Flapper, Polizisten, Nazis

TV-Serie Die vierte Staffel von »Babylon Berlin« ist bei sky gestartet. Und bewegt sich zunehmend in Richtung eines deutschen »Boardwalk Empire«.

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Zugegeben: Manche Dinge bleiben gleich. Beispielsweise die Risiko-Aversion bei fiktionalen Stoffen seitens der Öffentlich-Rechtlichen. Manchmal ändern sich Dinge allerdings zum Besseren. Mitunter trifft dies sogar auf Dinge zu, die zu Beginn eher durchschnittlich waren und erst im Verlauf ihrer Entwicklung zunehmend mit Glanz überraschten. Ein solcher Fall ist das von ARD/Degeto und Streaminganbieter sky in Koproduktion auf den Weg gebrachte Serien-Event Babylon Berlin. Seit dem 7. Oktober ist nunmehr die vierte Staffel zu sehen. Ausgestahlt wird sie im wöchentlichen Turnus; der übliche Wermutstropfen: Konsument(inn)en der öffentlich-rechtlichen Medienbibliotheken müssen sich noch bis in die zweite Jahreshälfte 2023 gedulden.

Das Setting der mit einer Doppelfolge einsteigenden Staffel vier greift den in den Vorgängerstaffeln gesponnenen Handlungsfaden auf – wobei wir zeitchronologisch mittlerweile in den Anfangsdreißigern angelangt sind. Ort der Handlung ist nach wie vor »Babylon Berlin« – die pulsierende Metropole der Weimarer Republik. Der Mix aus Kriminalen, Ganoven, politischen Strippenziehern, finanziell üppig gepolsterten Lebemenschen und eher bescheiden ausgestatteten »Normalos« ist geblieben – ebenso wie der aus Fiktiv-Figuren und Exponenten der damaligen Realwelt. Ebenso die beiden tragenden Hauptfiguren: der kriegstraumatisierte Mordkommission-Ermittler Gereon Rath und die junge, dem mondänen Hauptstadtleben nicht abgeneigte Kripo-Assistentin Charlotte Ritter.

Haupt- wie Nebenfiguren entstammen dem Kosmos der erfolgreichen Gereon-Rath-Krimireihe von Volker Kutscher. Staffel vier startet mit der Silvesternacht 1930/1931. Schnell beanspruchen zwei neue Fälle die Aufmerksamkeit der am Alexanderplatz residierenden Kriminalen. Bevor diese richtig in Fahrt kommen, stellen sich allerdings ganz andere Fragen. Die Allererste: Was treibt Gereon Rath dazu, sich in SA-Uniform an Ausschreitungen der Berliner NS-Sturmabteilung zu beteiligen? Und: In welcher Beziehung steht Charlotte Ritter zu den jugendlichen Einbrechern in dem von der SA belagerten Kaufhaus Tietz? Einer ist – mit etwas polizeilicher Nachhilfe – vom Kaufhausdach abgestürzt. Mehr kriminalistische Relevanz scheint zunächst das erste offizielle Morddelikt im neuen Jahr zu haben. Das Opfer: ein – offensichtlich korruptös verstrickter – Verwaltungsbeamter. Der – wie sich bald herausstellt – in einer beidseitigen Nutzbeziehung zu diversen Berliner Ringvereinen gestanden hat. Womit ein Milieu mit ins Spiel kommt, dass eine historisch beglaubigte Melange mit der an die Macht strebenden Nazipartei eingegangen ist.

Wie bereits die ersten drei Babylon-Berlin-Staffeln mixt auch die vierte unterschiedliche Handlungsstränge zu einem komplexen, spannungsgeladenen Gesellschaftspanorama zusammen. Verglichen mit den ersten beiden Staffeln hat Numero vier die Kinderkrankheiten der Serie weitgehend hinter sich gelassen. Charlotte Ritter, gespielt von Liv Lisa Fries, präsentiert sich kompakter als bislang als das emotionale Zentrum der Serie. Heißt: der Flapper-Lifestyle, dem die junge Kripo-Nachwuchskraft zugetan ist, muß, anders als in den Vorgängern, nicht mehr als Selbstzweck inszeniert werden; Ritter aka Fries ist ab den ersten Minuten von 4/1 auf unprätentiös-selbstverständliche Weise präsent – gerade in den Handlungsteilen, die das Kerngerüst der anskizzierten Fälle ausmachen. Präsenter als bislang ist auch Gereon Rath (gespielt von Volker Bruch). Die Verschlossenheit und das tendenzielle Abwesend-Sein sind der Figur erhalten geblieben. Die esoterisch-expressionistischen Seitenstränge indess, mit denen vor allem die Staffeln zwei und drei angereichert waren, könnten in der neuen – ungeachtet der Tatsache, dass der Trailer hier eher wenig Hoffnung erweckt – stärker in den Hintergrund rücken.

