Mitleid

Linksbündig Das Ende von Adolf Merckle

Mit dem Selbstmord des Milliardärs Adolf Merckle, dem laut Forbes-Liste fünftreichsten Deutschen, hat die Finanzkrise zur verschämten Genugtuung der Medienöffentlichkeit ihr vermeintlich erstes Opfer hervorgebracht. Merckle, der im Oktober vergangenen Jahres durch Fehlspekulationen mit Volkswagen-Aktien eine Milliarde Euro verloren hatte und bereits den Verkauf seines Unternehmens Ratiopharm erwog, hatte sich kürzlich wegen des drohenden Niedergangs seines Unternehmensimperiums vor einen Zug geworfen. Er war, wie das Handelsblatt aus Anlass des finanziellen Kollapses im Oktober zu Recht hervorhob, alles andere als der Prototyp des hierzulande gern geschmähten volksfernen Spekulanten, sondern eher Relikt eines großbürgerlichen Unternehmertums, das seine ökonomische Vormachtstellung über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus in der Bundesrepublik zu sichern vermochte.

Merckles "Imperium" hat sich aus der Form des Familienunternehmens entwickelt. Den Arzneimittelbetrieb in Blaubeuren, aus dem er es aufbaute, hatte er von seinem Vater geerbt. Trotz des Geflechts an Beteiligungen und Übernahmen, dem Merckle sein Vermögen verdankte, hat er sich selbst an den Prinzipien des Familienbetriebs orientiert. Merckles Frau sowie seine drei Söhne und seine Tochter sind auf verschiedene Weise in sein Unternehmen eingebunden, außerdem war er als Mitglied der evangelischen Gemeinde, als Förderer der Gesellschaft für Arterioskleroseforschung sowie im Denkmalschutz aktiv. Zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz und eine Ehrendoktorwürde in Medizin, vervollständigen das Bild eines kultivierten Honoratioren, der im Geiste protestantischer Arbeitsethik Verschwendung gehasst und an die kulturelle und soziale Verantwortung der ökonomisch Privilegierten geglaubt hat. Was ihm im vergangenen Jahr widerfuhr, muss Adolf Merckle als moralischer Bankrott erschienen sein.

Obwohl nach seinem Tod die pietätvoll gedämpften Stimmen überwiegen, ist der Widerspruch zwischen seinem fast anachronistischen ökonomischen Ethos und seinem Niedergang als Börsenhasardeur zu Merckles Lebzeiten kaum wahrgenommen worden. Angesichts seines Beinahe-Bankrotts im vergangenen Jahr waren sich vielmehr Kommentatoren und Publikum der bürgerlichen wie der linken Presse weitgehend einig, dass ein solcher Abzocker nichts anderes verdient habe. Während sich etwa der Tagespiegel im Hauptblatt mit der dezenten Feststellung begnügte, es gebe "keinen Grund", mit diesem "Spekulanten", der "ganz groß dabei" gewesen sei, "Mitleid zu haben", schimpfte der Leserbrief-Mob, der qua Internet bekanntlich die letzten Hemmungen verliert, ganz offen auf die "Raffkes", deren Mißerfolg "Schadenfreude" hervorrufe, weil sie "das Geld des Normalbürgers" verpulverten: "Soll er doch Pleite gehen ... Mit mir hat auch keiner Mitleid gehabt".

Statt sinnvolle Fragen an die Geschichte von Merckles Unternehmen zu stellen - zu seinem Selbstverständnis gehörte nicht zuletzt der Status seiner Familie als "Vertriebene" -, war sein drohender Bankrott ausschließlich Anlass für Neidbeißerei, von der sich nicht mehr sagen ließ, ob sie "linker" oder "rechter" Provenienz sei; das gesunde Volksempfinden hat hierzulande noch stets alle politischen Gegensätze versöhnt. Wahrscheinlich hat der Protestant Merckle mit seiner Vorliebe für ehrenamtliches Engagement und Bürgersinn das volksdeutsche Ressentiment, das ihm am Ende entgegenschlug, sogar nachvollziehen können, entstammte es sich doch dem Geist, in dem er erzogen worden war. Dass er aus Leiden an diesem Widerspruch schließlich tat, was viele ihm heimlich oder offen wünschten, könnte fast als tragisch bezeichnet werden, läge darin nicht ebenjener Anklang der Sinnhaftigkeit, die sein Tod dementiert.

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