Nie waren die USA unberechenbarer als unter Donald Trump
Foto: Jim Watson/AFP/Getty Images
Es ist so weit, dass man über Donald Trump kein gutes Wort mehr verlieren darf, ohne in Verdacht zu geraten, sich mit einem Sicherheitsrisiko gemeinzumachen. Als der so Gescholtene Anfang April einen syrischen Militärstützpunkt mit Marschflugkörpern angreifen ließ, war das noch anders. Der Beifall im Westen, besonders in der NATO, brandete auf. Die Attacke passte ins Bild gewohnter US-Interventionspolitik. Nie waren die USA unter Präsident Trump berechenbarer. Es schien eher irrelevant, dass ein solcher Schlag immer das Zeug dazu hat, in den großen Schlagabtausch zu münden. Was ist der Frieden schon wert, wenn er durch Friedfertigkeit erkauft werden soll? Oder durch Entspannung mit Russland?
Die wollte Trump womöglich jüngst im Gespräch
präch mit Außenminister Lawrow voranbringen, als er hochkarätiges Geheimdienstwissen serviert haben soll. Natürlich drängt sich die Annahme auf, da ließ einer Kronjuwelen durch die Finger gleiten, um damit anzugeben. Und wenn schon? Warum hat die andere Lesart so gar keine Chance, dass sich der US-Präsident nicht nur wie „ein Kind“, sondern auch wie ein Politiker aufführte, der das Verhältnis zu Moskau entkrampfen und erreichen will, dass sich Russland in der Anti-IS-Koalition stärker engagiert? Vorgänger Obama hat das islamistische Terrorkonglomerat immerhin zur „größten Bedrohung für die internationale Gemeinschaft seit 25 Jahren“ erklärt. Sollte man dann nicht die Kräfte bündeln, um dem gewachsen zu sein? Scheinbar geht das nur, wenn klar ist, dass der Feind meines Feindes mein Feind bleibt, auch wenn ich ihn als Partner brauche. Diese hochgradige Schizophrenie verstehe, wer will. Donald Trump ist das offenbar nicht gegeben, weshalb er sich für den NATO-Gipfel in Brüssel mehr Bringschuld aufgeladen hat, als im lieb sein dürfte. Ein Treueschwur auf das westliche Bündnis ist das Mindeste, was man hören will. Die Allianz ihrerseits wird ein Zeichen der Geschlossenheit setzen, um tendenzieller Verunsicherung zu trotzen. Deren Hoheitsgebiet wird nicht eben kleiner und bietet Platz für existenzielle Fragen wie Anfang der 90er, als mit dem Ende der Bündniskonfrontation auch das Bündnis am Ende schien. Zwar ist die NATO gerade in keinen kriegerischen Konflikt verwickelt, der sie derart überfordert wie bis 2014 in Afghanistan, auch werden weder die Mitgliedsländer noch die Feindbilder knapp. Was allerdings zusetzt, das sind Irritationen über die Führungsmacht. Die USA treten mit einem Präsidenten auf, der zu impulsivem, oft egomanischem, schwer kalkulierbarem Verhalten neigt, dem auf einen ersten Blick weniger die strategische Vision als narzisstische Obsession zugrunde liegt: America first gleich Trump first. Nur sollte man sich daran weder übermäßig noch zu lange abarbeiten. Es könnte schnell übersehen werden, dass im Weißen Haus weniger der Führungsanspruch verloren ging als der Wille, ihm wie bisher zu genügen. Was für die NATO zur Zäsur taugt. Als käme den sieben Zwergen das Schneewittchen abhanden, sofern das Referenzsubjekt als Garantie des Gruppenprojekts firmiert, weil das eine ohne das andere nicht auskommen kann. Es sei denn, die Geschichte wird umgeschrieben, und jeder darf seiner Wege ziehen. Gilt dies für das Verhältnis zu Russland, folgt Donald Trump spätestens seit seiner Wahlkampagne dem eigenen Wonnepfad, beschreitet ihn aber in der verunsichernden Gewissheit, dass westlicher Zeitgeist Fühlungnahme mit Präsident Putin zum Sakrileg, wenn nicht zur Subversion erklärt. Zwischen diesem Druck und eigenem Handlungsdrang hin- und hergerissen, hat Trump mehr verdorben als verbessert. Anstatt seine Russland-Kontakte zu verschleiern, hätte er offensiv für mehr Interessenausgleich mit der eurasischen Großmacht werben und versuchen sollen, die NATO dafür zu gewinnen. Ob ihm das gelungen wäre, ist zu bezweifeln, zur Ehre gereicht hätte es ihm allemal mehr als der Hang zum verdeckten Coup.Nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt leitet die Allianz ihr Daseinsrecht wie im Kalten Krieg aus einer Gegnerschaft zu Russland ab. Doch steht außer Frage: Würden die USA da ausscheren, müsste die NATO einschwenken, und das aus einem einfachen Grund: Das Bündnis ist in einer Welt der zerfallenden Ordnungssysteme als globale Ordnungsmacht – zumal im postsowjetischen Raum – längst überfordert, militärisch, politisch, erst recht moralisch. Sollten die USA unerschrocken ihre unilaterale Exklusivität reklamieren und dem Prinzip folgen: Was uns dient, wird von der jetzigen Administration bestens bedient, hat sich die Out-of-area-Herrlichkeit der NATO definitiv erledigt.So angeschlagen er auch sein mag, Donald Trump kann entscheiden, was seinem autoritären Nationalismus mehr zugutekommt, konventionelle Bündnis- oder kooperative Russland-Politik oder von beidem etwas. Aus der NATO-Führungs- wird so eine Entweder-oder-Macht. Entweder ihr rüstet auf, hören die Mitglieder, oder ihr seid für uns obsolet. Entweder ihr nehmt hin, dass wir die transatlantischen Bindungen lockern, oder ihr müsst euer Glück mit einer militärischen Selbstermächtigung der EU versuchen. Wenn Trump die europäischen NATO-Alliierten nicht begreifen lässt, dass der Bruch von Bündnistraditionen mit der Suche nach Bündnisalternativen beantwortet werden muss – was dann?
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