Wir können Frieden schaffen - mit plausiblen Argumenten

Friedenschaffen Jeder Mensch will im biologischen Grunde aller seiner Bestrebungen letztlich immer wieder ein möglichst befriedigendes Leben erreichen. Das kann jedem am besten gelingen, wenn alle Menschen ihre gesamten Aktivitäten friedlich koordinieren

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wir Menschen unterscheiden uns von den anderen Tieren insbesondere dadurch, dass unsere naturgegebenen Fähigkeiten eine deutlich erkennbare Anhäufung von immer mehr Wissen und technischer Ausrüstung von Generation zu Generation bewirken. Das führte vor einigen Jahrtausenden zu einer revolutionären Umwälzung, in der unser Leben auf die Basis von Technik und vertiefter Arbeitsteilung gestellt wurde. Ich sehe diese erste große Revolution als die eigentliche technische Revolution der Menschheitsgeschichte an. Sie ist als die „neolithische Revolution“ bekannt, in der unsere Vorfahren zunehmend sesshaft wurden und zur Landwirtschaft übergingen. Dabei entstanden die heute noch typischen Berufsgruppen wie die der Bauern, Handwerker, Wissenschaftler, Beamten, Soldaten und politischen Anführer. Es entwickelten sich anonyme Massengesellschaften und große Städte, und die Schrift- und Zahlensysteme und das Geld wurden erfunden.

Diese Herausbildung unserer typisch menschlichen, auf Technik gestützten Zivilisation dürfte wesentlich mit der Steigerung der körperlichen Gewalt zusammenhängen, die durch die beschleunigte Entwicklung der Waffentechnik möglich wurde und die sich praktisch ohne soziale Begrenzung immer weiter potenzierte. Das bedeutet, wie im folgenden verständlich werden soll, dass die körperliche Gewalt während des Agrarzeitalters im Prinzip nur durch die Gewalt von Rivalen, Gegnern und Feinden begrenzt wurde, und es gab natürlich immer die Grenzen dessen, was technisch bereits machbar war. Auf diese Weise lebten im Agrarzeitalter unsere Vorfahren in extremen sozialen Hierarchien, in denen immer wieder wenige Einzelpersonen jeweils große Zahlen von Mitmenschen dauerhaft einschüchtern, beherrschen und grenzenlos ausbeuten konnten.

Im Verhältnis zu den Jahrhunderttausenden, in denen unsere Vorfahren vorher als Jäger und Sammler gelebt hatten, waren die wenigen Jahrtausende des Agrarzeitalters eine sehr kurze Zeit, in der sich die Zunahme des Wissens und der Wirksamkeit der Technik schon deutlich selbst beschleunigte. Inzwischen hat eine zweite große Revolution unsere Welt gravierend verändert. Gemeint ist die bürgerliche Revolution, die aus meiner Sicht als die soziale Revolution der Menschheitsgeschichte zu verstehen ist. Bei dieser Umwälzung haben immer wieder große Mehrheiten die Übermacht von Gewaltherrschern und ihren Helfern gebrochen und schließlich eine demokratische Sozialordnung geschaffen, in der allen Menschen per Gesetz gleiche Rechte zugesprochen werden und in der körperliche Gewalt nicht mehr als legitimes Mittel der zwischenmenschlichen Auseinandersetzung gilt. Das Duell wurde verboten, Steuern werden nicht mehr durch eine Art Schutzgelderpressung eingetrieben und demokratische Staaten führen keine Angriffskriege mehr. In Umkehrung der Machtverhältnisse des Agrarzeitalters hat die Bevölkerung stabiler demokratischer Industriestaaten gelernt, sich gegebenenfalls mit einem staatlichen Gewaltmonopol gegen Einzelpersonen und Gruppen zu wehren, die neue diktatorische Verhältnisse schaffen wollen. Ein Beispiel für so einen Sieg demokratischer Kräfte ist die Beendigung des Zweiten Weltkriegs durch alliierte Nationen, die sich von den Angreifern befreiten und einige von ihnen 1945 in Nürnberg vor ein internationales Gericht stellten.

Dabei fällt heute beim Krieg in der Ukraine seit Februar 2022 und nach dem neuen Kriegsausbruch im Nahen Osten am 7. Oktober 2023 besonders deutlich auf, dass bisher alle wissenschaftlichen, technischen und sozialen Fortschritte regelmäßig mit ungefähr gleich großen Rückschritten einhergehen. Diese zunehmend zwiespältige Entwicklung ist in meinem sozialen Umfeld in der DDR gegen Ende der 1960er Jahre immerhin so weit aufgefallen, dass die zunehmende Umweltzerstörung und das atomare Wettrüsten der Supermächte als Ausdruck einer existenziellen großen Krise der Menschheit diskutiert wurden. Weder der Kapitalismus noch der Sozialismus lieferte eine Antwort auf die Frage, wie die Umweltzerstörung und die Kriege abgeschafft werden könnten, damit wir uns nicht als biologische Art mit unserer immer wirksamer werdenden Technik bald selbst zerstören.

