Alle reden vom Wetter – wir nicht!

Ö/R-Wetterinfos ARD und ZDF »meinungsfenstern« mittlerweile sogar die Wetternachrichten. Während sich bei tagesschau.de herkömmliche Wetterberichte und 30-Sekunden-Kurzfilme abwechseln, haben die Mainzer die Wetterinfos in Mini-Slots zerstückelt.

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Bei Wikipedia gibt’s zum Wetter sogar Bilder. Hier: der Monat April.

Zeitweilig en vogue war im Zug der Studentenproteste 1968 ff. ein SDS-Plakat – verziert mit den Köpfen von Marx, Engels und Lenin. Die dazugehörige Parole: »Alle reden vom Wetter – wir nicht!« Mit Marx, Engels oder gar Lenin haben ARD und ZDF zwar ganz sicher nichts am Regen- oder auch Sonnenschirm. Die Haltung, dass die Massen geleitet und gelenkt gehören, und man mit Informationsvorhaltung entsprechend sparsam umgehen sollte, scheint das vor-vorletzte Ost-Tief jedoch direkt vom Kreml in die Anstalts-Chefetagen in Mainz oder Köln hinübergeweht zu haben. (Die ARD hat – Verantwortlichkeit ist leider aus der Mode gekommen – keinen wirklichen Sitz. Um die Mitlesenden nicht zusätzlich zu entmutigen, steht pars pro toto hier eben Köln.) Veranschaulichungshalber braucht es dabei keine langen Geschichts-Analogien. Es genügt ein mehrmals absolvierter Blick auf die beiden Homepages tagesschau.de und heute.de – konkret die Unterrubriken »Wetter« (bei der ARD) und »Wetter« (beim ZDF). Die Zustände dort: ähnlich wechselhaft wie die im Wettermonat April.

Wetternachrichten via Random-Prinzip

Ohne Aufwand kein Ergebnis: Wichtig beim Qualitätscheck der Ö/R-Wetternachrichten ist das Wörtchen »mehrmals«. So kann es sein, dass bei tagesschau.de Montag um zehn ein ausführliches Wettervideo steht, um zwölf hingegen nur noch ein 30-Sekunden-Kurzfilmchen. In welchen Wechseln der Haupt-Grundversorgungslieferant einen regulären Wetterbericht liefert und wann nur eine Photoshop-zusammengesbastelte und mit etwas Ton aufgepeppte GIF-Animation, ist eines jener Geheimnisse, die sicherer gehütet sind als die Formel für Coca Cola in der Coke-Firmenzentrale in Atlanta. Profan formuliert: Wann ein normaler Wetterbericht online steht und wann lediglich eine Animation mit Rudimentär-Infogehalt, ist für Otto Normalverbraucher(innen) nicht ergründbar. Der bestmögliche Anhaltspunkt hier: Ist ein Video verfügbar, welches mit einem Schal-eingepackten Wettermenschen auf dem Dach des Frankfurter HR-Gebäudes beginnt, hat man Glück gehabt und es folgt ein Wetterbericht wie in der guten, alten Köpcke-Zeit. Wenn nicht – dann eben nicht.

Leider kann das Ansteuern der Konkurrenz-Wetterseite nicht mit gutem Gewissen empfohlen werden. Eigenheit der Mainzer: Die Wetternachrichten sind aufgesplittet in ein Dutzend unterschiedlicher, ausgleichshalber jedoch gleich chicker Diagramme. Dort erfährt die geneigte Informationssuchende zwar, welche Temperaturen an ihrem Standort um 11, 12, 13, 14, 16, 18, 20 Uhr und so weiter zu erwarten sind (sofern sie die Geotracking-Funktionen von Google & Co. nicht kunstvoll ausmanövriert hat). Die Infos zu weiteren Aussichten, was die Wetterlage derzeit überhaupt so macht, oder ob ein Regenguß eventuell die angegebenen Temperaturen verziert, dürfen sich Frau Müller aus Buxtehude und Herr Schmidt aus München-Süd dann aus dem darunter platzierten Grafiken-Salat herauspicken. Plus fürs ZDF: Ein Video mit dem (normallangen) Wetterbericht der letzten heute-Sendung war zumindest beim Check unmittelbar vorm Schreiben dieses Artikels präsent. Vielleicht also sollte man die Hoffnung nicht ganz aufgeben, dass es mit ganz normalen Wetterberichten irgendwann wieder klappen könnte?

