Zur Demut verdammt

EU Deutschland übernimmt am 1. Juli die Ratspräsidentschaft. Statt eines Strebers braucht es dafür einen Sozialarbeiter
Ausgabe 25/2020
Das vereinte Europa ist ökonomisch derart angeschlagen, dass es als Global Player weiterhin ausfällt. Ein EU-Ratspräsident sollte das verinnerlicht haben
Das vereinte Europa ist ökonomisch derart angeschlagen, dass es als Global Player weiterhin ausfällt. Ein EU-Ratspräsident sollte das verinnerlicht haben

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Täuschung kann in der Diplomatie eine Waffe, aber auch entlarvend sein. Letzteres traf zu, als Außenminister Maas jüngst bei seinem Israel-Besuch zu verstehen gab, er halte nichts von Druck, um das Verhalten von Regierungen zu ändern. Hintergrund war die israelische Absicht, demnächst einen Teil der Westbank zu annektieren. Die Aussage des Ministers ließ bezweifeln, ob er wusste, wie unlauter das war, was er sagte. Was sollten die seit 2014 vorrangig auf Betreiben Deutschlands verhängten Russland-Sanktionen der EU anderes bewirken, als „Druck“ auf Moskau auszuüben und dessen Verhalten gegenüber der Ukraine zu ändern? Weshalb beteiligte sich Deutschland jahrelang an ökonomischen Strafmaßnahmen gegen den Iran, wenn nicht mit dem Ziel, dessen Führung zur Aufgabe ihrer Nuklearambitionen zu zwingen? Warum wird der Regierung Assad jede Aufbauhilfe für Syrien verweigert?

Sicher muss man Heiko Maas zugestehen, dass es ihm die deutsche Staatsräson schwer verübeln würde, sollte er Druck auf Israel auch nur erwägen, geschweige denn öffentlich darüber reden. Aber muss deshalb der Eindruck erweckt werden, da ist jemand unterwegs, der nur überzeugen will und sofort kapituliert, sobald ihm das verwehrt ist? Der in Kauf nimmt, dass Benjamin Netanjahus Wille zur Okkupation konterkariert, was gern als Markenkern deutscher Außenpolitik gepriesen wird: das Rechtstreue und Werthaltige?

Der Maas-Auftritt in Israel taugt wahrlich zum Paradigma. Er führt vor, wie sich Regierungen unter Angela Merkel seit gut anderthalb Jahrzehnten international präsentieren. Allzu oft wird Rhetorik bemüht, deren Realitätssinn an Realitätsverweigerung grenzt. Als dürften sich Weltanschauung und Weltzustand nicht zu nahe kommen. Wie um dafür den Beweis zu liefern, rundete den Israel-Besuch die Botschaft ab: Natürlich bleibe die Zwei-Staaten-Lösung eine Option. Und das, obwohl Deutschland durch die Hinnahme einer möglichen Annexion nichts dafür tut, dass es einen palästinensischen Staat je geben kann.

Dies wirkt so surreal und paradox wie die Inbrunst, mit der nach jeder Trump-Provokation die transatlantische Brache beackert und so getan wird, als sollte ein Garten Eden erblühen. Offenbar fällt es schwer, sich von der jahrzehntelang und epochenübergreifend inhalierten Gewissheit zu lösen, dass „der Westen“ ein monolithischer Block ist, dem eigentlich nichts weiter fehlt als der Aufstieg Deutschlands zu einer seiner Führungsmächte. Dabei kann man sich längst davon überzeugen, dass taktische und temporäre Bündnisse eine schwerfällige, erodierende Allianz wie die NATO infrage stellen. Allenthalben wird sichtbar, wie sehr klassische Machtpotenziale diffundieren und der Krisenmodus von Staaten und Regionen, aber auch multilateralen Systemen von der UNO über die Welthandels- und Weltgesundheitsorganisation bis zur EU der Normalfall ist. Im Moment mehr denn je. Wer weiß schon, in welcher Verfassung sich die Welt befindet, wenn es mit der Corona-Pandemie irgendwann oder nie vorbei sein wird?

Dass Deutschland unter diesen Umständen am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, sollte dessen Außen- bzw. Europapolitik als Glücksfall schätzen, um Abstand zu gewinnen von sich selbst, deklamatorischem Gebaren, Irrtümern und Illusionen. Der kategorische Imperativ dieses Mandats heißt Demut statt Dominanz. Gebraucht wird kein selbstbewusster Überflieger, sondern der selbstlose Sozialarbeiter. In der EU des Corona-Sommers herrscht ein Klima des raunenden Abwartens und der aufgestauten Aversionen. Vielfach wurden Empathie und Solidarität vermisst, als im März besonders Italien, Spanien und Frankreich unter Covid-19-Infektionen zu leiden hatten. Wer die EU jetzt führt, ist gut beraten, auf geistige Anleihen aus den Jahren der Eurokrise zu verzichten. Gegen Krisenländer des Corona-Kollaps lässt sich schwerlich die Guillotine der Austerität auffahren wie 2010 gegen Griechenland. Souveränitätsverzicht, externe Auflagen wie Privatisierungszwänge für öffentliche Güter sind obsolet und dazu geeignet, die keynesianische Tatkraft aufgelegter Konjunkturprogramme zu hintertreiben.

Der kommende EU-Ratspräsident sollte sich dessen bewusst sein, dass die bisherige Anti-Krisen-Politik zu fragil ist, um sich darauf verlassen zu können. Noch immer gibt es keinen EU-Haushalt für die Zeit von 2021 bis 2027, was nicht ohne Folgen für den 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds der Kommission bleiben kann. Wie soll dafür Kapital an den Finanzmärkten aufgenommen werden, solange offen bleibt, wie der Megaschuldner EU finanziell ausgestattet ist? Welcher Staat kauft Flugzeugträger ohne gültigen Staatshaushalt? Die Tilgung der 750-Milliarden-Schuld soll 2028 beginnen und 2058 enden – und wie bestritten werden? Ursula von der Leyen will, dass die EU eigene Steuern erhebt, was es so noch nie gab.

Das vereinte Europa ist ökonomisch derart angeschlagen, dass es als Global Player weiterhin ausfällt. Ein EU-Ratspräsident sollte das verinnerlicht haben und auf politischen Missionarismus – gegenüber China beispielsweise – zumindest vorübergehend verzichten. Wer aus Israel unverrichteter Dinge wieder abreist, sollte sich nicht zum Zuchtmeister einer Weltmacht berufen fühlen.

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