Ich hielt es damals längst für selbstverständlich, dass wir als die Bürger unserer modernen Weltzivilisation, in der eine Demokratie die normale Regierungsform wäre, bald alle selber wissen müssten, wie uns allen weltweit ein friedliches Zusammenleben im Einklang mit der Natur gelingen kann. Die vielen Zukunftsfragen, die offenbar alle zusammenhingen, ließen mir keine Ruhe, bis ich im Dezember 1975 im Alter von 22 Jahren einsehen musste, dass meine Suche nach einer Antwort aussichtslos war. Dabei wurde mir klar, dass ich mit dieser umfangreichen Suche kein selbstbestimmtes Leben geführt hatte und in der Gefahr war, durch Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse im Leben zu scheitern. Ich brauchte einen grundsätzlichen Neuanfang und musste dazu erst einmal meine eigenen Antriebe und Ziele als Lebewesen, Säugetier und Mensch begreifen. Das bedeutete eine regelrechte Revolution in der persönlichen Entwicklung. Dabei führten neue Überlegungen, nun völlig überraschend, zu einer erfreulichen Antwort auf die Fragen, vor denen ich vorher gezwungenermaßen endgültig kapituliert hatte.

Das Revolutionäre dieser Überlegungen war die Umkehrung der Fragestellung. Ich fragte nicht mehr, was wir tun müssten, etwa um Frieden zu schaffen oder um eine ökologische Katastrophe abzuwenden. Ich fragte, was jede einzelne Person selber überhaupt tun will und was sie selber im Leben erreichen will und warum Menschen überhaupt leben wollen. Das war eine konsequente Abkehr von jeglicher Fremdbestimmung. Sie entsprach einer Abkehr vom herkömmlichen Wissen, wie sie auch für wissenschaftliche Revolutionen typisch ist. Meine Vorstellungen von solchen Umbrüchen in der Wissenschaft gründen sich weitgehend auf Arbeiten des Evolutionsforschers Rupert Riedl, dessen Buch „Biologie der Erkenntnis“ da besonders zu erwähnen ist. Demnach wäre die dritte große Revolution, die nach der technischen (neolithischen) und der sozialen (bürgerlichen) Revolution bald fällig sein dürfte, auch eine Revolution der Humanwissenschaften. Aber das Wesentliche dabei wäre, dass jeder einzelne Mensch sich in seinem Denken von den sozialen Zwängen, Drohungen und Verführungen der traditionellen Gesellschaft abwendet und vollkommen selbstbestimmt über seine eigenen naturgegebenen Interessen als Lebewesen unserer Art nachzudenken wagt, um sie unabhängig von aller bisherigen Erziehung und Kultur als Gegenstand der Biologie zu begreifen.

Über die Natur der menschlichen Interessen wären zwei entscheidende Erkenntnisse zu gewinnen. Erstens würde mit Erkenntnis der produktiven Bedürfnisse der normale Antrieb einer gesunden Weltwirtschaft entdeckt. Dadurch entfiele der Konkurrenzdruck, der im Zusammenhang mit den übrigen gegenseitigen Bedrohungen die soziale Ungerechtigkeit und die Umweltzerstörung bewirkt. Stattdessen ermöglicht dann die Lust an der Leistung eine erfolgreiche gemeinsame Lebensgestaltung aller Menschen. Zweitens würde sich das friedliche Zusammenleben der Zukunft auf die Erkenntnis gründen, dass wir über eine unerschöpfliche Vielfalt von Möglichkeiten verfügen, unser Leben konkret befriedigend zu gestalten. Beide Erkenntnisse zusammen können bewirken, dass wir alle lernen, jede Situation und jeden Konflikt friedlich zu bewältigen, so dass alle Beteiligten mit den dabei getroffenen gemeinsamen Entscheidungen zufrieden sind. Dazu äußerte ich mich in der Freitag-Community schon ausführlicher im ersten Beitrag („Wir können die Welt verändern. Zielbewusstsein kann die Menschheit aus der Krise führen“). Hier wird mehr über die dritte große Revolution gesagt, weil sie ein Schritt in jeder einzelnen Persönlichkeitsentwicklung wäre, zu dem die meisten Menschen gezielt angeregt werden müssten. Um diesen Schritt zu wagen, müsste die Angst vor den anderen Menschen überwunden werden, die bis jetzt weitgehend unbewusst ist und zur Tradition der gegenseitigen Bedrohungen, Schädigungen und Kränkungen gehört, die beendet werden müsste, wenn wir überleben wollen. Diese Angst ist biologisch letztlich unbegründet. Das heißt, Menschen sind nicht von Natur aus gefährlich füreinander.

