Nicht fair

»Aufstand für den Frieden« Die großen Medien haben anlässlich der Schwarzer-Wagenknecht-Demo nicht nur die Trennung zwischen Nachricht und Meinung gröblichst vernachlässigt. Speziell ARD, ZDF und Spiegel glitten vollends in den Modus der Feindberichterstattung ab.

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Der Begriff »Medienkritik« hat in den letzten Jahren eine widersprüchliche Bedeutung erlangt. Auf der einen Seite der kategorische, vor allem von rechter bis rechtsextremer Seite erhobene »Lügenpresse«-Vorwurf – flankiert von Fake News sowie den bekannten Dammbrüchen in den sozialen Medien. Ungekehrt allerdings hat sich bei den sogenannten Qualitätsmedien der Impuls zur meinungstechnischen Wagenburg-Bildung deutlich verstärkt. Tendenz hier: Kritik – sei es an Berichterstattung, an gesellschaftlichen Zuständen oder auch politischen Einzelentscheidungen – auf eine ebenso generalisierende Weise in die rechte Ecke zu rücken.

Mag sein, dass diese Zustandsbeschreibung eine Binse ist – unabhängig davon, ob man die damit einhergehende Meinungspolarisierung für bedenklich hält oder aber lediglich für einen Kollateralschaden, den demokratische Institutionen in Bedrängnis eben produzieren. Nicht egal kann es allerdings sein, wenn das dabei praktizierte Niveau stetig weiter abgesenkt wird und selbst namhafte Medien ihrem Auftrag, wenigstens Nachricht und Meinung erkennbar zu trennen, unzureichend oder gleich gar nicht mehr nachkommen. So geschehen anlässlich der von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierten Kundgebung Aufstand für den Frieden am 25. Februar in Berlin. Speziell die beiden Ö/R-Hauptanstalten ARD und ZDF sowie der Spiegel berichteten über das Ereignis auf eine Weise, die mit nachrichtentechnischen Standards nur noch wenig gemein hat. Dominant in allen drei Medien war stattdessen ein pädagogisierender Grundtenor, der nicht nur Lappalien in die redaktionsseitig vor-imprägnierte Richtung aufbauschte, sondern auch vor Falschinformationen nicht zurückschreckte. Kennzeichnend für diese Art Berichterstattung: Wichtig ist nicht, was stattgefunden hat. Sondern vielmehr das, was Lesende und Zuschauende davon zu halten haben.

ARD

Der tagesaktuelle Hauptbericht bei tagesschau.de war übertitelt mit den Slogan »Wer kommt zu Wagenknecht und Schwarzer?« Bereits das Intro lässt an der meinungstechnischen Einnordung, die offensichtlich das Hauptanliegen des Textes ist, keinen Zweifel: »Unter dem Motto ›Aufstand für Frieden‹ findet zur Stunde in Berlin die Wagenknecht-Schwarzer-Demo anlässlich des Ukraine-Kriegs statt. Kritik gibt es schon vorab reichlich – unter anderem, weil Extremisten teilnehmen könnten.« Knapp-sparsam und nötigenfalls auch mittels angemessenem Gebrauch oder Nichtgebrauch von Anführungszeichen wird kurz auf das Anliegen der Demonstration hingewiesen sowie den Umstand, dass die Polizei mit mehr Kräften vor Ort sei als sonst: »(…) weil die Demonstrantinnen und Demonstranten aus sehr verschiedenen politischen Lagern kommen könnten und Konflikte befürchtet werden.«

Ungefähr gleich viel Platz – drei Absätze – veranschlagt das Zitieren von Stellungnahmen aus dem offiziellen politischen Betrieb: bemerkenswert unter anderen deswegen, weil diese bereits im Vorfeld getätigt wurden und davon auszugehen ist, dass die meisten Leserinnen und Leser sie schon kennen. Das konkrete Geschehen vor Ort bedachte auch der Rest des Artikels weitgehend mit Desinteresse. Zwei weitere Absätze widmeten sich den Positionen von Alice Schwarzer sowie dem Umstand, dass an der am Tag zuvor erfolgten Demonstration zur Unterstützung der Ukraine nicht nur über 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sondern auch allerlei Prominenz zugegen war. Ein Info-Outlet, das in dem Zusammenhang unverzichtbar war – bekanntlich ist die Tagesschau ein erst am 25. Februar brandneu an den Start gegangenes Format.

