Weltordnung auf Jungfernfahrt

Wüstensturm Vor 20 Jahren fallen Bomben auf Bagdad, der erste Krieg nach dem Ende des Ost-West-Konflikts beginnt – von einer Militärkoalition geführt und von der UNO legitimiert

Am 17. Januar 1991 holt eine internationale Militärallianz unter Führung der USA zur Operation Wüstensturm aus, um die irakische Armee aus Kuwait zu vertreiben. Die hatte den Wüstenstaat des Scheichs Ahmed Jaber al-Jaber am 2. August 1990 besetzt und bald darauf offiziell annektiert. Die Neue Weltordnung, wie sie gerade erst auf der Pariser KSZE-Konferenz vom November 1990 ausgerufen wurde, zählte noch keine drei Monate und ergab sich schon der Überzeugung, im Namen von Recht und Moral sei Krieg die beste Lösung für den Konflikt zwischen zwei Golfstaaten. Weil dies dem Gewaltverbot der UN-Charta widersprach, mussten die Vereinten Nationen über ihren Schatten springen und wurden vom designierten Schirmherrn der Neuen Weltordnung zu deren geduckter Kreatur oder nützlichen Idioten, was sich in den folgenden Jahren – siehe Afghanistan – wiederholen wird. Nur musste es schon vor dem 17. Januar 1991 soweit nicht kommen.

Als Saddam Hussein am 2. August 1990 seine Streitmacht in Kuwait intervenieren lässt, reagiert der UN-Sicherheitsrat noch am gleichen Tag mit der Resolution 660, verurteilt die Aggression und verlangt sofortigen Rückzug. Der Irak stellt sich taub, so dass vier Tage später Resolution 661 folgt und mir ihr ein umfassendes Embargo, das seine Zeit braucht, um Wirkung zu zeigen. Davon unbeeindruckt beginnen die USA – sie werden seinerzeit von George Bush senior regiert –, ein Expeditionskorps in die Wüsten und zu den Basen Saudi-Arabiens zu verschiffen, das bald 300.000 Mann zählt und seinesgleichen sucht. In drei Wochen werden mehr Truppen und Material im Marsch gesetzt als während der ersten drei Monate des Korea-Krieges 1950. Versorgt werden müssen die 300.000 von einem 25.000-Mann-Korps – wer kann sie alle zurückholen, ohne dass ein Schuss fällt und ein Sieg zu feiern ist? Diese Szenarien der vollendeten Tatsachen sind der Neuen Weltordnung wie aus dem Gesicht geschnitten und bedienen eine Dramaturgie der unaufhaltsamen Eskalationsdynamik. In den folgenden Jahren werden diese Stapelläufe zum Krieg ein Muster, dem Alternativen wenig bis nichts mehr anhaben können: ob vor der NATO-Intervention gegen Serbien 1999, vor dem US-Einmarsch in Afghanistan 2001 oder vor dem Enthauptungsschlag gegen Saddam Hussein im März 2003 – immer ist irgendwann der Punkt erreicht, vom dem aus jedes Innehalten entfällt und das Stück nur noch ein Finale haben darf – den Krieg als Fortsetzung von Nichtpolitik mit anderen Mitteln.

Bleibt die Frage, mussten die Vereinten Nationen der Operation Wüstensturm Vorschub leisten, indem sie mit ihrer Resolution 678 vom 1. Dezember 1990 den Gebrauch militärischer Mittel faktisch legitimierten? Waren die USA und ihre Alliierten durch die Weltorganisation tatsächlich bevollmächtigt, den Irak anzugreifen und einem derart zerstörischen Luftkrieg auszusetzen, wie das bis zum Waffenstillstand Anfang März 1991 geschah? Wenn der Weltsicherheitsrat nach Artikel 42 der UN-Charta beschließt, „mit Luft-, See- und Landstreitkräften Maßnahmen durch(zu)führen, die zur Aufrechterhalten oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für notwendig erachtet“ (Text der Charta) werden, dann muss die Federführung des mächtigsten Gremiums der UN-Exekutive jeden Fall gewahrt bleiben. Doch gab es bis zum 17. Januar 1991 weder einen Beschluss unter direkter Bezugnahme auf Artikel 42 noch standen die US-Truppen, die in Armeestärke disloziert und kampfbereit waren, unter Aufsicht des Sicherheitsrates – der besaß keinerlei Kommandogewalt. Insofern sorgte die vor 20 Jahren beginnende Intervention für einen Präzedenzfall. Bis zum 17. Januar 1991 wurde durch die Vereinten Nationen immerhin versucht, eine Balance zwischen Maßnahmen (etwa einem umfassenden Handelsembargo) gegen den Aggressor Irak und einem drohenden Waffengang zu finden. Doch als die ersten US-Raketen auf irakischem Boden einschlugen, war es mit diesem Maßhalten vorbei. Sicher, die Eskalation hin zum Krieg lag in der Logik der Ereignisse seit der Annexion Kuwaits, dennoch konnte sie nur dazu angetan sein, das UN-Sicherheitssystem zu diskreditieren. Die Vereinten Nationen wurden zum willfährigen Vehikel einer gigantischen Waffenschau degradiert und um ihre Chance gebracht, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts einer globalen Friedensmission gerecht zu werden. Und das unter Bedingungen, wie sie noch nie seit Gründung der Weltorganisation 1945 existiert hatten.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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