Aber die menschliche Natur ist neu in der Evolution. Unsere ersten menschlichen Vorfahren sind als biologische Innovation in gewöhnlichen Primatengesellschaften aufgetaucht. Deren Systembedingungen sind noch nicht artspezifisch menschlich, und sie reproduzieren sich bis heute immer wieder, indem sie die freie Entfaltung der menschlichen Intelligenz und Emotionalität systematisch unterdrücken. Diese Systembedingungen fordern zwar unsere Fähigkeiten heraus, aber sie fördern sowohl konstruktive als auch destruktive Fähigkeiten und befähigen sowohl zu besserer gegenseitiger Hilfe als auch zu effektiverer Bekämpfung anderer Menschen. Die damit verbundene Angst vor den anderen ist die Ursache des Zwiespalts zwischen Liebe und Hass und überhaupt zwischen konstruktiven und destruktiven Tendenzen im Denken, Fühlen und Verhalten. Mit diesem Zwiespalt, der die traditionelle psychische Verfassung der Einzelpersonen kennzeichnet, hängt der bereits erwähnte Zwiespalt in der Menschheitsentwicklung so zusammen, dass diese nahezu symmetrisch zwischen immer größeren Fortschritten und ungefähr gleichermaßen immer größeren Rückschritten schwankt. Während auch die technische (neolithische) und die soziale (bürgerliche) Revolution nur besonders große Schwankungen in die konstruktive Richtung echter Fortschritte gewesen sind, dürfte dagegen die dritte große Revolution ein Bruch dieser Symmetrie sein. Dann würden sich im Sinne der Selbstorganisationstheorien die zunehmenden Schwankungen schließlich in einer der beiden gegensätzlichen Richtungen ganz durchsetzen, und für uns wäre wünschenswert, dass dann die Entwicklung in die konstruktive Richtung kippt.

Diese dritte Revolution wäre als Symmetriebruch in Richtung umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung schließlich die eigentliche große Menschheitsrevolution. Sie kann als die psychische Revolution bezeichnet werden. Sie ließe sich von Personen auslösen, in deren psychischer Verfassung die Symmetrie zwischen Liebe und Hass bereits gebrochen ist, indem in ihrem Denken die freundlichen Einstellungen zu den Mitmenschen unumkehrbar ganz zum Durchbruch gekommen sind. Dazu müssten solche ersten umwelt- und sozialverträglichen Menschen alle wesentlichen Tatsachen und Zusammenhänge im Denken, Fühlen und Verhalten der ganzen Menschheit präzise und umfassend genug erfasst, mitgefühlt und durchdacht haben. Sie wären theoretisch dann in der Lage, jeder anderen Einzelperson plausibel zu erklären, warum jede im biologischen Grunde aller ihrer Bestrebungen sich verantwortlich für sich selber und ihre Nachkommen fühlt und warum Menschen im Grunde natürliche Verbündete im Leben sind und warum uns allen gemeinsam ein glückliches Leben im Einklang mit unseren irdischen Lebensgrundlagen gelingen kann. Aber praktisch ist auch die Kommunikation in der bisherigen Gesellschaft durch den traditionellen Teufelskreis der gegenseitigen Bedrohungen, Schädigungen und Kränkungen zutiefst geprägt und somit systematisch gestört. Das ist noch keine menschlich normale, herrschaftsfreie und friedliche Kommunikation. Daher ist es nicht nur schwierig, sondern nahezu unmöglich, die denkbare Lösung der Zukunftsfragen, die sich aus den biologischen Grundlagen der menschlichen Interessen ergibt, in der bisherigen Gesellschaft zur Diskussion zu stellen.

Wahrscheinlich ist die menschlich normale, herrschaftsfreie Kommunikation sogar der eigentliche Schlüssel zur Lösung der Zukunftsfragen. Denn offenbar ist die Möglichkeit, sich einfach gegenseitig zuzuhören und sich jeweils in die Lage des anderen zu versetzen, ohne dem anderen etwas aufzwingen zu wollen, schon immer, seit es Menschen gibt, von vielen als Grundlage von Freundschaft und erfolgreicher Kooperation entdeckt worden. Auch glückliche Ehen dürften immer auf gegenseitigem Respekt und dem Verzicht darauf beruht haben, jeweils über den anderen zu bestimmen. Das bedeutet zwar auch im direkten Umgang miteinander und in den sozialen Kompetenzen der Einzelpersonen bloß immer größere Schwankungen in die Richtung von zunehmendem Verständnis füreinander. Aber wer von früher Kindheit an gewohnt ist, eine gleichberechtigte, gewaltfreie Kommunikation „auf Augenhöhe“ als den normalen menschlichen Umgang miteinander zu empfinden, hat einen besonders effektiven Zugang zum gesamten vorhandenen Wissen über Mensch und Gesellschaft. Vielleicht liegt sogar eine gewisse Zwangsläufigkeit darin, dass Menschen, deren aufmerksames und respektvolles Verhalten in der Kommunikation schon während ihrer Kindheit „ansteckend“ auf zunächst fremde Erwachsene wirken konnte, in ihrem Denken früher oder später auf die Lösung der Zukunftsfragen kommen müssen, die ich zumindest für denkbar halte.

So könnte die Zeit für die dritte Revolution als Symmetriebruch in die konstruktive Denk- und Verhaltensrichtung vor allem dadurch reif werden, dass immer mehr Menschen sich in sozialen Umfeldern bewegen, in denen ein freier, gleichberechtigter Gedankenaustausch und somit eine stets gemeinsame Suche nach der Wahrheit zunehmend in Mode kommt (Mode im Sinne von Hermann Haken und der Selbstorganisationstheorie „Synergetik“). Zwar wird zugleich in anderen Bereichen die Kommunikation immer irrsinniger und unmenschlicher. Aber sobald die entscheidenden Erkenntnisse über die Umwelt- und Sozialverträglichkeit der menschlichen Antriebe (Bedürfnisse) und Ziele (Befriedigung) in einer hinreichend aufgeschlossenen und kritischen Atmosphäre auf den Prüfstand kommen und von vielen Menschen dann als richtig bestätigt und praktisch genutzt werden, wäre der Teufelskreis der gegenseitigen Bekämpfung der Menschen irgendwo in unserer Welt deutlich genug unterbrochen. Dann würde sich dieser Teufelskreis weltweit auflösen, indem alle Schwankungen, die bis dahin ins Destruktive gegangen sind, ihre Richtung ändern.

So wäre außer den entscheidenden Erkenntnissen auch ein „entspanntes Feld“ im Sinne der Verhaltensbiologie für eine ruhige und sachliche Kommunikation nötig, damit am Bifurkationspunkt („Kipppunkt“) die Symmetrie - zwischen zunehmender Wahrscheinlichkeit einer Selbstzerstörung der Menschheit und zunehmender Wahrscheinlichkeit eines Sprungs auf eine höhere Entwicklungsstufe - zugunsten dieses Entwicklungssprungs bricht.

Das heißt, es gäbe allemal genügend Argumente dafür, dass ausnahmslos jeder Mensch im biologischen Grunde aller seiner Bestrebungen eine friedliche Entwicklung der ganzen Menschheit begrüßen und selber mit verwirklichen würde, wenn er nur die Möglichkeit dazu erkennen könnte. Immer mehr Menschen könnten gemeinsam darangehen, Frieden tatsächlich ohne Waffen zu schaffen, sobald die Argumente, mit denen das gelingen kann, geäußert und wahrgenommen werden dürfen. Zwar würden schlimmste Gewalttäter und Kriegsverbrecher kaum zur Ruhe kommen können und nie die Angst vor der Wahrheit verlieren. Aber entscheidend wäre, dass die großen Mehrheiten, die mit der bürgerlichen Revolution immerhin zur Gegengewalt fähig wurden, demnächst auch lernen, ihre Kräfte in Zukunft gemeinsam ganz und gar konstruktiv für ein möglichst befriedigendes Leben aller Menschen einzusetzen. Dann würden bald keine Gewalttäter mehr heranwachsen. Natürlich sind bis jetzt auch Waffen nötig, wo es noch immer keine bessere Möglichkeit der Verteidigung gegen gewaltsame Übergriffe gibt.

Ich bin nach jahrzehntelangem intensivem Gedankenaustausch mit immer zahlreicheren, extrem unterschiedlichen Menschen nur noch deshalb ratlos, weil viel zu viele Tatsachen gemeinsam geklärt werden müssten und viel zu viele Zusammenhänge gemeinsam neu zu durchdenken wären ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden