgerede niemals beim Wort nehmen muss? Solange das nicht geschieht, bleibt der Iran-Konflikt ein Paradigma, dessen Credo in etwa lautet: Weltordnung bleibt Rangordnung. Wer sie stört, wird in Schach gehalten, gegebenenfalls mit militärischem Druck oder militärischer Gewalt zum Verzicht auf Souveränität genötigt, wie der Iran beispielsweise mit seinem Programm zur Nutzung nuklearer Energie in Anspruch nimmt.

Das Recht dazu wird weder durch die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) noch die USA noch die EU oder sonst wen verliehen – es ist all den Staaten eingeräumt, die den 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben. Dessen Artikel 4 bestätigt ausdrücklich „das Recht auf die zivile Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie“. Und im Unterschied zu den Atommächten Israel, Indien und Pakistan gehört die Islamische Republik Iran zu den Signatarmächten dieses Abkommens. Dass damit Pflichten zur Kontrolle durch die IAEA verbunden sind steht ebenso außer Frage wie der Umstand, dass sich Teheran daran in der Vergangenheit nicht in ausreichendem Maße gehalten. Doch bleibt sein Anspruch auf die friedliche Nutzung der Kernenergie auch davon letzten Endes unberührt.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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