Super-Maastricht

Konzertierte Aktion Wenn Merkel und Sarkozy ihre Vertragsreformen präsentieren, darf sich die Finanzwelt in einer neuen Art von Kriegsführung gegen Staaten bestätigt fühlen

Wieder werden entscheidende Tage für Europa prophezeit. Nur welches Europa? Sollte damit ein Staatenbund gemeint sein, der sich einer internationalen Finanzoligarchie ausliefert, dürfte es mit dem Europa der souveränen, demokratischen und gleichberechtigten Nationen vorbei sein. Merkels und Sarkozys erstrebte Fiskal- und Stabilitätsunion wird mit der Europäischen Union der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht mehr viel zu tun haben – Super-Maastricht ist nicht die Fortschreibung von Maastricht, sondern Maastricht minus Souveränität der Maastricht-Staaten. Wenn eine Austeritätspolitik ohne Wenn und Aber in Vertragsform gegossen wird, gibt es kein Entrinnen mehr. Dann degenerieren Regierungen zu Filialleitungen eines Kredit- und Finanzsystems, dessen Rendite-Erwartungen über nationale Haushalte, Konjunkturverläufe und soziale Schicksale entscheiden.

Wie Eroberungen

Für die Finanzinvestoren hat es sich offenkundig gelohnt, den Großschuldnern von Griechenland bis Italien kein Friedensangebot zu machen, sondern dieselben wie Eroberungen zu behandeln, aus denen sich mehr Tribut ziehen lässt, als Zins und Tilgung für ausgereichte Kredite hergeben. Die Großschuldner – und nicht nur sie – müssen sich fügen, als hätten sie einen Krieg verloren. Von ihnen wird ein Krisenopportunismus erwartet, der ihnen souveräne Rechte bestreitet und zum Verzicht aufs nationale Tafelsilbers nötigt: Natürliche Ressourcen, Immobilien-Besitz und staatliche Infrastruktur, öffentlicher Güter wie Bildung und Gesundheit, nicht zuletzt ein überliefertes Sozialsystem. Mit einem Wort: Super-Maastricht verhilft zur Aufgabe von selbstbestimmter Zukunft für mehr als eine absehbare Zeit.

Zu fragen wäre, spiegelt Super-Maastricht nicht überhaupt Sinn und Zweck der Eurokrisen-Strategie wider, wie sie seit Anfang 2010 von den kerneuropäischen Staaten Deutschland und Frankreich – vor allem aber Deutschland – verfolgt und durchgesetzt wird? Was als Rettungsakt für Euro und Eurozone firmiert, erweist sich bei genauerem Hinsehen als konzertierte Aktion zwischen steter Krisenverschärfung durch eine internationale Finanz-Oligarchie und einem – dies ermöglichenden – Krisenmanagement durch führende Eurostaaten, die EU-Kommission wie den Internationalen Währungsfonds. Ein aussagekräftiges Indiz dafür, ist der Krisenverlauf: Was auch immer geschah, hat die Krise nicht eingedämmt, sondern ausufern lassen. Auf Griechenland folgten Irland und Portugal. Nach deren Talfahrt an den Finanzmärkten tauchten die zinsrelevanten Zweifel an der Kreditwürdigkeit und Solvenz Spaniens, Italiens, Belgiens, sogar Frankreichs und Österreichs auf.

Neoliberaler Durchmarsch

Ein weiteres Merkmal für diese konzertierte Aktion, ist die Erfolglosigkeit ihres Anti-Krisen-Programms für die Schuldenstaaten. Der ihnen oktroyierte Tritt auf die Schuldenbremse führt erkennbar zu ökonomischer Depression. Was an Mitteln für den Schuldendienst aus den Sozialetats herausgepresst, an Altersversorgung gekappt, an Steuern erhöht oder an öffentlichen Gütern privatisiert (besser: geopfert) wird – es beschert den betroffenen Staaten durch einen ökonomischen Aderlass das weiter schwindende Vermögen, ihre Schulden zu bezahlen. Durch den Zinsschub steigt die Verschuldung noch.

Wird dieses Prinzip mit Super-Maastricht zur Euronorm erklärt, degeneriert die Eurozone zum Experimentierfeld einer supranationalen Austeritätspolitik. Dabei ist Deutschland nicht wie immer suggeriert wird, ein wie alle anderen Eurostaaten Getriebener der Finanzmärkte, sondern die Triebkraft eines neuen, künftigen Europas der Finanzautokratie. Die Regierung Merkel handelt in dem Glauben, alles richtig gemacht und deshalb alles hinter sich zu haben. Doch es ist anzunehmen, dass Merkels neoliberaler Durchmarsch bald auch wie ein Alp auf den Rudimenten der deutschen Sozialsysteme liegen wird.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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