Linkspopulist sucht Thema

dFC-Autor Wer ist eigentlich Richard Zietz? Wir stellen in diesem Beitrag den Autor vor und ergründen die Untiefen zwischen Linkspopulismus, Popkultur und Freitag-Community.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
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Zietz mag es gern prall, drall und konkret – wie beispielsweise die Plastiken der Aktionskünstlerin Nicky de Saint-Phalle

Bei vielen Autor(inn)en des Freitag stellt sich mitunter die Frage: Wer ist der oder die eigentlich? Was macht er (»sie« stetig mitgedacht), wie tickt er, wie kommt er zu sowas? Bei einem Populisten stellt sich diese Frage doppelt und dreifach. Richard Zietz hat sich mit seinem alter ego getroffen. Das alter ego stellte die Fragen, der Autor hat so gut es geht geantwortet.

Du führst in deiner Selbstbeschreibung den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin als positive Referenz auf. War das eine weise Idee?

Wie mans nimmt. Ich muß gestehen: Die Verhältnisse in der Russischen Föderation sehe ich zwischenzeitlich etwas kritischer als noch vor vielleicht fünf oder zehn Jahren. Andererseits halte ich die Position, die viele im Zug des ukrainischen Maidan einnahmen – speziell auch vor dem frühzeitig bekannten Hintergrund, dass die neue Ukraine keinesfalls ein demokratischer Musterstaat ist und das sich dahinter vielmehr hochbedenkliche Kräfte formieren – noch heute für ziemlich unfassbar. Springendster Punkt allerdings ist, dass im Zug der Maidan-Ereignisse die Kriegsgefahr spürbar stieg. Und viele Linke – um nicht zu sagen: der Mainstream dessen, was hierzulande links ist – auf eine Form Russlandhetze mit aufsprangen, wo man sich auch im Nachhinein nur an den Kopf greifen mag. Da haben sich zum Teil Leute profiliert, die in die CDU der Fünfziger Jahre bestens hineingepasst hätten.

Rebecca Harms?

Sicher. Aber Harms – oder auch Werner Schulz, der die NATO direktemang in Polen aufmarschieren lassen wollte – sind nur besonders krasse Beispiele. Aber zurück zur Frage. Sicher erfüllt Russland unter Putin die Kriterien für einen autoritär geführten Staat. Andererseits lassen unsere hiesigen Menschenrechtler*nnen gern außen vor, dass auch dieser Staat letztendlich mit dem Wasser kochen muß, dass ihm zur Verfügung steht. Klar – eine Implosion Russlands wäre aus mancher Berliner Hipster-Warte sicherlich eine geile Option. Der springende Punkt ist nur: Käme es zum Schlimmsten, wäre die Chance nicht gering, dass auch die Freunde der russischen Menschenrechte binnen eines Jahres in einer Situation stecken würden, in der sie allen Anlass hätten, ihren Enthusiasmus gründlich zu überdenken.

Du meinst Krieg?

Es muß nicht unbedingt Krieg sein. Jedenfalls kein großer, oder einer, der richtig heiß wird. Fakt ist, dass bereits der derzeitige Kalte Krieg in großem Maßstab Bindungen gekappt hat, Beziehungen, wirtschaftlichen oder auch kulturellen Austausch. Russland zieht sich hinter seine große Mauer zurück; das Land kann sich das auch locker leisten. Für Frieden und Entspannung jedenfalls scheint mir eine derartige Konfrontation nicht gerade das Beste zu sein.

Gute Überleitung. In mehreren dFC-Beiträgen hast du über die politische Situation in den USA geschrieben – zuletzt über die Voraufstellungen bei der Demokratischen Partei. Frage, da du Donald Trump sehr ins Visier genommen hast: Ist Trump schlimmer als Putin?

Sicher. Wer das nicht zu erkennen in der Lage ist, sollte sich die Brille putzen. Oder noch besser: seine politischen Grundkoordinaten nachkalibrieren. Putin ist – bei allem, was sich gegen ihn sagen lässt – ein Rationalist, Trump hingegen ein Irrationalist.

