Stolpersteine

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Datum hat sich zufällig ergeben, aber mir erschien es sehr sinnreich, dass die frühjährliche Putzaktion für die Stolpersteine rund um das Stadtteilzentrum am Teutoburger Platz am gestrigen Palmsonntag stattfand. Die 10 x 10 cm kleinen in die Steine eingelassenen Messingplatten sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig der sie in ganz Deutschland verlegt.

Überall dort, wo Menschen sichtbar an die Opfer der NS-Zeit erinnern wollen, sind sie zu finden. So auch in Berlin an vielen Stellen. Nur in München sind sie nicht erwünscht. Charlotte Knobloch, damals Präsidentin der lokalen Israelitischen Kultusgemeinde und des Zentralrats der Juden in Deutschland, befürchtete, dass Neonazis mit Springerstiefeln auf den Steinen herumtrampeln könnten oder Hunde sie beschmutzen. Über diese Entscheidung wird immer wieder kontrovers diskutiert. Auch in der Fernsehserie Lindenstraßespielte dies eine Rolle.

Da wo der Prenzlauer Berg an Berlin-Mitte stößt - zwischen Fehrbelliner, Choriner, Christinen- und Torstraße - wohnten einmal viele jüdische Familien, die in der Nazizeit verschleppt und ermordet wurden. Einen Stolperstein initiieren und finanzieren oft Hinterbliebene des Holocaust im Gedenken an ihre Familienmitglieder, Bewohner des Viertels, die sich an einstige jüdische Nachbarn erinnern. Und engagierte Bürger oder Wissenschaftler historische Forscher, wie Melitta Rheinheimer, die sich mit Familiengeschichten in der Gegen ausführlich beschäftigt hat und darüber interessant und lebhaft berichtet. Oder Schüler – wie demnächst vom John Lennon Gymnasium – bereiten die Stolpersteine mit vor sammeln für die Verlegung, forschen über das Schicksal derer, die sie mit ihrer Aktion ins Gedächtnis rufen wollen nach.

Der Frauenbeirat Pankow ist Stolperstein-Pate

Die Messingplatten dunkeln nach dem langen Winter nach, sie sind verschmutzt und fallen nicht mehr auf. Mit der Übernahme einer Patenschaft für die Steine ist darum die Verpflichtung verbunden, sie ein bisschen im Auge zu behalten und hin und wieder auch zu putzen. Das ist mit einem ganz normalen Haushaltsreiniger möglich. Die gestrige gemeinsame Putzaktionen begannen wir bei der Familie Ibermann in direkter Nachbarschaft des Stadtteilzentrums, das früher einmal ein jüdisches Kinderheim war. https://lh4.googleusercontent.com/_Sc4ZfO5dTTA/Tavg3YRPAsI/AAAAAAAACEQ/DCAvJekTjIY/s400/Taube%20Ibermann%20sch%C3%B6n.jpg

Spannend war es in der Zolastraße, wo Steine für den Ökonomen Fritz Sternberg , den Juristen Hans Litten und den Schriftsteller Max Fürst gelegt sind. https://lh4.googleusercontent.com/_Sc4ZfO5dTTA/Tavgrf43-gI/AAAAAAAACD0/3fk0x8D7fsc/s400/Sternberg%20Litten%20F%C3%BCrst.jpg

Sie lebten hier und waren vielleicht ein Anlaufpunkt für Alfred Döblin, dessen Roman „Berlin Alexanderplatz“ gewissermaßen um die Ecke spielt. Auch ein Mann wie Bertolt Brecht könnte dort zu Gast gewesen sein. Als wir an unserem Stolperstein im Eckhaus Christinenstraße/Lottumstraße ankommen, treffen wir auf

Eva Nickel. https://lh6.googleusercontent.com/_Sc4ZfO5dTTA/Tavgofh5NUI/AAAAAAAACDo/c50UdkQgW8s/s400/Ruth%20und%20Gittel%20S%C3%BCssmann.jpg

Es sind ihre Halbgeschwister Ruth und Brigitte Sussmann, derer hier an diesem Eingang gedacht wird. Sie waren noch klein, als ihre Mutter sie bei anderen Menschen versteckte, aber sie sie wurden verraten und deportiert.

Wir reinigen die Steine. https://lh6.googleusercontent.com/_Sc4ZfO5dTTA/TavgjcvtAwI/AAAAAAAACDc/tbDPB-N9fe4/s400/Magda%20am%20Stein%20Martha%20S.jpg

Eva Nickel sagte einmal, sie selbst würde das nie tun, denn es seien für sie zu schmerzliche Assoziationen damit verbunden.

Ich denke wieder an den Palmsonntag. Mir scheint es wie ein protestierender Gegenentwurf zum christlichen Kreuzweg, dieses Wandern von Stolpersteinen zu Stolpersteinen. Ein nachhaltiges finsteres Erbe des Christentums ist der Antijudaismus, der Antisemitismus. Noch meine Mutter, die in der Nazizeit eingesperrt war, zitierte als gute Katholikin immer mal wieder entsprechende Textstellen aus dem Neuen Testament, die – wie sie meinte – die Schuld der Juden an Christi Tod belegten.

Die Nazis konnten an sehr gefestigten Feindbildern anknüpfen, als sie die Judenvernichtung zu ihrem Programm machten. Eva Nickel hat Recht. Sie hat die Steine initiiert, sie hält die Erinnerung an ihre ermordeten Familienmitglieder wach, sie berichtet über deren Schicksal. Die alltägliche Pflege ist nicht ihre Aufgabe, sie obliegt uns allen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden