Die Londonreise (2)

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Rundfahrten

Rundfahrten werden wie überall auf der Welt auch in Londonvon unterschiedlichen Gesellschaften angeboten.Wir buchten das hopp on- hopp-off-Programm einer solchen Gesellschaft. Dabei wurden wir neben der Grandiosität der Bauten auf die Tatsache aufmerksam, dass die Stadt im Gegensatz zum großklappigen Berlin auch deshalb eine Weltstadt ist, weil sie sich auf Menschen aus aller Welt wirklich einstellt. Und die meisten Menschen der Welt müssen mal aufs Klo. Es gehört zu den stilvollen und weltläufigen Seiten der Stadt, dass sie daraus kein Kapital schlägt wie ein Koofmich in Berlin und seine Gönner im Senat, sondern ihren Besuchern die Tatsache, dass sie eine Biologie haben, mit einem entsprechenden Angebot erleichtert. Das war die triviale Entdeckung. Und auch die höheren Bedürfnisse der Menschen wurden – in den meisten Fällen – kostenlos gedeckt. In den Museen ist der Eintritt auch kostenlos. Die Einwohner meinen, dies sei einer der Tricks von Tony Blair, sich beim Volke beliebt zu machen, aber was schert das die Touristen? Die folgen beglückt der kostenlosen Einladung. Die spirituelle Entdeckung war Westminister Abbey. Aber diese Nachbarschaft zwischen dem locus als Ort der biologischen Bedürfnisbefriedigung und dem genius loci von Westminster ist selbst mir als Trivialmensch zu trivial. Weshalb der Ton geändert und vielleicht eine neue Überschrift her muss .

Westminster Abbey – mit Meditation über die Aura

Ich bin kein „Sehmensch“ und darum durch Besichtigungen immer schnell ermüdet. Manchmal sogar schließe ich bei solchen Anlässen kurz die Augen, damit ich die Stimmung besser einfangen kann. Westminster Abbey – was soll man sagen ohne in einen Baedeker-Stil zu verfallen. Das Durchschreiten sakraler Räume ist eine Sache, die jeder zwischen sich und seinem spirituellen Selbst abmacht. Die architektonische Seite gehört zu den Dingen, vor denen ich mir Worte in Ehrfurcht versage. Alles great, great, great - Great Britain eben.

Aber die Poets-Corner muß schon Erwähnung finden mit den Gräbern und Memorials, all den berühmten Namen von Chaucer bis Jane Austen. Nicht alle, deren Namen in Poets Corner stehen, sind auch hier begraben, aber darauf kommt es nicht an. Sie sind da, weil wir wollen, dass sie jetzt „da“ sind in Westminster Abbey.

Elisabeth I. - im Stehen gestorben

Der Sarkophag der großen Elisabeth I. erinnerte mich an die Überlieferung, sie sei im Stehen gestorben und habe geklagt, dass es so lange dauere. Auch beim Sarg von Mary Queen of Scots durchschauert es einen. Aber hier vielleicht schon aus abgeleiteten „deutschen“ Gründen. Man denkt mehr an Schillers Maria Stuart. Die britische Geschichte ist wechselvoll, blutig, grausam, brutal, gewalttätig, auch heroisch und hin und wieder weise, wie die Welt eben ist. Aber sie hat ihren Platz in der Gegenwart und ist Gegenstand der Ehrfurcht vor den wechselvollen Zeitläuften, dem widerspruchsvollen Tun und Treiben, den Eitelkeiten der Menschen, ihren Taten und grandiosen Irrtümern. Deutschland ist ein historisch kaputtes Land – seine Geschichte ist vergiftet, darum fällt es so aus den Zeitläuften, ewig in Unruhe und ehrfurchtslos.

In einem Gang stieß ich auf die Gedenktafel für die im ersten Weltkrieg in Flandern gefallenen britischen Soldaten. Diese tiefe Vergangenheit stieß mich aus verschiedenen Gründen direkt in die Gegenwart. Ein preußischer Hauptmann, der mein illegitimer Großvater ist -berichtet in seinen Feldpostbriefen, wie sie in Belgien plötzlich den Engländer gegenüberstanden und gekämpft haben, Mann gegen Mann. Eine grausliche Episode. Die Kugeln klatschten und das Seitengewehr wütete.

Moderne Schlachten der Gegenwart

Hinaus in die Sonne, in die Gegenwart, in die Menschenmassen. Dort sind die modernen Schlachten gerade in Gang. Mitten im Alltag Londons geht’s es wie überall um das schnelle Vorankommen und die Frage, wer wem ausweicht. Seltsamerweise aber ging es hier entspannter zu als in der Stadt meiner Hassliebe in Deutschland. Es geht ja immer darum, ein wenig Platz für sich zu schaffen. Ein listiger Kämpfer kam des Weges, seit Wochen wahrscheinlich ungewaschen, verbreitete er einen derartigen Gestank, dass er keine Aura brauchte, man wich ihm aus – weiträumigst - wie man früher sicher auch den großen Herrschen ehrfurchtvoll auswich. Die Grundlage der Aura der historischen Gestalten der Vergangenheit waren Macht, Größe, Grausamkeit und Mut zur Einsamkeit der Entscheidungen. Des zeitgenössischen Kämpfers Verbündete im Kampf gegen ehrfurchtslose Zudringlichkeit waren mal wieder die Biologie, der Mut zur Einsamkeit auf dem Straßenpflaster sowie Gleichgültigkeit gegenüber der Gemeinschaft gewaschener Mitmenschen. Wie seltsam, es kommt alles immer wieder zusammen. Die Biologie und die Soziologie. Ach so und natürlich die Literatur – eine Dickensgestalt war er ja auch der streng riechende Zeitgenosse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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