Staatspartei in Abwicklung

KOMMENTAR Mexiko und das 21. Jahrhundert

Was konnte dem PRI eigentlich Besseres geschehen, als diese Niederlage an der Wahlurne hinnehmen zu müssen. Die Partei hatte sich längst als nationaler Patriarch überlebt. Als ihr vorerst letzter Präsident agierte Ernesto Zedillo mit seinen zaghaften Reformen eher als Konkursverwalter denn als dynamischer Landesvater. Er schien signalisieren zu wollen, lasst uns die PRI-Dynastie nicht um den Preis einer quälenden Agonie verlängern, lasst uns erhobenen Hauptes abtreten. Folgerichtig stand PRI-Kandidat Francisco Labastida beim jüngsten Votum vor der Alternative, in Ehren unterzugehen oder einen Pyrrhus-Sieg zu landen, an den niemand glauben konnte, weil ihm stets der Geruch von Manipulation anhaften musste. Zu eindeutig tendierten die letzten Umfragen vor dem 2. Juli in Richtung Vicente Fox vom Partido Acción Nacional (PAN).

Es klingt paradox - aber der Präsident Ernesto Zedillo war seiner Partei vor allem dadurch zu Diensten, indem er sie zur autoritären Ader ließ. Der PRI wird nun Macht abgeben, aber nicht vollends aufgeben und den vom Wähler erzwungenen Rückzug zur Regeneration nutzen müssen - alles andere würde auf Zerfall hinauslaufen. Ernesto Zedillos politisches Schicksal gerät dabei fast zur Tragikomödie: Er wollte durch Reformen erhalten, was nicht mehr zu halten war. Das machte ihn notgedrungen zum - mit Abstrichen - demokratischen Statthalter einer "einst perfekten Diktatur" (Mario Vargas Llosa), die nach mehr als 71 Jahren unumschränkter Herrschaft an diesem Widerspruch zerbrechen musste. Der PRI war nie dazu bestimmt, Macht zu teilen - seine historische Mission bestand darin, dieselbe zu verteilen. Mexikos Chronik des 21. Jahrhunderts beginnt nicht zufällig mit dem vorläufigen Ende dieses autoritären Anachronismus. Das PRI-System dümpelte schon Ende der achtziger Jahre in eine Existenzkrise, die zur unaufhaltsamen Erosion wurde, als der nationale Firnis des PRI-Staates nicht länger als Farbe der Saison gelten durfte. So sehr der PRI zwischen 1917 und 1930 ein konstitutives Element der mexikanischen Nation gewesen war, so sehr hatte er in eben dieser Funktion ausgespielt, als diese Nation gegen Ende des Jahrhunderts an Selbstbestimmung verlor. Seit dem Eintritt Mexikos in die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA 1993/94 ein geradezu irreversibler Prozess. Die ein Jahr später ausbrechende Peso-Krise - sie brachte das Land an den Rand des ökonomischen Kollaps - wurde vorzugsweise von einem internationalen Bankenkonsortium reguliert. Die PRI-Regierung sah sich mit der Rolle des subalternen Sekundanten noch gut besetzt. Als sie in ihrem - ansonsten flächendeckenden - Machtanspruch gefordert war, musste die Staatspartei ein überzeugendes Bekenntnis ihrer Ohnmacht ablegen. Von dieser Unerbittlichkeit der Zeitläufte sollte sie sich nicht mehr erholen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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