Kein »Barcelona im August«

Terror Der Reisebericht war konzipiert. Nun ist er Makulatur. Stattdessen: Gedanken von einem, den exakt drei Tage vom Blutbad trennen.

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Was wäre gewesen, wenn? Der Gedanke setzt sich seit gestern abend zunehmend fest. Banale Frage – just eine Angelegenheit von Timing, Zufall und Ort. Montag am frühen Abend flanierte ich noch über die sommerlichen Ramblas. Genoß die von den breiten Plantanen abgefederten Sommertemperaturen, suchte Schatten wie alle und machte mir Gedanken. Banale Dinge: Was esse ich, was trinke ich, was mache ich danach? Was es gab: Ein leckeres katalanisches Schweineschnitzel, dazu Pommes, Salat und was Flüssiges drei Grad überm Gefrierpunkt. Die Location war gut gewählt – was für die Touristenfalle Ramblas durchaus was heißen will. An den benachbarten Tischen hatte das Vorglühen mit Sangria eingesetzt. Und angesichts des verliebten Paares am Nebentisch kreierte ich spontan eine alte Bauernregel, die ich in dem geplanten Barcelona-Reisebericht unbedingt unterzubringen gewillt war. Etwa so: Wer Sangria zusammen aus demselben Glas trinkt, wird die Nacht nicht allein verbringen.

Sicher gibt es über Katalonien, über Barcelona eine Menge mehr zu sagen. Die Kampagne zum Unabhängigkeitsreferendum hat kräftig an Fahrt aufgenommen. Und auch die Anarchisten sind nach wie vor rege – und das gleich in drei Geschmacksrichtungen. Über die Rambla – und die umliegenden Altstadtviertel mit der höchsten Einwohnerdichte in Europa – gäbe es ebenfalls einiges zu berichten. Und auch das eigensinnige Kunstverständnis der Katalanen – mit Antoni Gaudi, dem katholischen Architekturmodernisierer und Designern, die mit das modernste Infosystem einer europäischen Metro konzipiert haben. Die Vorort-Provinz, in der ich mich einquartiert hätte, wäre ebenfalls einen Absatz wert gewesen. Inklusive einem Strandparty-Stadtfest mit einer Rockband, die – ein herzhaftes Fuck It in Richtung der gelackt-zurechtgestylten Hyperavantgardisten – meinem Idealverständnis von ungeschliffenem Roots Rock à la Creedence Clearwater Revival ziemlich nahe gekommen ist. Und, wo wir beim Thema Subkultur sind: die mediterane Art, sich zu tätowieren. Last but not least wartet Barcelona mit interessanten Blickpunkten auf sowie einer eigenen Ausgabe der Cocacabana – einem Stadtstrand, der kilometerweit nach Norden reicht und dort ziemlich bruchlos in die etwas beschaulicheren Strände der Provinz übergeht.

Das Katalanische ist ebenfalls – interessant. Ich hab’s nicht begriffen – nur so viel, dass es meiner Meinung nach eine exotische Mischung ist aus Okzidentalisch-Französisch und Spanisch. Terror? Bekommt man als Urlauber nicht wirklich mit. Charlottesville – ein kurzer Spot in den Headlines: Aha, die Rechten in den USA gibt es auch noch. Selbstredend habe ich mich hinterher informiert. Flieger bieten hierfür eine 1a-Gelegenheit – selbst dann, wenn man für den Spiegel zwei Euronen mehr abdrücken muß als in Good Old Germany.

Seit gestern abend ist alles anders.

Zugegeben – ich habe mich auf einen ziemlich beschissenen Film eingelassen. Die Betroffenheit wollte irgendwo raus. Nicht nur, dass ich die Sangria-Ramblas und die Blut-Ramblas schlecht zusammenbringen kann. Man kommt ins Überlegen. Was wäre, wenn? Ich neige nun nicht zur Heulsusigkeit. Aber irgendwas scheint der Abstand von vergleichsweise mickerigen drei Tagen in mir ausgelöst zu haben. Was? Keine Ahnung. Ich empfinde nicht einmal Hass. Kriege nur das Kotzen vom Anblick der Blutlachen, der handygefilmten Toten und noch Lebenden auf dem Boden, der ratlosen Panik und der panischen Ratlosigkeit.