Schauspielerisch startet die neue Staffel vor allem mit Präsenz und Alltagstauglichkeit. Die beiden Hauptfiguren ruhen mittlerweile souverän in sich selbst – eine Ausrichtung, die auch dem Komplettsetting zugute kommt. Sicher kann sich der Gesamteindruck im weiteren Ausstrahlungsverlauf verschlechtern. Für ein kompaktes Vorantreiben des Plots allerdings haben die beiden Eröffnungsfolgen eine solide Grundlage geliefert. Sicher ist auch an Staffel 4 von »BB« das ein oder andere zu kritisieren. Beispielsweise die auf Oppulenz versierte Bildsprache – etwa, wenn ein eher schäbiger Tante-Emma-Laden mit einer Optik in Szene gesetzt wird, die einem Vintage-Hotel im Fünf-Sterne-Bereich zur Ehre gereichen würde. Andere Details hingegen waren zu Anfang gewöhnungsbedürfig – wie beispielsweise das etwas verklärend wirkende Abfeiern der Weimar-Berliner Lebekultur. Auch diesmal wieder enthält die Serie ein paar choreografierte Song-Einlagen. Einerseits sind diese zwar mit Versatzstücken aktueller Popkultur aufgepeppt. Andererseits: Weniger historiepuristisch Gestimmte können sich so den ein oder anderen Ohrwurm zu Gemüt führen. Vor allem, wenn Max Raabe oder Meret Becker auf die Bühne des seinerzeitigen Unterhaltungsetablissements Moka Efti treten und bislang eher unbekannte Gassenhauer der Ära zum Besten geben.

Längst hat die ARD Babylon Berlin zum Event hochgehypt – zur Premiummarke am hauseigenen Serienfirmament. Im Anblick des Umstands, dass sonst da eher wenig Sonnenstrahl zu vermelden ist, werden sich die Sender-Macher(innen) auch diesmal wohl im Erfolgsglanz der mit sky koproduzierten Serie sonnen. Zumal sich auch die Freiwillige Selbstkontrolle großzügig gezeigt und der Serie – im Unterschied zur britischen BBFC, die erst ab 18 freigab – eine FSK 12 mit auf den Weg gegeben hat. Eine mögliche Erklärung: In Zeiten, in denen selbst Tatorte kaum noch ohne Explizites auskommen, dürften 12er-Freigaben eher ein Indiz dafür sein, dass Produktionen nicht zu viel Kontroverses oder gar Verstörendes enthalten. Konkret bedeutet dies: An den Realismus der OK-Welt, die Dominik Graf in seiner vielbeachteten Serie Im Angesicht des Verbrechens zeichnete, kommt Babylon Berlin nicht heran. Dafür arbeitet sie sich zu einem anderen Klassiker der neuen Qualitätsserien-Kultur vor: das amerikanische Prohibitions-Drama Boardwalk Empire. Beide Serien – die deutsche wie die amerikanische – glänzen mit oppulenter Set-Ausstattung. Beide gehen nicht wirklich in den verstörenden Bereich. Beide jedoch sind zeit- und gesellschaftskritisch genug, um als plausibles Abbild der gezeigten Epoche zu fungieren – Boardwalk Empire als serielles Schaubild der Roaring Twenties in den USA, Babylon Berlin als das Pendant zur deutschen Vergleichsepoche.

Das Glamouröse neben das Kriminelle gestellt zu haben, und bei beiden Bezüge zu zeigen zu den nationalkonservativen Eliten und den (noch) radikale(re)n Nazi-Aufsteigern, ist das eigentliche Verdienst dieser Serie. Wobei auch die Bezüge zur Jetztzeit nicht zu kurz kommen – etwa dann, wenn Babylon Berlin eine Polizei in Szene setzt, deren Apparat bereits weitgehend durchsetzt ist von offenen Nazis sowie deren eher diskret vorgehenden Unterstützern. Wie schnell eine Gesellschaft ins Rutschen geraten kann, wenn der Kernapparat – also die Exekutive – mehr und mehr Demokratiefeinde in seinen Reihen hat, zeigt eine ganze Latte von Vorkommnissen in den letzten Jahren. Ansonsten: Das Berlin der (ausgehenden) Roaring Twenties war zwar eher aus selektiver Blickwarte ein »Babylon«. Wer Unterhaltungsformate jedoch ebenso für Mittel der Zeit- und Geschichtsaufklärung hält wie hochwertige Dokus oder neueste Ergebnisse der historischen Forschung, erhält in dieser Serie beides: spannende Unterhaltung deutlich über Tatort-Niveau, und ein Zeit-Sittenbild, dass sich vom kitschig-unbedarften Retro-Blick anderer Produktionen angenehm abhebt.

Babylon Berlin. Serie. Staffel 4. Mit Volker Bruch, Liv Lisa Fries, Peter Kurth, Lars Eidinger, Ronald Zehrfeld und anderen. Regie: Tom Tykwer und andere. 10 Folgen à ungefähr 45 Minuten. Ausstrahlung: sky (im wöchentlichen Turnus); geplante ARD-Ausstrahlung: noch kein Termin bekannt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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