Wieso? Donald Trump hat sich ziemlich umgehend aus dem Syrien-Krieg zurückgezogen. Die Verhandlungen mit Nordkorea sind zwar von Stockungen und erratischen Ausfällen geprägt. Andererseits hat kein demokratischer Präsident derartiges auch nur in Erwägung gezogen …

Ja. Die gute Frage ist doch nur, warum er das macht. Meine Vermutung ist die, dass Trump außenpolitische Erfolge mittlerweile so dringend braucht wie der Verdurstende das Wasser. Was hat er innenpolitisch geleistet? Die USA drei Jahre nach seiner Wahl sind die reine Katastrophe – polarisiert bis zum Anschlag, mit Rechten auf dem Vormarsch, von denen man bis 2016 nicht mal mehr wußte, dass es die noch gibt. Hinzu kommt die soziale Frage. Auch diese versucht Trump vorwiegend mit außenpolitischem Armdrücken zu lösen. Konkret: mit dem ältesten Mittel aller Nationalisten – Handelsprotektionismus. Auch hier dieselbe Junkie-Verhaltensweise wie sonst überall: Schutzzölle und Handelsbeschränkungen sollen übertünchen, dass die Bereicherung der Eliten, für die Trump steht, in eine neue Phase der Räuberei von unten nach oben übergeht. Sprich: Zerschlagung von Gewerkschaften, Canceln von Sozialprogrammen, weniger Steuern für die da oben. Hinzukommend der ganze elende Rassismus und Sicherheits-Faschismus mit Polizei-Aufrüstung –

Okay – kann man ihm sicher in Rechnung stellen. Aber was würde ein demokratischer Präsident anders machen?

Zumindest in der Theorie sind die Demokraten bestens aufgestellt. Jeder weiß eigentlich, dass ohne eine Art New-Deal-Programm kein Blumenpott gegen Trump zu gewinnen ist. Die gute Frage ist, wie sie das hinkriegen. Die Rechten, die Durchgeknallten sind sowieso weg; unerreichbar. Frage ist: Wie nimmt man die Mittelschicht mit – die gemäßigten Liberalen oder jedenfalls Nicht-Trumpistas in den Suburbs? Im Grunde die Quadratur des Kreises. Aktuell habe ich den Eindruck, dass die Demokraten nach einem neuen Kennedy suchen – also einem, der neu wirkt, im Großen und Ganzen jedoch an die Programmatik von Hillary anknüpft.

Beto O’Rourke?

Könnte auf O’Rourke hinlaufen. Kamala Harris halte ich nach wie vor für eine aussichtsreiche Kandidatin. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass das Parteietablishement wieder auf die (vermeintlich) sichere Karte setzt und jemand wie Joe Biden ins Rennen schickt. Was in meinen Augen die programmatische Bankrotterklärung der Partei wäre.

Was ist mit Sanders?

Wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre, würde ich sicher sagen: Auf jeden Fall – schickt Sanders ins Rennen.

Enthusiasmus klingt anders.

Nicht ganz. Die Tragik ist ja, dass es den gebackenen Kandidaten nicht gibt. Von der Programmatik gibt es an Sanders nichts auszusetzen. Der »populistische« Ansatz – also stärker auf volksdemokratische Prozederes setzen, auch mal Enteignung mit ins Kalkül nehmen – ist derzeit wohl das linkeste, was in den USA derzeit zu haben ist. Im Erfolgsfall könnte es tatsächlich auf eine Art neuen New Deal hinauslaufen: Eine erfolgreiche demokratische Mannschaft mit im Kern linken und zentristischen Leuten übernimmt und stellt ein entsprechendes Programm auf die Beine. Sicher – Abstriche werden sich dabei nicht vermeiden lassen. Allerdings: Wenn sie es schaffen, das soziale Gefälle halbwegs abzudichten, wirtschaftspolitisch keine gravierenden Fehler machen und auch außenpolitisch nicht wieder in Zeiten zurückfallen, in denen täglich Zinksärge mit toten GI’s eingeflogen werden, sähe ich in der Tat einen Hoffnungsschimmer am Horizont.

Eine hehre Hoffnung. Stichwort: Kamala Harris. Da wir hier nicht ausschließlich auf die große Politik eingehen wollen: Was hälst du von ihrem Musikgeschmack?

(lacht) Nicht schlecht. Als ich den Clip gesehen habe, war ich angenehm überrascht. Wobei ich zusätzlich gestehen muß, dass ich da ein Opfer meiner eigenen Vorurteile war. Kein Mainstream-Pop mit Aretha-Franklin-Einsprengsel, sondern guter, zeitgenössischer Hip Hop, RnB – inklusive Too Short, von denen ich dachte, die kennt heute kein Mensch mehr. Könnte ich mich mit anfreunden.

Obwohl du selbst doch eher ein Freund von gut abgehangener weißer Country-Musik bist?

(kratzt sich nachdenklich am Kopf) Okay – ich will mich für meine zutiefst weißen Hillbilly-Präferenzen auch nicht verstecken. Andererseits finde ich diesen »Back to the Roots«-Trip, den zahlreiche Musiker und Musikerinnen vollziehen, doch bemerkenswert. Woher kommt diese Vorliebe für handgemachte, explizit auch traditionelle Musik? Hinzu kommt: Das sind ja alles keinesfalls entrückte Traditionalisten. Mumford & Sons, um ein Beispiel zu nennen, machen große Hallen voll. Die spielen mit Leuten wie Elvis Costello oder auch dem Boss zusammen.

Also die Musik der weißen Arbeiterklasse?

Ich würde es nicht so pathetisch formulieren – wenn auch ein Körnchen Wahrheit dahintersteckt. Zumindest würde ich den Begriff »weiß« weglassen. Der springende Punkt ist der, dass aktuell wieder eine große Rückbesinnung zu beobachten ist auf die Traditionen des Great American Songbook – also die Stile und Genres, welche die Popmusik letzten Endes zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Und die letzten Endes nicht nur eine immense stilistische Vielfalt hervorgebracht hat, sondern auch einen rebellischen, sozialkritischen Impetus – eine Tradition, die hierzulande völlig übersehen wird: dann etwa, wenn man die US-Popmusik lediglich auf heute angesagte Mainstream-Großacts reduziert.

Also Popmusik im Verständnis etwa eines Bob Dylan? Für den letztendlich alles ein Riesen-Fundus an Tradition ist?

Im Sinn von populärer Musik, sicher. Wobei zu dieser Tradition ja nicht nur Dylan gehört, sicher ein ganz Großer. Sondern ebenso Woody Guthrie, Seeger, die großen Blues-Leute wie John Lee Hooker oder Muddy Waters, Lou Reed, Patti Smith …

Ein Geschmack, mit dem du dir in der Freitag-Community sicher keine Freunde machen wirst. Vor allem, wo du ja auch über diese Art Themen schreibst …

Ja, vermutlich. Generell muß man konstatieren, dass Kultur – oder speziell auch: Popkultur – im Freitag ziemlich ein Mauerblümchen-Dasein fristet. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen definiert sich die sogenannte Community ja nicht über Kultur-Themen. Da stehen – und das ist durchaus auch richtig so – vor allem politische Themen im Vordergrund. Hinzu kommen allerdings spezielle Formen von Gegenwind. Ein beträchtlicher, speziell in Deutschland virulenter ist der grassierende Antiamerikanismus. Etwas bösartig formuliert kann man den durchaus auf Oswald Spengler zurückbrechen. Im Grunde sind da auch die Linken wenig anders – in dem Sinn, dass man vermeint, tiefer zu denken und zu fühlen und sich im Grunde vorrangig auf die bürgerliche Hochkultur bezieht. Im Grunde nichts weiter als bildungsbürgerliches Distinktionsverhalten wie beim Rest des Bürgertums auch – wobei bei den Linken, man gönnt sich ja sonst nichts, die bekannte Affinität zu Brecht & Co. hinzukommt sowie zu den Formen des politischen Kabaretts. Speziell Brecht – an sich ja kein schlechter Mann – wird in diesem Milieu ja geradezu vergöttert.

Wobei bei den Jungen ja eher der Eindruck entsteht, dass hier netflix & Co. großflächig übernommen haben. Ist dieser Eindruck richtig?

Sicherlich. Wobei man hier ganz simpel konstatieren muß: Die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland haben die Jugend – zumindest den Nicht-Musikantenstadl-kompatiblen Teil davon – weitestgehend aufgegeben und machen ein Programm für die Generation 60 plus. Was den Serien-Boom anbelangt, befinde ich mich als Angehöriger der nicht mehr so jungen Generation fast schon in einer schizophrenen Situation. Ich muß es gestehen: In meinem Freundes- und Bekanntenkreis befindet sich ein Einziger (!!), mit dem ich mich auf Augenhöhe über neuere Serien austauschen kann. Wobei ich, um auf den Freitag zurückzukommen, hier den Eindruck habe, dass zwischen Redaktion und Kern-Community interessenstechnisch-kulturell doch eine sichtbare Lücke klafft. Um es so zu sagen: Ich bringe diese Art Themen weiter ein, muß umgekehrt allerdings konstatieren, dass ich kulturell so ungefähr zwischen sämtlichen Stühlen sitze, die man in dem Bereich aufstellen kann.

Keine Chancen für Gramsci und eine kulturelle Hegemonie?

Derzeit wenig. Bekanntlich war das ja mal anders. Irgendwie – ich glaube, dass muß so Anfang der Neunziger gewesen sein – hat die Linke alles, was mit Popkultur zu tun hat, großflächig über Bord geschmissen. Das ist sicher auch eine Generationenfrage. Man wird älter; andere Dinge rücken prioritätstechnisch in den Vordergrund. Sich stets um neue Acts zu kümmern, die derzeit der heißeste Scheiß’ sind, ist ab einem gewissen Alter nicht mehr das Ding. Allerdings hat man – Deutsche sind bekanntlich besonders gründlich – sehr das Kind mit dem Bad ausgekippt. Persönlich habe ich den Eindruck, dass sich das langsam wieder ändert. Natürlich ist Hip Hop nicht jedem sein Ding. Da die Bewegungen derzeit wieder an Dichte zunehmen, wächst auch der damit verbundene kulturelle Sektor wieder an. Wobei man sich als alter Sack (pardon) natürlich davor hüten sollte, einer nachwachsenden Generation den eigenen musikalischen oder sonstigen Geschmack vorzudoktrinieren.

Also doch Chancen für eine kulturelle Hegemonie?

Ich sag’s mal so: Wenn die Linke in ihrer Gesamtheit verstärkt wieder die Konzepte von Gramsci & Co. aufgreift, sehe ich die Sache ziemlich in trockenen Tüchern. Vergiss allerdings nicht, ein Zwinkersmiley hinter den Satz zu setzen ;-).

Letzte Frage: Du hast dich speziell mit den Gender-Leuten, die im Freitag doch recht präsent sind, regelmäßig angelegt. Alter-Weißer-Mann-Syndrom, oder steckt da mehr dahinter?

Da die Chose kompliziert ist, muß ich auf diese Frage differenziert antworten. Erst mal: Kein Linker, der oben etwas zusammen ist, kommt heute noch umhin, die Fragen der Frauenemanzipation oder auch die nach den Rechten sexueller Minderheiten mitzudenken und hier irgendwelche (hoffentlich guten) Antworten zu finden. Das betrifft auch keinesfalls ausschließlich Fragen der Ökonomie oder der gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit, sondern ebenso die, wie du in Beziehungen leben willst, beziehungsweise: welche Art von Beziehungen du dir als erstrebenswert denkst. Womit ich in der Tat wenig anfangen kann ist diese Gender-Ideologie, bei der es hauptsächlich darum geht, korrekt zu sprechen und bei der es das Hauptbestreben ist, hinter jeder Ecke eine neue Form der Diskriminierung zu entdecken. Meines Erachtens ist dies eine zutiefst bürgerliche Geschichte – wobei beide Formen nicht nur wenig Bodenhaftung im real stattfindenden Leben haben, sondern darüber hinaus auch stark dazu eingesetzt werden, sich sozial nach unten abzugrenzen. Vertrackt ist das Ganze deswegen, weil in dem Bereich ja auch eine ganze Menge sinnvoller politischer Forderungen gestellt werden – respektive Bewegungen losgetreten werden, die real stattfindende Übergrifflichkeiten angehen wie zum Meispiel #MeToo. Fazit: Das Thema ist kompliziert – und sicher keins der Sorte, dass wir in dem Rahmen hier erschöpfend behandeln können.

Kurzcheck zum Schluss: liebster Schauspieler, liebster Musiker, liebster Politiker. Du kannst gern auch gendergerecht antworten.

Mach’ ich doch gerne – wobei ich generell anfügen muß, dass es auf meinen vorderen Rankingplätzen mitunter lebhaft zugeht. Bei den Schauspielern mag ich derzeit stark Benicio del Toro. a) hat er Che Guevara echter gespielt als Che selbst, b) in »Escape at Dannemora« einen geradezu fulminanten Auftritt hingelegt. Musikerin: Eilen Jewell – eine Rootsrock-Musikerin und Singer-Songwriterin, die mit jedem Album neu überrascht. Politiker: Da halte ich es ähnlich wie mit Putin und widerstehe den Wellen des Hipstertums, so gut ich es vermag. Also: Martin Schulz – der zumindest gesangstechnisch etwa mit Claudia Roth durchaus ein Ständchen gemeinsam hinbekäme. Kamala Harris käme zwar ebenfalls hin, zumindest vom Typ. Allerdings denke ich, dass sie als Präsidentin Justiz-Überraschungen hinlegen würde, wo wir alle uns noch die Augen reiben würden.

War’s das jetzt?

Ja. Wir danken vielmals für deine Zeit sowie das aufschlussreiche Gespräch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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