Zu Besuch bei der Kanzlerin

Berlin Beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung grinst sich Angela Merkel durch die Besucher. Und erzeugt auf seltsame Weise Sympathie.

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Das Kanzleramt liegt wie eine riesige alte Waschmaschine in der Sonne. Es ist brütend heiß, selbst im Schatten der Bäume zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus. Vor dem Kanzleramt steht ein langes, weißes Zelt. Hier soll man seine Taschen abgeben, spitze Gegenstände sind auf dem Gelände nicht gestattet. Nicht mal ein Kugelschreiber, was das geplante Eindrücke-Notieren unmöglich macht. Ich stehe 15 Minuten in der prallen Sonne, bis ich meine Tasche abgeben darf, die dann durchleuchtet wird. Ich bekomme einen orangenen Zettel und darf mein Handy mitnehmen. Dann muss ich die Notizen wohl tippen. Ich gehe um die linke Ecke des Kanzleramts und entdecke die nächste Schlange, in die ich mich einreihen darf. Aha, kleine Taschen darf man offenbar doch mitnehmen. Die nächsten Sicherheitsleute kontrollieren Taschengrößen. Nach einer weiteren Viertelstunde werden wir auf das Gelände gelassen, um uns in der nächsten Schlange anzustellen. Hier wird nach Männlein und Weiblein sortiert, offenbar wird man weiter vorne gründlich inspiziert.
http://a4.sphotos.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-ash4/s720x720/488163_428988773820591_1352445237_n.jpgKein Schatten weit und breit, um mich herum dutzende Menschen, die sich mit dem Programm des Tages der offenen Tür Luft zufächeln. Endlich erreiche ich das Ende der Schlange, nun muss ich alle metallischen Gegenstände in eine Box legen und durch einen Metalldetektor gehen. Ich piepse nicht und darf meine Uhr, mein Haarband und mein Handy wieder in Empfang nehmen. Endlich drin! An einem langen Metallgitter entlang gehe ich in den Ehrenhof. Beim Blick auf das Metallgitter denke ich kurz an Gerhard „Ich-will-da-rein“ Schröder. Obwohl das natürlich ein anderes, ein Bonner Metallgitter gewesen sein muss.
Im Ehrenhof sitzen einige Besucher auf den Bänken im schattigen, linken Teil. Einige sitzen auch auf dem Rasen, der, obwohl nicht englisch kurz, eigentümlich perfekt aussieht, mit wie geklont wirkenden Grashalmen in einheitlicher Länge und Form, von irritierend satter Farbe. Quer über den Ehrenhof verläuft der rote Teppich, mittig ist ein kleines Podest, wo die Kanzlerin wohl die Staatsgäste zum Foto drauf bittet. Auf der rechten Seite steht eine Bühne. Ob die Kanzlerin da nachher drauf steht? Leere Stühle und vereinzelte Musiker mit Instrumenten stehen dort momentan. Vor dem Eingang parken zwei Staatskarossen. Touristen fotografieren sich gegenseitig vor dem Audi mit dem diplomatischen Kennzeichen 0 – 2. Wer hat eigentlich 0 – 1 frage ich mich? Der Bundespräsident? Vermutlich. Mehrere asiatische Touristen um mich herum rufen immer wieder erstaunt „Audi!“. Vielleicht hat man mit einem Mercedes oder BMW gerechnet? Ich gehe ins Kanzleramt. Es ist klimatisiert! Herrliche, kühle Luft weht mir schon am Eingang entgegen. Erleichterte Geräusche von den Menschen, die neben mir ins Gebäude gehen. Auf der rechten Seitehttp://a3.sphotos.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-ash3/s720x720/599488_428988947153907_437369127_n.jpg führt eine breite Treppe hoch zur Kanzlergalerie. Helmut Schmidt schaut besorgt, die obligatorische Zigarette in der Hand. Helmut Kohl sieht aus wie ein lieber, leicht verplanter Opi. Sehr irritierend. Aber am seltsamsten ist dann doch der goldene Schröder. Hat man bei so einem Bild als Kanzler kein Mitspracherecht? Oder, noch irrer, war diese Darstellungsweise etwa sein Wunsch?
Über einen unfassbar hässlichen, mintfarbenen, dreckigen Teppich gehe ich auf die andere Seite des Kanzleramts. Hier ist die bekannte, hellblaue Pressestatement-Wand. Auch hier fotografieren sich Besucher gegenseitig davor. Rechts von mir liegt nun der Ausgang zum hinteren Hof. Auch hier ist der Rasen irritierend grün. Ein Kiesweg führt links am Gebäude entlang, auf dem hinteren Rasen steht ein blauer Hubschrauber, den man auch von innen besichtigen kann. Ich wende mich um. So sieht das Kanzleramt also von hinten aus. Die Spree fließt behäbig und einbetoniert am Park vorbei. Dahinter sieht man den gläsernen, gigantischen Hauptbahnhof. Beim Versuch, wieder ins Gebäude zu gehen, werde ich abgewiesen. Dies sei kein Eingang. Komisch, hinter den beiden Sicherheitsleuten ist es relativ leer. Ich will ja eigentlich nur wieder in die kühle Leere hinter den beiden. Aber keine Chance. Ich muss einmal komplett um das Gebäude herum, um wieder rein zu dürfen. Sehr seltsame Organisation, aber naja, mit Sicherheitsbeamten legt man sich wohl besser nicht an. Es ist nun 13:40 Uhr, gegen 14 Uhr soll die Kanzlerin erscheinen. Nur wo? Auf der Bühne? Vor der Bühne steht niemand. Alle sitzen im Schatten auf der gegenüberliegenden Seite. Da ich auf weiteres In-der-Sonne-Stehen verzichten kann, setze ich mich ebenfalls auf den seltsamen Rasen. Auf der Bühne sammeln sich langsam mehrere Musiker. Und dann stehen doch einige Leute auf, gehen zur Bühne. Der Herdentrieb setzt voll ein, und wie die Lemminge strömen nun die Leute aus dem Schatten zur Bühne, und ich mittendrin, schließlich will ich auch einen Blick auf die Kanzlerin werfen. Man steht einige Minuten in der Sonne, dann geht eine Sicherheitsbeamtin durch die Reihen und erklärt, die Kanzlerin werde sich um eine halbe Stunde verspäten und man möge sich doch nochmal in den Schatten begeben. Na gut. Im Schatten sind nun auch Plätze auf den Bänken frei. Die Frau neben mir erklärt, wenn ich die Kanzlerin sehen wollte, müsste ich mich an die Absperrung vorm Eingang stellen. Sie sei letztes Jahr schon hier gewesen, und man könne nur dort etwas sehen. Ich genieße den Schatten noch etwas, und mache mich dann auf den Weg zum Eingang. Hier ist das Gedränge nun groß. Wie auf einem Popkonzert drängen sich die Leute nach vorne. Und ich sehe mit meinen 1,65m gar nichts. Ich strecke mich, versuche mit hochgerecktem Handy ein Foto von dem zu machen, was da vorne passiert, aber auch auf dem geschossenen Foto sehe ich nichts. Wenigstens bin ich nun weit genug vorne, dass der Schatten des Baldachins vorm Eingang auf mich fällt. Dann wird es plötzlich hektisch. Immer mehr Handys werden in die Luft gereckt, und dann fangen die Leute an zu jubeln. „Ich hab ihre Haare gesehen!“ sagt ein Mann hinter mir. „Dhttp://a8.sphotos.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-ash4/s720x720/402950_428988743820594_1595386124_n.jpga, ich seh sie!“ sagt ein anderer. Ich sehe nichts. Wie eine schleichende Laola-Welle gehen Hände mit Fotoapparaten nach oben in Richtung Bühne. Ich lasse mich in diese Richtung mit dem Strom der Menschen mittreiben. Dann stehe ich vor der Bühne, und die Kanzlerin steht am Mikrophon. Sie begrüßt das Publikum, freut sich, dass sich so viele bei dem schönen Wetter gegen den Wannsee und für das Kanzleramt entschieden haben. Sie wirkt nahezu fröhlich, gelöst. Das bringe ich mit Angela Merkel irgendwie nicht zusammen. Sie bedankt sich bei den Musikern, erklärt, dass deren Kollegen bei den Staatsbesuchen die Hymnen spielen würden. Im kurzen Zwiegespräch mit dem Dirigent wird klar, dass es tatsächlich diese Musiker sind, die die Hymnen