Zu meiner Schande muß ich gestehen, dass ich zusätzlich zu allen weiteren schlechten Angewohnheiten auch den Club der notorischen Rechthaber angehöre. Habe mir also Wikipedia gegeben. Natürlich habe ich mich dort heillos zerstritten. Streitpunkt, unter anderem: Ob man die Kondolenzriege im Terrorartikel namentlich darstellt oder es lässt. Ich fand es durchaus bemerkenswert, dass Gabriel und Schulz angemessene Worte fanden, die deutsche Betonlady jedoch ihren Regierungssprecher zum Kondolieren vorschickte. Zur Ehrenrettung der Editoren dort muß man konstatieren, dass durchschnittliche Wikipedianer mit außerordentlichen Ereignissen wie dem Anschlag gestern ebenso umgehen wie Hinz und Kunz: Man verdrängt, man pampt sich an, und natürlich soll die ganz persönliche Sicht auf die Dinge unbedingt in den Artikel. Das System dort mit der hochgelobten Schwarmintellenz läuft, meine Meinung, schon seit Ewigkeiten nicht rund. Nachdem alle von taz bis F.A.Z. den Umsonst-Content in den Himmel hochjubelten, hat zwischenheitlich eine kritischere, gleichzeitig jedoch hämischere Berichterstattung eingesetzt über die verbliebenen Jünger von Jimbo Wales. Deren Hauptfehler wohl der ist, dass sie den Kapitalismus noch nicht richtig begriffen haben – speziell die Regel, dass in ebendiesem nur der Erfolgreiche geliebt wird.

Nach einer Nacht des Lexikonkriegs habe ich mich entschlossen, meine Gedanken und Gefühle nunmehr der Freitag-Community anzuvertrauen. Doch was soll ich mitteilen? Gut, dass sie die Typen in Cambrils gestellt haben. Nur einen ernstgemeinten Verbesserungsvorschlag hätte ich (gilt international): Die Angewohnheit, polizeiseitig immer gleich alle umzulegen, ist strategisch gesehen Bockmist. Wen soll man zum Auspacken bringen, wie Netzwerke aufdecken, wenn alle Verdächtigen am Ende unter der Erde liegen? Ich habe die Guardia Civil gesehen; auch letzte Woche gehörten Maschinenpistolen bereits zur normalen Ausrüstung. Allerdings: Die Angewohnheit, nach dem Motto Erst schießen, dann fragen zu verfahren, ist – meine Meinung – im Kampf gegen den Terror entschieden zu kurz gedacht. Vorschlag daher: immer (mindestens) einen übrig lassen.

Möglich, dass meine Gehirnsynapsen von zu viel Dirty Cops sowie dazugehöriger Krimi-Lektüre geprägt sind. Dass ich den neuen Don Winslow im Urlaub nicht fertiggekriegt habe, kann leider nicht als Ausrede gelten. Doch lassen wir das. Der echte Dirty Cop sitzt im Weißen Haus. Oder besser: Twitter-Weltmeister. Nun hat er es endlich geschafft, den heimischen Bürgerkrieg langsam auf Touren zu bringen. Ich bin kein Hasser von General Lee. Im Gegenteil: Lee war einer der Moderaten – ein Sklavereigegner, der lediglich aus Loyalität zu seinem Heimatstaat Virginia der Südstaaten-Armee beitrat. Nichtsdestotrotz bin ich der Ansicht: Der Scheiß muß weg! Alle Denkmäler – Lee, Klan-Mitbegründer Nat Bedford Forrest (eine weitere Südstaaten-Heiligenlegende), Jeff Davis und wie sie alle heißen. Baltimore, du Süden – so liebe ick dir: Alle Sklavereiverherrlichungsmonumente in einer Nacht aus dem Verkehr gezogen. In North Carolina haben beherzte Demonstrant(inn)en selbst Hand angelegt. Soll niemand sagen, dass aus dem Süden nicht noch was wird.

Nur Trump. Die eigentlich interessante Frage ist mittlerweile, ob er nur eine hochnotpeinliche Twitter-Meldung pro Tag schafft, oder ob das Tempo steigerbar ist. Ist es. Heute war zwar erst eine. Die Exekutionsfantasie mit Schweineblut-getränkten Kugeln – camoufliert in bester Alt-Facts-Tradition und einem verstorbenen Army-Kämpen in den Mund gelegt – hatte es allerdings in sich. Und der Tag ist noch jung. Wenn er sich nicht gerade mit seinen Beratern verkracht, arbeitet sich der Twitter-König derzeit am nordkoreanischen Babyface-Diktator und am Weltfrieden ab.

Für letzteren habe ich übrigens einen nachhaltigen Vorschlag. Als erstes kauft die EU den Kubanern Kuba ab und garantiert der dortigen Bevölkerung ein neues Territorium inklusive Staat – sagen wir, Texas. Im Anschluss werden Quaida, IS und ihr Hardcore-Anhang sowie Trump und sein rassistischer Hardcore-Anhang auf die Zuckerinsel deportiert. Die Kontrolle unterliegt einem gemeinsamen Mandat der Vereinten Nationen. Anbauen, Exportieren und Importieren dürfen sie, was sie wollen. Zusätzlich gibt es ein ausreichendes Equipment an Waffentechnologie – frei verteidigen sollen sich die freien Männer schon dürfen. Und wenn nach zwanzig Jahren Ruhe im Zirkus eingekehrt ist, wird aus der Zuckerinsel eine Ferieninsel.

In der Frage, ob es unbedingt Kuba sein muß, bin ich kompromissbereit. Da es in der Arktis nächstens superwarm wird, wäre auch die eine akzeptable Lösung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz