Dem Alltag einen Zauber entlocken

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Längst habe ich zu viele Accounts bei allen möglichen Social-Media-Anbietern und meine Hemmschwelle, neue Tools auszuprobieren ist mittlerweile hoch geworden. Da ich Bilder, die ich unterwegs gemacht habe – viele waren es ohnehin nicht – bei twitpic veröffentlichte, schenkte ich Instagram nicht viel Aufmerksamkeit, als die ersten damit erstellten Fotos in meiner Twitter-Timeline und auf Facebook auftauchten. Die Bilder sahen aber irgendwie hübscher aus als die üblichen mit einem Mobiltelefon geknipsten, und da die Anwendung umsonst war, lud ich sie in einem schwachen Moment doch auf mein iPhone.

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Instagram gibt es seit Anfang Oktober. Die Betreiber fanden, dass die Mobiltelefonfotos mangels technischer Möglichkeiten meist nicht sehr schön waren und entwickelten ein Programm mit mehreren Filtern, die man auf bereits erstellte Bilder legen konnte. Sie tragen Namen wie Lomo-fi, Earlybird, Toaster, Apollo, Gotham oder 1977 und sind in ihrer Ausführung different und vor allem wirkungsvoll. Vermutlich am interessantesten sind die Retro-Filter, die den Fotos jenen Charme längst verblasster Aufnahmen aus den 70er Jahren geben: Abbildungen von heute wirken wie aus der Zeit gefallen und erfahren eine romantische Verklärung.

Das Ungewöhnliche an Instagram: Es gibt keine Nutzerprofile, auf die man per Browser zugreifen kann. Zwar ist jedes Bild – so man den Link dazu weiß – abrufbar, aber nur mit der auf dem iPhone installierten Anwendung kann man sich durch die Sammlungen der einzelnen Nutzer scrollen. Die Verbreitung von Instagram-Bildern im Netz findet lediglich über die Einbettung in irgendwelche Accounts anderer Anwendungen statt, die direkt aus Instagram heraus vorgenommen werden kann, sei es Twitter, Facebook, Flickr, Posterous, Tumblr oder Foursquare. Man kann außerdem jedem Bild den Ort hinzufügen, an dem man es aufgenommen hat.
Möchte man dennoch eine mittels Browser erreichbare Sammlung all seiner Instagram-Bilder anlegen, kann man hierfür beispielsweise ein Tumblr-Blog anlegen.

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Mit meinem Telefon – und nur damit – kann ich also plötzlich auf einen Mikrokosmos zugreifen. Der gar nicht mehr so mikro ist, denn immerhin hat Instagram bereits über eine Million Anwender. In dieser Welt bestaune ich nun jeden Tag viele unterschiedliche Miniaturen. Zwar ist meine Wahrnehmung flüchtig, schnell sind Herzchen als Zeichen der Anerkennung vergeben, aber es ist, als begebe man sich mehrmals täglich hinein in eine kurze Seelensofortaufhellung, indem man sich Bilder in seiner Timeline oder auf den Profilen anderer User anschaut.
Darüber hinaus gibt es eine Seite mit den "besten Bildern" – wobei es sich hier um jene handelt, welche die meisten Herzchen erhalten haben. Klar, dass die Nutzer mit den meisten Freunden viel schneller hier auftauchen und somit eine Anzeige in diesem Bereich nicht unbedingt auch den besten Bildern vorbehalten bleibt.
Ich vermisse außerdem die Möglichkeit, mich durch die Bilder zu scrollen, denen ich irgendwann einmal ein Herzchen gegeben habe. Da die Anwendung aber noch sehr neu ist, bin ich mir sicher, dass diese Funktion bald kommen wird.

Ich benutze Instagram seit etwa einem Monat und bereits jetzt hat sich mein Blick auf mein – meist banales – tägliches Umfeld geändert. Ich achte viel mehr auf Formen, auf mögliche Bildausschnitte, auf seltene Momente wie beispielsweise Wolkenformationen oder Lichter. Mit Hilfe der unterschiedlichen Filter gelingt es auf simple Weise, den vermeintlichen Alltag so zu manipulieren, dass man ihm einen Zauber entlocken kann. Vielleicht ist das ja der Hauptgrund für den Erfolg des Ganzen.

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(Instagram ist leider nur für das iPhone erhältlich und Anwendungen für andere Telefone sind momentan auch noch nicht geplant. Weitere Informationen gibt es in den FAQ.)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank