Wundervolle Cindy Sherman

Ausstellung Der me Collectors Room der Stiftung Olbricht, Berlin zeigt eine retrospektiv angelegte Werkauswahl der amerikanischen Fotokünstlerin.

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Seit dem 16.09. 2015 und noch bis zum 10.04. 2016 zeigt der me Collectors Room Berlin/Stiftung Olbricht (https://www.me-berlin.com/ab-september-2015-cindy-sherman/) Werke der amerikanischen Fotokünstlerin Cindy Sherman. Die Ausstellung ist retrospektiv angelegt und umfasst 65 Werke aus nahezu allen Schaffensperioden. So finden sich neben jenen Klischees, die die Künstlerin so bekannt machten ("halterlose Strümpfe, Wuschelkopf, Verandatür, Sonnenhut") auch Fotografien aus der "Clowns"-Serie von 2003/2004 und einige Darstellungen von Weiblichkeit, die so manche_n Besucher_in zusammenzucken ließen.

Trotz der wunderschönen Räume, über die die Stiftung verfügt und die neben den wechselnden Ausstellungen auch die sogenannte Wunderkammer Olbricht beherbergt (auf deren Kleinkunstsammlung zum Thema Tod/Skelett/Schädelkult der Blick durchaus lohnt), gab es einige formale Störfaktoren. So gestalteten sich die nicht entspiegelten Rahmen als extrem anstrengend, zumal bei großformatigen Fotografien mit dunklem Hintergrund.

Großformatig fesseln auch, nachdem der erste Raum irgendwie konsumierbar ist, die alternden Society-Ladies im zweiten. Alles Cindy, jede für sich extrem überzogen und doch real - was sage ich noch. Klar wird besonders bei der rothaarigen, dass - vielleicht entgegen dem ersten Eindruck - die Einfachheit das Mittel ist. Natürlich gehen die Transformierungen bis in kleine Details der Körperhaltung, aber: die Perücken sitzen schief - natürlich nicht aus Versehen, das ist klar. Aber sie sitzen schief. Trotzdem sehe ich die rothaarige Tante und nicht eine rote Perücke. Maskerade so einfach und damit so deutlich: Shermans simple Mittel der Kritik, so wirkungsvoll! Weniger ein Nebeneffekt als vielmehr zweiter Fokus neben Gesellschaftskritik ist mein eigenes Seh-, Kunstkonsumierverhalten.

Nicht ganz durchschaubar war für mich die Anordnung. Als sich herausgestellt hatte, dass es nicht wie anfänglich vermutet, eine chronologische war, blieb für mich die Frage offen, warum ausgerechnet die besagten Darstellungen aus u.a. der Disasters-Serie (1985–1989) hinter der Zwischenwand im letzten Raum gezeigt wurden, wo sie doch recht abgedrängt wirkten. Da die Fotografien schon für sich eine extreme Wirkung auf die Betrachter_in entfalten, wirkten sie in ihrer engen Gruppenhaft dann auch recht verdichtet. Schade, dass in der Begleitbroschüre auf diesen Bilderkomplex gar nicht eingegangen wurde. Eine doch recht provokante und emotionale Darstellung hätte für meinen Geschmack durchaus einen Kommentar vertragen können, beispielsweise in Richtung von Shermans eigenem Statement, dass ihre Abbildungen von Verfall/Prothesen/Sexpuppen hinsichtlich Artifizität und Groteske nichts gegen die Produkte der Modefotografie seien.

Das oftmals geäußerte Lob, Sherman bräuchte für ihr Rollenspiel nur Schminke und Mimik (beispielsweise der Artikel von Stefanie Ippendorf unter http://www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=1280), ist nochmal zu überdenken: Lob soll bleiben! aber ganz deutlich ist zu sehen, dass sie ihre körperliche Hülle nicht nur als Projektionsfläche und Ausdrucksmittel nutzt, sondern auch als veränderbares Material. Ich glaube kaum, dass ich zu weit gehe, indem ich sage, es ist deutlich, dass sie in erheblichem Maße zu- und abnahm und beispielsweise so ihren Körper formt. In meiner Erinnerung war ich Cindy Sherman auch stets dafür dankbar, dass sie mir neue Gedankenimpulse zum Thema Schönheits-OP gegeben hatte: Ich glaubte fest und glaube, gelesen zu haben, dass sie sich selbst so sehr zu Kunst macht, dass sie auch die letzte Konsequenz zog und sich für Fotografien diversen Schönheits-OPs unterzog. Wie Schuppen fiel mir dann von den Augen, dass eine OP zu "Schönheitszwecken" tatsächlich nichts anderes als eine Tätowierung oder eine künstliche Veränderung der Haarfarbe sein kann - solange "Schönheit" nicht gleichbedeutend mit Entindividualisierung und Einheit ist. Ich kann aber nichts mehr finden zu Cindy Sherman und OPs. Möglicherweise habe ich mich also getäuscht oder die Einträge wurden doch gelöscht...

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Geschrieben von

Lila Wendel

denkt wie ein ganz normaler weißer mitteleuropäischer typ

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