spielen, und nicht deren Kollegen. Die Kanzlerin erklärt, wer wann welches Militäraufgebot geboten bekommt, dass Ministerpräsidenten und Kanzler nur eine Waffengattung zu sehen bekommen, Staatspräsidenten jedoch alle Waffengattungen, dass es diese aber nur beim ersten Besuch, oder im Fall der Wiederwahl auch ein zweites Mal gibt, und sie mit den jeweiligen Staatsgästen dann „die Front abschreitet“. Interessante Wortwahl. Über Angela Merkel habe ich schon mehrfach gelesen, sie habe einen trockenen Humor. So wie sie da vorne steht und von Staatsbesuchen erzählt, fast ein wenig flapsig, kann ich mir das zum ersten Mal tatsächlich vorstellen. „Ansonsten brauchen wir den Ehrenhof eigentlich nicht“, sagt sie. Sie komme eh durch den Seiteneingang, so wie die anderen Mitarbeiter auch. Dem Publikum seien bestimmt schon die vielen breiten, luftigen Flure im Kanzleramt aufgefallen. Die Mitarbeiterbüros seien allerdings recht klein. Natürlich sei ihr Büro jedoch sehr groß. Wie sie das sagt, amüsiert mich. Wenn Schröder das so gesagt hätte, hätte es wie Angeberei geklungen. Bei Angela Merkel klingt das irgendwie anders. Ich mag eigentlich weder diese Frau noch ihre Politik, aber wie sie da steht, grinst, ohne diese furchtbare Handhaltung und den ewigen „Wir-müssen-in-dieser-Sache-eine-gemeinsame-Lösung-finden“-Tonfall, wirkt sie tatsächlich seltsam sympathisch. Es erzeugt ein gewisses Maß an kognitiver Dissonanz.
Dann ist sie mit ihrer kurzen Begrüßung fertig, und bahnt sich, bodyguardbewehrt, einen Weg durch die Menge Richtung Eingang. Ich lasse mich wieder mit der Menge treiben. Wieder erleichtertes Aufseufzen beim Betreten des Gebäudes und der klimatisierten Luft. „Hier hätten wa jleich drin bleiven solln“ kölscht es neben mir. Die Kanzlerin geht die Treppe rechts vom Eingang hoch, schüttelt Hände, schreibt Autogramme. Ich finde die Situation in dem Gedränge schon beklemmend, anstrengend genug, wie mag es ihr gehen, wo so viele Augen, Kameras und Hände auf sie gerichtet sind? Sie scheint aber großen Spaß zu haben. Ich gehe an der Menschentraube um die Kanzlerin vorbei und stelle mich ins Spalier kurz vor dem Ausgang Richtung Park. Nun bin ich schon mal hier, jetzt will ich auch eine Nahaufnahme. Verrückt, ich bin keine Bewunderin von Angela Merkel oder so etwas, aber wann sieht man schon mal die Bundeskanzlerin? Dann schiebt sich die Security an uns vorbei, und dann steht sie direkt vor mir, schreibt ihren Namen auf Luftballons, Zettel, T-Shirts. Ein Popstar im Hosenanzug, freundlich lächelndhttp://a1.sphotos.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-snc7/s720x720/383912_428988807153921_1422834749_n.jpg. Ich zücke das Handy und schieße auch ein paar Bilder. Um mich herum grinst alles begeistert „Da isse!“, „Oh schau mal ich hab ein Autogramm!“, und ich stelle fest, dass ich auch begeistert grinse. Sehr seltsam. Und dann ist sie an uns vorbei, und ich stehe in dieser zusammengequetschten Menschenmenge und möchte mich nun aber doch gerne wieder bewegen, frei atmen können. Langsam schiebt sich der Tross nach draußen. Endlich stolpere ich ins Freie, gehe an den nun hier erwartungsvoll spalierstehenden Menschen vorbei in Richtung Ausgang. Irgendwas passiert hier jetzt noch, im Garten, aber ich habe genug. Ich wollte ja nur mal Kanzlerin-gucken. Angela Merkel hat im Grunde nichts gesagt, aber irgendwie einen positiven Eindruck hinterlassen. Ich denke an ihre Umfragewerte. Diese Frau ist irgendwie gruselig.

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Geschrieben von

Maengelwesen

Anika Mangelmann / @Fumuckel

Maengelwesen

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