Nun könnte man sagen: Der Bericht war früh dran (Zeitstempel: 08:52 Uhr); überdies hatte die ARD den tagesaktuellen Part outgesourct. Näher informieren konnte man sich vermittels eines verlinkten Berichts des Juniorsenders rbb. Allerdings – der etwas später am Start befindliche Vogel direkt aus der Hauptstadt war ebenfalls weit davon entfernt, den Wurm »Information« zu fangen. Charakteristisch für den rbb-Artikel waren stattdessen halbgare, mit heißer Nadel gestrickte Info-Snippets, welche sichtlich vor allem einem Zweck dienen: gegen die Veranstaltung zu vereinnahmen. Etwa: »Polizei berichtet von ›kleinen Tumulten‹« – ein vorabgestellter News-Point, der sich offensichtlich auf das Herausdrängen des Compact-Herausgebers Jürgen Elsässer aus der Demonstration bezieht und später mit dem Gegenteil des zuerst Gesagten relativiert wird: »Kurzer Tumult – ansonsten alles ›störungsfrei‹« (Zwischenüberschrift; man beachte auch beim rbb das manipulative Jonglieren mit Anführungszeichen) und, Ende gut, alles gut: »Bis auf diesen Vorfall sei die Kundgebung aber ›störungsfrei‹ verlaufen, teilte die Polizei um kurz vor 17 Uhr auf Twitter mit.«

Also: «störungsfrei«, doch nicht »störungsfrei«; irrt in dem Punkt vielleicht sogar die Polizei? Auch sonst wartet der rbb-Bericht mit einer Reihe weiterer zumindest widersprüchlicher Informationen auf. So führt er »fünf weitere Demonstrationen mit ähnlichem Fokus« auf. Frage: Würden diese die Anzahl der Teilnehmenden – welche von den hier thematisierten Medien stark nach unten veranschlagt wurde und über die noch gesondert zu reden sein wird – nicht zusätzlich nach oben treiben? Desweiteren verzettelt sich der Bericht mit Infos über Auflagen (etwa das Verbot von Georgsbändern, sonstigen russischen Abzeichen und Ähnlichem), einen mitgeführten (und vom rbb-Team fotografierten) Papppanzer mitsamt Slogans, die komplexitätstechnisch sicher noch Luft nach oben gehabt haben mögen, allgemeinpolitischen Zuordnungen der Demonstrationstreilnehmer(innen) (»von weit rechts bis weit links«) und schließlich den bereits bei tagesschau.de breiten Raum einnehmenden Distanzierungen.

ZDF und »Spiegel«

Die ZDF-Berichterstattung (siehe die verlinkten Berichte hier, hier und hier) folgte grosso modo einem ähnlichen Tenor der Vorverurteilung und Anprangerung – auch wenn Anwürfe dieser Art bei den Mainzern traditionell nicht mit der missionarischen Unbedingtheit vorgetragen werden, der bei den ARD-Nachrichtenformaten mittlerweile Standard ist. Zwar nimmt auch in der ZDF-Berichterstattung die nicht deutlich genug erfolgte Abgrenzung gegen Rechts breiten Raum ein. Allerdings gehen die Mainzer nicht so weit, da, wo diese Abgrenzung dann praktisch erfolgt, von »Tumulten« zu schreiben wie die Reporter(innen) der korruptionsgeplagten Berliner ARD-Dependance.

Ein Punkt für sich ist die Anzahl der Teilnehmer(innen). Hier jonglierten Polizei, Medien und Veranstalter mit zum Teil krass unterschiedlichen Angaben. Sicher dürfte die von Schwarzer & Co. angegebene Zahl von 50.000 weit zu hoch gegriffen sein. Realistischer – eventuell mit Luft nach oben – ist wohl die Zahl 13.000, auf die sich Polizei und Medien zwischenzeitlich geeinigt zu haben scheinen. Allerdings: Zumindest am Veranstaltungstag selbst taten zumindest die drei hier thematisierten Medien alles, die Teilnehmendenanzahl in suggestiv-manipulationsartiger Weise nach unten zu rechnen. Mit der Überschrift »Rund 13.000 Menschen bei Schwarzer-Wagenknecht-Kundgebung« erfüllte der Hauptartikel des Spiegel sein Informationssoll zwar soweit korrekt. Was schiefgehen kann, wenn eine aktivistisch gestimmte Truppe aus Vor-Ort-Jungreportern den Unterschied zwischen Nachricht und Meinung geradewegs im Altpapiercontainer entsorgt, lässt sich in dem – am Ende des Hauptartikel verlinkten – »Minutenprotokoll der Veranstaltung« nachlesen.

Bemerkenswert ist der Liveticker-Bericht »Wer zur Wagenknecht/Schwarzer-Kundgebung gekommen ist – was was gesagt wurde« weniger wegen den Spins, auf die auch dieser Beitrag selbstredend nicht verzichten möchte. Vielmehr ist es der pennälerhafte, oftmals ins Belehrende switchende Ton, der die in vereinnahmender Absicht servierte Propaganda nahezu unerträglich macht. Garniert mit viel Beweisfotos, erweckt der aus Einzelimpressionen von vier Spiegel-Mitarbeiter(innen) zusammenkompilierte Bericht etwa das Bild eines Schrebergartenhütte-Besitzers, der fein säuberlich die über den Zaun hinüberwachsenden Triebe des Nachbarn abfotografiert, um sie Plastikfolien-einsortiert hernach seinem Anwalt respektive seiner Anwältin zu überreichen. »Beweise«, unter anderem: ein Pict mit einer DDR-Fahne auf der Straße des 17. Juni, der bereits erwähnte Papppanzer (dessen Slogans für Spiegel-Mitarbeiterin Ann-Kathrin Müller einem »Hitlervergleich« nahekommen) und schließlich – Smiley – Nachrichtenmagazin-korrekte Angaben über die tatsächlichen Teilnehmerzahlen. Ann-Kathrin Müller, via Spiegel und gleichzeitig auch via Twitter: »Zum Abschluss nutzt Wagenknecht das Narrativ, die Medien würden die Teilnehmerzahlen kleinreden. Nicht 5000 seien hier (Polizeizahl anfangs), sondern 50.000 (!). Das ist absurd, ich bin die Veranstaltung mehrfach abgegangen, schätze um die 7000. Der Applaus ist trotzdem groß.«

Fazit

Leute, die nur noch in »Narrativen« denken können, sind bei alldem vielleicht nicht mal das Hauptproblem. Fairerweise vermerken sollte man, dass die Berichterstattung über die Schwarzer-Wagenknecht-Demo nicht ausschließlich in dem hier thematisierten Feindbildzeichnungs-Modus verlief. Tagesspiegel und Berliner Zeitung – also die beiden großen vor Ort ansässigen Medien – lieferten eine kritische, im Kernbereich indess faire und auf Infos versierte Berichterstattung ab. Gleichfalls phoenix, dass Breaking-News-Outlet der beiden Ö/R-Anstalten. Der Nachrichtensender fokussierte in seinem Livestream auf das, was eigentlich Nachrichten-Kerngeschäft ist: Infos sowie flankierende Einschätzungen. Last but not least stellt auch der Spiegel immer wieder unter Beweis, dass er sich nicht ausschließlich einer Propagandakultur wie der hier beschriebenen verschrieben hat. Ein Konterpart hier etwa: die – leider hinter der Paywall-Schranke liegende – Kolumne »In Verteidigung von Schwarzer und Wagenknecht« von Sabine Rennefanz.

Sicher ist – vielleicht nochmals – klarzustellen: Die deutsche Demokratie mit ihren (oft unzulänglichen) Institutionen ist eine völlig andere Liga als Putins Regime. Ebenso geht es an der Stelle nicht darum, sich die Positionen von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht zu eigen zu machen. Das Problem ist die Meinungspolarisierung, die anhand des Ukraine-Kriegs (auch) von interessierter Seite vorangetrieben wird, und die sich durchaus auf den Punkt bringen lässt: Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns. Das ist vielleicht zwar noch nicht ganz das Level »Mehr ›Putin‹ wagen, um Putin besser zu bekämpfen«. Der Propaganda- und Feindbild-Modus, der keine Zwischentöne mehr kennt und den ein nicht unbeträchtlicher Teil der sogenannten »Qualitätsmedien« immer unbekümmerter anzusteuern scheint, ist jedoch nicht nur für das, was er – vorgeblich – zu schützen vorgibt, letztlich das reine Gift. Auf der Handlungsebene liefert er das journalistische Vorfeld zu einer Art Bürgerkriegs-Berichterstattung, die letztlich nur noch Freund oder Feind kennt. Die Folgen davon lassen sich derzeit in einem Land studieren, dass sicherlich nicht den Ruf hat, übermäßig putinfreundlich zu sein: den USA.

Wem diese Befürchtungen zu hochgehängt erscheinen, der oder die mache schlicht den Elchtest und vergleiche die Friedensbewegungs-Berichterstattung 2023 mit derjenigen von 1981 ff. Sicher waren Spiegel, ARD und der Rest der etablierten BRD-Medien damals weit entfernt davon, mit den Zielen der Friedensbewegung d’accord zu gehen. Tonal allerdings dominierte ein durchaus anteilnehmender, die Sorgen und Nöte der Demonstrierenden ernst nehmender Duktus – vergleichbar etwa dem, den heutige Medien gegenüber Friday for Future und Ähnlichen an den Tag legen. Mit offensichtlich allein der Abwertung dienenden Diffamierungen wie etwa »Kleber« wurden damals noch nicht mal diejenigen überzogen, die Strategien des zivilen Ungehorsams in die Tat umsetzten und etwa Sitzblockaden vor Armeeeinrichtungen tätigten.

Alles Nazis – jedenfalls außerhalb des Bundeskanzleramts sowie einiger sich für wichtig haltender Medienhäuser? Um die Meinungspluralität im Land steht es nicht sehr gut. Auch wenn die auf postmoderne Cancel-Vorstellungen abgestimmte Schülerzeitungs-Berichterstattung des journalistischen Nachwuchses derzeit lediglich den Sahneklecks auf dem medialen Kuchen abgibt. Im konkreten Fall liegt das Problem überdies darin, dass es die von den Medien an die Wand gepinselte Polarisierung in »Pro« und »Contra« so nicht gibt. Zwischen den Polen der Unbedingten – sagen wir mal: Strack-Zimmermann versus Wagenknecht oder Diether Dehm – liegt ein weites Feld unentschlossener, abwägender sowie mal der einen, mal der anderen Seite stärker zuneigende Meinungen, Ansichten, Haltungen, Schwerpunktsetzungen und Gefühle. Eigentlich Zeit für: Diskurs, Diskussion, das Stellen sowie Beantworten von Fragen. Weniger die für Diffamierungen sowie über halbgare Nachrichtensplits generierte Propaganda.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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