Wenn die USA und vermutlich auch einige NATO-Alliierte bis in das Jahr 2024 hinein ihre Militärpräsenz in Afghanistan aufrechterhalten, hat das nicht nur etwas, sondern sehr viel mit Pakistan zu tun. Der massive NATO-Angriff auf eine pakistanische Militäreinheit am Wochenende ist mehr als ein Indiz dafür. Es fällt schwer, daran zu glauben, dass es sich um einen unglücklichen Zufall oder Irrtum gehandelt hat – eher verfestigt sich der Eindruck einer gezielten Strafaktion. Seit Monaten sind die Beziehungen zwischen Islamabad und Washington jähem Verfall preisgegeben und mindestens so angespannt wie in der letzten Amtsphase von Militärdiktator Pervez Musharraf im Frühsommer 2008.
Es gibt viele Galionsfiguren und Institutionen des pakistanischen Establishments, denen die US-Administration gern eine Lektion erteilen dürfte. In Betracht kommt die eigensinnige Generalität um Generalstabschef Kayani ebenso wie der Militärgeheimdienst ISI, der seit Jahren im Geruch steht, mit den Taliban zu kollaborieren – den eigenen wie den aus Afghanistan eingesickerten. Längst zählt aus Sicht von Präsident Obamas Pakistan-Berater Bruce Riedel auch die Regierung von Premier Yousaf Raza Gilani von der Volkspartei (PPP) zu den unsicheren Kantonisten. Sie spekuliert ganz ungeniert auf Protektion durch die von Russland und China dominierte Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ).
Die US-Politik der verdeckten wie offenen Feindseligkeit erhielt im Mai Auftrieb, als in der Stadt Abbottabad der Zufluchtsort von Osama bin Laden durch ein US-Kommando gestürmt und der Al-Qaida-Führer erschossen wurde. Pakistans Souveränität hatte sich über Nacht in Luft aufgelöst. Die Regierung Obama hielt das für keinen Stör- oder Sündenfall, sondern einen bestenfalls bedauerlichen Kollateralschaden. Es entfiel jede beschwichtigende oder entschuldigende Erklärung. Schließlich ließ sich nur schwer daran glauben, dass pakistanischen Autoritäten verborgen geblieben war, wer da in Rufweite der größten Militärschule des Landes Asyl gefunden hatte.
Es fragt sich, welchen Sinn eine fortgesetzte Zermürbung Pakistans für die USA im Augenblick haben kann. Züchtigt man die pakistanischen Streitkräfte, um deren Führung zu zwingen, die Grenze mit Afghanistan abzuriegeln, den dortigen Aufständischen Rückzugsräume zu nehmen und die nordwestlichen Stammesgebiete von Gotteskriegern zu säubern? Derartige Nötigung blieb in den vergangenen Jahren stets die gewünschten Ergebnisse schuldig. Sie erscheint im erreichten Stadium des Afghanistan-Krieges erst recht wenig erfolgversprechend, um einen renitenten Partner zur Räson zu bringen. Die pakistanische Armee rekrutiert mit 520.000 Mann die siebtgrößte Streitmacht weltweit und gilt als zunehmend islamisiert – bei einem Freiwilligen-Heer ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Die USA jedenfalls dürften solch weltanschauliche Prägung keinesfalls ausblenden. Erhärtet sie doch den Verdacht, für dieses Bollwerk der Nation (das sich im Notfall eines nuklearen Arsenals bedienen kann) bleiben die afghanischen Taliban nicht nur Glaubensbrüder, sondern zugleich eine Gewähr für den pakistanischen Einfluss im Nachbarland. Sie garantieren, dass es zu keinem strategischen Arrangement zwischen den USA und Indien kommt, um Afghanistan von Pakistan zu entfremden. Aus Sicht Islamabads wird das allein die in beiden Ländern präsente, teils dominante Volksgruppe der Paschtunen verhindern, aus der die Aufständischen größtenteils kommen. Daraus folgt, die Interessen Pakistans und der USA werden weiter auseinander driften, je mehr Nachkriegsszenarien für Afghanistan Gestalt annehmen. Dabei gilt ein Junktim, das sich von keiner Macht der Welt aushebeln lässt: Ein befriedetes Afghanistan ist ohne den Segen und die Hilfe des pakistanischen Nachbarn undenkbar.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.