Prof. Heiner Flassbeck zur „griechischen Tragödie"
„Wie kann man in Brüssel zulassen, dass ein Mitgliedsstaat in der internationalen Presse und bei den Ratingagenturen schlecht gemacht wird, während ein anderer, der weit mehr gegen die gemeinsamen Regeln verstoßen hat, gefeiert wird? Gibt es etwa feststehende Ideologien, die in Frage gestellt würden, wenn man Deutschland tadelte, Griechenland aber lobte?
Wenn man endlich offen anprangerte, dass ein Land mit Lohndumping andere Länder ungerechtfertigt in Schwierigkeiten bringt? Wer solche Fragen nicht bald und konsistent beantwortet, wird erleben, dass ihm die gesamte europäische Einigung um die Ohren fliegt.“
So eine der harschen kritischen Sätze in einem Beitrag von Prof. Heiner Flassbeck für die Financial Times Deutschland, der sich - seit Griechenland als „Über seine Verhältnisse lebend und leichtsinnig“ von allen abqualifiziert wird - landauf landab dafür stark macht, auch Deutschlands Verantwortung mit zu benennen.
Heute hat er gegenüber Deutschlandradio Kultur erneut seine dezidierte Meinung zu diesem Problem gesagt. Die griechischen Probleme haben sicher ein Bündel von Ursachen und Zusammenhängen, aber im Kern bleibt es dabei, dass Deutschland dabei in hohem Maße mit „an Bord“ ist.www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1115777/
Warum?
Es gehört- so Flassbeck – zu den Verabredungen innerhalb der Euro-Zone, dass die Lohnstückkosten ungefähr um zwei Prozent jährlich steigen sollten. Alle anderen Länder haben das auch im Prinzip so durchgezogen, während Deutschland eine Politik der Lohnzurückhaltung und des offenen Lohndumpings gefahren hat. In den letzten zehn Jahren, sagt Flassbeck, sind in den meisten Ländern die Löhne ungefähr um 25 Prozent gestiegen, in Deutschland nur um 8 Prozent. Damit hat sich – wie man schließen kann – ein enormer Wettbewerbsvorteil im Export für Deutschland ergeben, und andere Staaten - Spanien Portugal und besonders Griechenland - haben nicht nur eine hohe Staatsverschuldung, sondern ein hohes Leistungsbilanzdefizit, weil sich deren Wettbewerbschancen enorm verschlechtert haben.
Ideologie der "Globalisierungszwänge"
Wenn man es sich genau überlegt muss man schließen, dass Deutschland versucht – in den Lohnkosten – mit den aufstrebenden Billiglohnländern zu konkurrieren, auf Kosten der Arbeitnehmer und der Gelder, mit denen der Staat die Niedriglöhner subventionieren muss. Ideologisch wird das mit den Zwängen der Globalisierung begründet, aber eigentlich geht’s darum weniger, sondern um die Bewahrung der Spitzenposition im Export gegenüber den anderen Ländern der europäischen Gemeinschaft.
Sollte nicht auch solidarisches Handeln deren Miteinander bestimmten? Und vor allem, sollte nicht die Heuchelei zumindest beim Namen genannt werden, statt das unsolidarische Deutschland zu loben und zu preisen?
Wo die anderen über ihre Verhältnisse gelebt haben, so Flassbeck, haben andere darunter gelebt, obwohl innerhalb der EU eigentlich mehr Annäherung und Gleichheit herrschen sollten. Und dieses Unterbieten hat Deutschland zum Exportweltmeister, viele Deutsche aber arm gemacht. So wird ein Schuh draus.
Jeder weiß in Brüssel, dass Deutschland mit seiner von Schröder noch initiierten Politik des harschen Wettbewerbs und der Exportausweitung enorm Anteil hat an den Defiziten anderer Lände, sagte Flassbeck im Interview. Aber das darf man nicht sagen, denn andernfalls würde die Forderung nach Erhöhung der Löhne plausibel und vernünftig und das will man in Deutschland natürlich nicht.
Ehe man umdenkt, warnt Flassbeck, gefährdet man den gesamten Währungszusammenhalt und die EU.
Und wie es so ist, gleich im nächsten Interview des Tages
www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1115779/
findet sich die Antwort: Der Vorsitzende des Verbandes Kommunaler Arbeitgeber, Thomas Böhle droht mit dem Abbau von Arbeitsplätzen, wenn auf den Lohnforderungen der Arbeitnehmer bestanden wird.
Was der Arbeitgeberpräsident Hundt dazu sagen wird, ist jetzt schon völlig klar.
Heiner Flassbeck ist Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Wirtschaft (UNCTAD).
(Es gibt keinen Ökonomen, der so klar und verständlich Zusammenhänge erklärt)
Kommentare 21
Wer ist Deutschland?
Alles plausibel erklärt von Heiner Flassbeck. Jeder der es verstehen will, kann es verstehen. Der Haken an der Sache ist, dass es die Regierenden gar nicht verstehen wollen.
Wie sonst, könnte Frau Merkel alle Hoffnung darauf setzen, das Deutschland durch Wachstum wieder auf den gleichen Stand, wie vor der Krise kommt.
Also dahin, wo die Krise entstanden ist. Denn diese Krise ist nicht wie ein "Springteufelchen" aus der Schachtel gehüpft, wie es Steinbrück suggerieren wollte, sondern sie ist ganz klar durch die jahrelang betriebene Wirtschaftspolitik in Deutschland verursacht und gefördert worden.
Leider zahlen die Zeche dafür nicht die Verursacher, sondern diejenigen, die am wenigsten dafür können.
Danke!
Der Zusammenhang zwischen Lohndumping und Exportförderung - auch auf Kosten der Mit-EU-Laender - leuchtet ein, muss aber immer wieder benannt werden.
Im Ganzen betrachtet: Ist die EU nicht ein schwerkrankes Kind?
Gruss
hibou (von ausserhalb)
ich! (unter anderem)
Seit der Zeit, als das eigentlich linke Wort "Solidarität" von Helmut Kohl co besetzt wurde, mangelt es an tatsächlichem Zusammenhalt der Menschen immer mehr. Und das Billiglohnland Deutschland wird solange immer noch billiger, als es den Gewerkschaften nicht gelingt, ihr ureigenstes Klientel wieder besser zu organisieren. Während das Kapital schon lange global agiert und seine Krisen produziert, sind die EU-Arbeitnehmer gespalten wie eh und je. Der deutsche Opel-Arbeiter kämpft für seinen Standort und nicht für den Kollegen in Belgien oder anderswo. Wenn das mal besser wird, wird auch die EU -wenn man sie als Chance für die Menschen, die in ihr leben- betrachtet, konkrete Schritte zur Annäherung und Gleichheit entwickeln.
Nebenbei: Das Wort "Solidaritätszuschlag" ist immer noch die Perversion in sich - mit der Solidarität zuschlagen - das ist wirklich rechtes Gedankentum, das sich ungewollt hier formuliert hat.
Also Flassbeck meint damit die deutsche Regierung, aber auch die deutsche Wirtschaft. Manchmal kürzen das Leute ab, indem sie Deutschland sagen.
Kann ich sonst noch was tun für Dich. :-))
"Im Ganzen betrachtet: Ist die EU nicht ein schwerkrankes Kind?"
So ist es. Sagt Flassbeck auch. Die ganze europäische Währung, die europäische Einheit kann uns um die Ohren fliegen, und dann können währungspolitische Konsequenzen kommen, die auch Deutschland den Vorpsprung kosten können.
Und uns ziemlich turbulente Zeiten.
Gib Küsschen :)
Liebe Magda,
Danke, sehr gut zusammengefasst, mehr solche Artikel bitte!
Unsere Regierung sollte auf Leute wie Heiner Flassbeck hören
"Der Haken an der Sache ist, dass es die Regierenden gar nicht verstehen wollen."
Doch, die verstehen das schon. Die setzen nur - nach wie vor - auf Deutschland als Exportnation. Von daher hat es durchaus für die Sinn. Und für große Teile der Wirtschaft auch. Es geht weniger um Verständnis als um divergierende Interessen. Die Interessen der Wirtschaft, vor allem jenes Bereichs, der international agiert, decken sich nicht mit denen der Leute, die hier in Deutschland leben.
Die werden schon auch schlaue Argumente haben, die ihre Verhaltensweise erklären und "Mietmäuler", die das dann unter die Leute bringen. Zum Beispiel ein durch den Export erzieltes hohes Bruttosozialprodukt bringt viele Steuereinnahmen und all solche Sachen.
Nur: Die Binnennachfrage liegt darnieder und wenn das - manchmal bei Anne Will - besprochen wird, da stößt man auf eisernes Schweigen.
Es war ja Oskar Lafontaine, der damals mit Flassbeck zusammen gearbeitet hat und das alles hat mehr oder weniger kommen sehen.
Nur Schröder wollte unbedingt der Wirtschaft zu Diensten sein, das war in der Zeit des Schröder-Blair-Papiers, glaube ich. Unter der Ägide dieses unsäglichen Bodo Hombach.
de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6der-Blair-Papier
Da waren die alle wie besoffen vor lauter Wirtschafts- und damals speziell noch Finanzfreundlichkeit. Und sie wollten die Sozialdemokratie neu erfinden, mit einer "neuen Mitte". Es hat alles nichts gebracht. Sie haben sich völlig und eigenständig selbst "zerlegt" mit diesen abstrusen Ideen. Den Segen hat jetzt Angela Merkel.
Und die macht - das ist mal wahr - so weiter als wäre nischt.
www.zeit.de/1999/39/Pragmatismus_als_Ideologie?page=3
Hier eine damalige Kritik in der "Zeit" am Schröder-Blair-Papier. Ich führe es nur an, weil jetzt genau das eingetreten ist, was in dem Zitat angekündigt ist. Das ist zehn Jahre alles her.
"Es (das Schröder-Blair-Papier - M.) erhebt die These von einem politisch nicht beeinflussbaren globalen Konkurrenzdruck auf den Standort Deutschland und eines deshalb erforderlichen Sozialabbaus (sprich: bewusster Verarmung eines Teils der Bevölkerung und einer gleichzeitigen unvorstellbaren materiellen Überausstattung eines anderen Teils der Bevölkerung) zu einem unanfechtbaren Axiom."
Da hat man es.
Hier noch ein passender Link zum Beitrag von Robert Kurz im Redaktionsteil
www.freitag.de/politik/1004-post-mindestlohn-ende-kommentar#comment-75265
Dass u.a Duetschland durch die zu geringe (bzw. fehlende) Lohnsteigerung zu Griechenlands Schwierigkeiten beigetragen hatte, ist ein interessanter Gedanken, und sicher nicht von der Hand zu weisen. Es ist plausiebel, dass eine durch höhere Löhne gesunkene Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zu steigendem Leistungsdefizit, und somit zu Haushaltsproblemen führt.
Leider bieten Herr Flassbeck in seinem Interview keine Zahlen, die dies belegen könnten (bis auf die Lohnsteigerungsquote in Deutschland und Griechenland).
Also erstens, in wie weit sich seit 2001 in beiden Ländern das Handelsdefizit verbessert bzw. verschlechtert hatte, und in welchem Umfang je Land dieses Defizit im Zusammenhang mit dem Haushaltsdefizit steht. Gekürzt also: Wenn in Griechenland die Lohnkosten um 1% mehr als in Deutschland steigen, in wie weit belastet es das dortige Budget mehr als das deutsche?
Ein zweiter Punkt der ganz ausgelassen wird: Höhere Löhne müssten doch zu mehr Einkommen, mehr Konsum und mehr Wirtschaftswachstum führen, somit auch zu mehr Steuereinnahmen. Warum geschah dies also in Griechenland nicht?
Für mich ist die Flassbecks These im Grunde richtig, nur bin ich mir nicht so sicher, ob man damit alleine (und vordergründig) die griechische Haushaltsmisere begründen kann.
Wer ein paar Links mit Zahlen hat, her damit!
Ein schöner Artikel, der das Elend auf den Punkt bringt.
Hier auch noch ein anderes prägnantes Statement:
Der Euro auf Mittelmeersand gebaut
"Für mich ist die Flassbecks These im Grunde richtig, nur bin ich mir nicht so sicher, ob man damit alleine (und vordergründig) die griechische Haushaltsmisere begründen"
Nein, das sagt Flassbeck auch nicht, aber er weist darauf hin, dass es momentan wohlfeil ist ,auf Griechenland zu zeigen und deren Verstöße gegen die EU-Richtlinien anzuprangern, aber die Verstöße Deutschlands, die - zumindest teilweise - in Griechenland und anderen EU Ländern - wegen des deutschen Niedriglohn-Konkurrenzverhaltens - Folgen hatten, nicht zu erwähnen .
Zahlen finden sich bestimmt auch. Aber da bin ich nicht so firm drin.
@ Fro - Danke auch für den Link.
Liebe Magda,
sehr schön übersichtlich,
vielen Dank für neue Einsichten!
Herzlich
archie
Heute Sonntag hab ich wie meist in der ARD die Journalistenrunde angehört. Das Thema war: Armut trotz voller Arbeitsstelle. Dem Wort "Lohndumping" wurde heftig widersprochen und z.T. mehr Aufmerksamkeit für die Hartz-IV-Saetze gefordert - wahrscheinlich "damit sich Leistung wieder lohnt"? Auf die europaeischen und internationalen Auswirkungen der Lohnpolitik in D wurde mit keinem Wort eingegangen.
OK, wenn es um das "Mit-dem-Finger-zeigen" geht, so bin ich völlig Ihrer und Flassbecks Meinung.
Und Zahlen habe ich ja nicht von Ihnen erbeten - eher von Flassbeck, oder - wenn es jd. hätte, von anderen Lesern.
liebe magda, die these des prof kann ich nicht überprüfen. wirtschaft(spolitik) ist komplex. aber wir müssen nicht ein bestimmtes land in europa und die hetztexte kennen, um zu wissen, dass die schere zwischen arm und reich sich seit jahrzehnten öffnet, hier in teutonien und anderswo.
die sehr zentral gelegene hauptstadt ist nicht die einzige kommune mit einem derben haushaltsdefizit, das zu lasten der jeweiligen einwohner/innen geht. die schere zwischen arm und reich, die sich öffnet wie ein gieriger rachen, betrifft nicht nur einzelne leute in unterschiedlichen einkommensklassen, sondern auch die ebenen des gemeinwesens: der bund kriegt das meiste kleingeld und nimmt sich zunehmend mehr, die länder und besonders die kommunen sind die dummen. zentralstaat und demokratie.
das gleiche spiel wiederholt sich auf europäischer ebene. mittelmächte wie die brd finden es normal, dass sie die kleineren im bunde ein bisschen quälen. das trifft dann mal die schweiz, mal belgien, mal griechenland z.b. das ist die normalität, zu der die teutonische politik so gern zurück will, mit macht zurück will.
Ziemlich spitzenmässiger, informativer Wirtschaftsblog!
Klasse! Ich stimme Dir vollkommen zu, aber daher kommt nicht das Lob. Du hast diese oft schwierigen wirtschaftspolitischen Zusammenhänge klasse beschrieben. Danke.
por
@ h. yuren - Danke für die ergänzenden Anmerkungen.
@ por - ich bedanke mich, aber ein Teil des Dankes geht auch an Flassbeck, der wirklich gut in seinen Interviews Schwerpunkte setzt. Die Dinge sind - er sagt das selbst - komplexer. Aber in seinen "Vereinfachungen" liegt keine Versimplung. Denke ich.
Ohnehin ist es so mit der Wirtschaftspolitik: Man ist ja als Laie auf Erklärungen angewiesen, geht nicht anders. Und Flassbeck ist einer, dem ich folge.
Gruß (auch an hibou da oben noch)
Den Presseclub gestern habe ich auch gesehen.
Das war eine Unverschämtheit für sich, was da teilweise ablief.