Wo wir bei den aktuellen Schwimmbad-Temperaturen sind: Ist das alles ein (wirkliches) Problem? Anders gefragt: Haben wir angesichts von Ukraine-Krieg, Teuerung und Klimawandel nicht dringlichere Probleme als die Frage, mit welchen Inhalten oder Nicht-Inhalten ARD und ZDF ihre Wetternachrichten bestücken? Die Antwort: Wie man’s nimmt. Die linear schauende Mutter von Frau Müller in Buxtehude wird von der Problematik wahrscheinlich eh kaum tangiert. Anders gesagt: der digitale Infosalat der Ö/Rs zieht an ihr glücklich vorüber – die linear ausgestrahlten Nachrichten nämlich beinhalten am Ende stets und immer einen Wetterbericht in angemessener Länge. Auch für die App-erprobten Youngster mit ihren SmartPhones sind aktuelle Wetterinfos vermutlich wenig ein Problem. Der gewöhnliche Nerd wird sich mit derlei Widrigkeiten ebenfalls kaum herumschlagen. Wer’s genau wissen möchte: Im Netz reißen sich die entsprechenden Seiten um die Aufmerksamkeit des geneigten Surfers – darunter auch das Portal eines von den ÖRs seinerzeit fallengelassenen Wetterpapstes.

Entsprechend ist das Problem bei der Chose auch weniger die allgemeine Verfügbarkeit der Nachricht, sondern vielmehr die – durchaus als exemplarisch anzusehende – Art und Weise, wie die beiden Ö/R-Hauptanstalten mit den Wetternachrichten Politik betreiben. NICHT valide ist sicher die Einschätzung, dass die Anstalten lange Wetternachrichten dann raushauen, wenn aktuell Klimaalarm ist (oder das Gegenteil: Wetterverhältnisse, die dem Langzeittrend Klimawandel widersprechen) – ergo Cluster von redaktionellen Klimaleugnern oder auch Klimaalarmisten da am Werk wären und entsprechend Nachrichtensteuerung betreiben. Eher dürften zwei profanere Gründe für die wechselhafte Versorgung mit Wetterinfos verantwortlich sein. Der harmlosere der beiden: der unbändige Drang, in Permanenz am Erscheinungsbild digitaler Portale herumzuverschlimmbessern. Der weniger harmlose sei an dieser Stelle nicht verschwiegen: Vermutlich ist den Sender- und Ressortchefs das »Nachrichtenfenstern« derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie auch bei Basics wie den Wetterinfos nichts anderes mehr können.

Abhilfe: Tipps & Tricks

Wie kommt man nun zu seinen Wetterinfos, wenn ARD und ZDF nicht wollen, dass man sie kriegt? Da die Gesellschaft längst noch nicht so durchformiert ist, wie einige Anhänger(innen) des allseitigen Kontrollgedankens es gerne hätten, gibt es allerlei Abhilfen – in den meisten Fällen einigermaßen kommod und easy anwendbar. Folgende Hausmittel helfen gegen die informationskärgste Wetter-Redaktion:

1. wetter.com, wetteronline.de, wetter.de & Co. Die Portale gängiger Privatmedien sind im ein oder anderen Fall vielleicht weiterführend – auch wenn der Onlineauftritt von RTL diese Marktnische noch nicht für sich entdeckt hat. (Kleiner Scherz am Rand: Vielleicht nimmt sich in weiterer Zukunft vielleicht sogar der »Freitag« dieses Nischenthemas an, und erweitert die Rubrik »Klima« um korrespondierende Wetteraussichten – etwa für die Woche von Freitag bis Donnerstag?)

2. Live-Streams. Die Live-Streams der beiden Hauptsendeanstalten sind möglicherweise ein guter Anlaufpunkt, wenn deren Nachrichtenportale sich in Sachen Wetterauskünfte wieder zugeknöpft geben. Manko: Die Haupt-Nachrichtensendungen dort (inklusive Wetterbericht) sind nur in einem bestimmten Zeitfenster (circa 2 Stunden) ansteuerbar. Allerdings: Wenn man in Rechnung stellt, dass beide Anstalten mehrmals täglich längere Nachrichtensendungen bringen, dürfte es grosso modo durchaus funktionieren, sich die auf der Homepage vorenthaltenen Infos auf die Art und Weise zu besorgen.

Weitere Technik-Jonglagetricks in Sachen Wetterinfos sind weniger bis gar nicht probat. Auf YT wird man schon aktualitätstechnisch kaum fündig werden. Ebenso leider in den Mediatheken der beiden Ö/R-Hauptanstalten ARD und ZDF. Im angebotenen Mediatheks-Sortiment sind die laufenden Nachrichtensendungen entweder nicht präsent, oder aber an Orten abgelegt, wo Normalsuchende sie kaum finden. Trostpreis so: Wenn es regnet oder, umgekehrt, durch die überhitzte Sozialwohnung kein Lüftlein wehen mag, können Sie auf eine der vorrätig gehaltenen Unterhaltungssendungen zappen – etwa, an der Stelle ebenfalls auf randomisierte Weise ausgewählt: Talk im U-Boot: Evelyn Burdecki schwindelt bei Instagam.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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