Es folgt die Stunde der Nullität, sach isch mal

Politsatire Freitag-Autor Magnus Klaue über das Ende von Horst Schlämmer, das Spaßwahlkämpfer-Alter-Ego des Komikers Hape Kerkeling und den Untergang von Martin Sonneborn

Vielleicht lasse ich ihn wirklich sterben“ – mit diesen Worten hat Hape Kerkeling im Spiegel das Ende seines noch recht jungen Alter Ego Horst Schlämmer angekündigt. Wir erinnern uns: Schlämmer war als Grevenbroicher Lokaljournalist zur Welt gekommen, der seine Interviewpartner nicht nur mit Schmerbauch, Alkohol­geruch und Sprachfehlern, sondern vor ­allem mit seinen unorthodoxen ­Gesprächsmethoden („Immer janz discht dran und knallhart nachjefracht“) nervte. Als er sich diesen Sommer für den Film Horst Schlämmer – Isch kandidiere! zum Politiker gemausert hatte und in den Vorwahlkampf zog, um Stimmen für die Horst-Schlämmer- Partei (HSP) zu sammeln, provozierte er damit – wie Kerkeling später zugab – beim deutschen Publikum eine Mischung aus „Total-Ahnungslosigkeit“ und „Volksverhetzung“. Viele der eingeholten Statements seien wegen ihrer Dummheit und Geschmacklosigkeit für den Film nicht verwendbar gewesen: „Unmöglich, so etwas als Beispiel ­deutscher Politik zu zeigen.“

Nun wäre es zwar vielleicht schockierend, aber im Sinne politischer Auf- klärung interessant gewesen, solche ­Einblicke in den geistigen Haushalt der ­Nation zugänglich zu machen, statt Selbstzensur auszuüben. Doch wie die meisten Spaßwahlkämpfer, die immer wieder einmal antreten, um den demokratischen Entscheidungsprozess ­seiner allseits erkennbaren Scheinhaftigkeit zu überführen, steht Kerkeling im Herzen auf Seiten derer, die er in seinen Filmen vorführt. Das war schon in seinen Juxen mit Prominenten so, und auch als Horst Schlämmer hat er sich an dieses Prinzip gehalten. So intelligent und anarchisch Kerkelings Komik gegenüber den allein auf Schaden­freude abzielenden Gags von Sendungen wie Verstehen Sie Spaß sein mag, sie wird doch wie alles, was im Fernsehen läuft, nicht gegen, sondern für das ­Publikum produziert. Sich darüber zu amüsieren, dass man selbst womöglich fast genau so dumm ist wie die Mehrheit, die Kerkelings Politclown un­besehen jedes Wort glaubt, vermittelt längst keinen Erkenntnisschock mehr, sondern gehört zu den Alltagserfahrungen des Gewohnheitszuschauers, der sich in den Talkshows der Privaten versichern kann, dass die Menschen immer noch ein wenig tumber sind, als er ­ohnehin geglaubt hat.

Beunruhigender als Horst Schlämmer war da schon der Wahlkampf der ­PARTEI des Ex-Titanic-Redakteurs ­Martin Sonneborn. Hier bewarb sich eine Gruppe um Anerkennung, die ­reguläre Kandidaten, ein eigenes Büro und ein mit Fleiß und Sorgfalt ausge- arbeitetes Programm vorweisen konnte. Die Komik der PARTEI resultierte nicht, wie bei Schlämmer, aus parodistischer Übertreibung und zielte auch nicht ­darauf ab, die Wähler als Idiotenhorde vorzuführen. Vielmehr entstand sie ­gerade aus der Ernsthaftigkeit, mit der Sonneborns Kandidaten ein Programm vertraten, das in punkto „Nullität“ ­(Hegel) von denen der „echten“ Parteien kaum zu unterscheiden war.

Gerade darum wurden sie wohl nicht zugelassen. Sonneborns Genossen wollen sich diese Entscheidung nicht gefallen lassen und haben angekündigt, sich bei der nächsten Versammlung ihres Berliner Landesverbandes zu reorganisieren. Kerkeling dagegen hat verkündet, nicht nur Schlämmer, auch er selbst werde sich bald zurückziehen: „Mit 50 ist Schluss.“ Danach möchte er nur noch Bücher schreiben, denn: ­„Schreiben ist Ganz-bei-sich-sein.“ Der Dalai Lama könnte es nicht schöner sagen

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