"Dicker als Wasser"

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Die Szene geht so: Sie rennt aus einem Hauseingang raus.

Ein junger Mann rennt ihr hinterher.

Er holt sie ein und es gibt einen kurzen Wortwechsel.

Daraufhin rennt sie in der Gegenrichtung davon – und er hinterher.

An dem kleinen Durchgang zur Straße bleiben beide stehen.

Dort wird dann erneut diskutiert und nun rennt er weg.

Hinter ihm tönt der Ruf: Christian. Ende der Einstellung.

Das alles habe ich kürzlich – von oben aus dem Fenster blickend - beobachtet. In unserer Straße, an unserem Häuserblock liefen Filmarbeiten. Schon als ich am frühen Mittag ankam, stand da ein Leihauto und eine Gruppe junger herumalbernder Leute. Es lag allerlei Kabelzeug auf dem Boden.

Später hörten wir – von oben – immer wieder „Bitte“, denn folgte die oben erzählte Action und das endete mit dem Ruf „Christian“.

Tja, was ist das alles für eine unendliche Arbeit – drei Minuten zu drehen und dafür fünf Stunden zu verbrauchen. Ich konnte mich nicht bremsen und ging runter, um nachzufragen, was das für eine Produktion ist. Es soll ein Absolventenfilm werden. Die Schwierigkeiten beim Drehen ergaben sich u. a., weil der Flugzeuglärm immer dazwischen funkte. Sie haben 20 mal die Klappe geschlagen dort für diesen kleinen Szenenausschnitt. Soviel Leben verbraucht für so wenig Lebensdarstellung.

Ich bin auf erdachte Geschichten in letzter Zeit nicht mehr so rasend neugierig. Gefilmtes wirkliches Leben, Dokumentationen sind mir viel interessanter. Vor einiger Zeit lag mal eine Wurfsendung von zwei Filmemachern im Briefkasten, Die wollten über unseren – wie ein Schiff in der Brandung stehenden – Häuserblock und seine Menschen einen Film drehen. Das Echo war offensichtlich gering, wie ich auf Nachfrage erfuhr. Warum kann ich mir halbwegs erklären. Hier fühlen sich zu viele als Verlierer, obwohl es ihnen eigentlich ganz gut geht – den alten Genossen.

Alltagsdokus gab es früher viel öfter im Fernsehen. Jetzt sind sie zu Trash verkommen und laufen in den Privatsendern. Kürzlich gab es auf arte einen Dokumentarfilm aus der Schweiz über das Leben in einer ziemlich multikulturellen Kleingartenanlage bei Bern. Das war wunderbar traurig, skurril, sehr komisch zum Teil und immer an den Menschen dran. „Unser Garten Eden“ hieß er. Ein Welttheater in der Parzelle. Mit viel Liebe zu den dort ihre Gärten pflegenden Menschen.






rbb

Achso: Der Absolventenfilm soll den Titel tragen: „Dicker als Wasser“. Vielleicht läuft er ja mal im Spätprogramm unter irgendeiner neuen Rubrik.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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