Alle Fische im Meer. Das Anthropozän in unserem Kopf.

Kapital-Linien im Sandstein. Der Schlüssel zum Verständnis unserer Zeit liegt im grenzenlosen Umbau des Planeten Erde durch kapitalisierte Entwicklung. Die goldene Markierung zur unvermeidbaren Transformation finden wir in unseren Köpfen.

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Alle Fische im Meer,

die Vögel am Himmel, jede Mikrobe im Boden und die Tiere auf dem Land wiegen weniger als die Gesamtmasse der Dinge, die Menschen geschaffen haben.

Eindrückliche Beweise dafür, dass Menschen den Planeten verändern, sind nicht schwer zu finden.

Vor einem Monat lehnten Geologen einen Vorschlag ab, den Abschied des Planeten Erde aus dem Holozän der letzten 11.700 Jahre zu datieren, der relativ stabilen Epoche, in der ein mildes Klima das Gedeihen der Agrarkulturen und den Aufstieg von Zivilisationen ermöglichte, und den Beginn einer gefährlicheren Ära, die geprägt ist von menschliche Bestrebungen: das Anthropozän.

In dieser scheinbar akademischen Diskussion liegt der Schlüssel zum Verständnis unserer Zeit.

„Eine neue Epoche braucht einen Starttermin“, sagen die Geologen Simon Turner (UCL), Colin Waters (Universität Leicester), Jan Zalasiewicz (Leicester) und Martin J. Head (Brock University). Nach 15 Jahren der Debatte entschied sich eine führende Expertengruppe für die 1950er Jahre. Ihre Beweise? Bemerkenswert ungestörtes Sediment am Grund eines abgelegenen Sees in Kanada, das eine makellose Aufzeichnung der letzten Jahrhunderte menschlicher Aktivitäten sowie der ferneren Vergangenheit liefert.

Radioaktive Isotope, die sich aus der Luft in diesem Sediment niedergelassen hatten, lieferten den entscheidenden Beweis – oder vielmehr das „goldene Merkmal“: eine Markierung, die den Übergang von einem geologischen Zeitalter zum nächsten ankündigt. Nur Menschen könnten einen solchen Fingerabdruck hinterlassen haben, der auf den Puls thermonuklearer Bombentests nach dem Zweiten Weltkrieg hinweist.

Eine Linie in den Sandstein zeichnen.

Erle C. Ellis, Professor für Geographie und Umweltsysteme an der University of Maryland, ist ein prominenter Theoretiker des Anthropozäns.

„Wenn es einen Hauptgrund dafür gibt, dass Geologen diesen Vorschlag abgelehnt haben, dann ist es, dass sein aktuelles Datum und seine geringe Tiefe zu eng sind, um die tieferen Beweise für vom Menschen verursachte Veränderungen auf dem Planeten zu erfassen“, sagt er.

Ein Geologe, Bill Ruddiman, brachte es deutlicher auf den Punkt: „Ist es wirklich sinnvoll, den Beginn eines vom Menschen dominierten Zeitalters zu definieren, Jahrtausende, nachdem die meisten Wälder in Ackerregionen für die Landwirtschaft abgeholzt wurden?“

Andere Wissenschaftler, die geologische Abgrenzungen in der langen Erdgeschichte untersuchen, sind anderer Meinung. Turner und sein Team argumentieren, dass der menschliche Einfluss auf den Planeten seit 1950 außergewöhnlich ist. Ein Beispiel unter vielen: Die Treibhausgasemissionen nehmen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts rapide zu und führen die Menschheit in unbekanntes Terrain.

„Die Bedeutung für uns alle besteht natürlich darin, dass die nahezu vertikalen aktuellen Trends in diesen Diagrammen größtenteils immer noch ansteigen und uns in eine neue Art von Planeten hinein-zoomen“, sagen sie.

Wieder andere Theoretiker lehnen die Vorstellung des Anthropozäns von einer allgemeinen menschlichen Kraft ab, sie spezifizieren individuelle Bedingungen und Personengruppen, die gleichermaßen für die Umgestaltung der Erde verantwortlich sind. Eine Alternative, „Kapitalozän“, erkennt das System an, das die meisten menschlichen Aktivitäten seit (mindestens) der industriellen Revolution organisiert hat.

Eine weitere Abstimmung über die Anerkennung einer neuen Epoche ist in diesem Jahrzehnt unwahrscheinlich. Ellis sagt, dass Wissenschaftler sich damit begnügen werden, das Anthropozän als ein Ereignis zu definieren, das analog dem „Großen Oxidationsereignis“ ist. 'The Great Oxidation Event' begann vor 2,5 Milliarden Jahren und dauerte 70 Millionen Jahre an, aber seine Folgen sind überall um uns herum zu spüren.

Diese Veränderung in der Luft, im Wasser und in den lebenden Bestandteilen der Erde wurde von mikroskopisch kleinen einzelligen Organismen namens Cyanobakterien herbeigeführt, sie leisteten damit Pionierarbeit bei einer Methode zur Gewinnung von Nahrung aus der Sonne, die Nachfolge-Fauna heute weiterführen.

Das Nebenprodukt dieses Prozesses namens Photosynthese war Sauerstoff.

„Das große Oxidationsereignis erinnert uns an eine Zeit, als das Leben auf der Erde unkontrollierte Mengen an ‚Abgas‘ in die Atmosphäre pumpte“, sagt Matthew Warke, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Geochemie an der University St Andrews.

„Während dies letztendlich die Entwicklung komplexer Lebewesen wie des Menschen erleichterte, veränderte es den Lauf der Erdgeschichte für immer.“

Die Gott-Spezies.

Menschliche Aktivitäten haben die wärmespeichernde Gas-Schichtung in der Erdatmosphäre um 50 % verdickt – und das erst seit relativ kurzer Zeit. Der größte Teil der Emissionen sind statistisch seit Juli/August 1989 aufgetreten; damals wurde im deutschen Fernsehen das Folgende ausgestrahlt … zur Erinnerung, das ist nicht so lange her … hahaha

http://retro-media-tv.de/tvp/80/1989/19890828.htm

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„Eine fein ausbalancierte Planetenmaschinerie regelmäßiger, mehrere Jahrtausende andauernder Variationen in der Rotation und Umlaufbahn der Erde hat über Millionen von Jahren hinweg streng kontrollierte Muster von Wärme und Kälte“, sagen Turner und Zalasiewicz sowie Jens Zinke und Mark Williams, Professoren für Paläobiologie an der Universität Universität Leicester.

„Jetzt wurde diese Kontrollmaschinerie plötzlich außer Kraft gesetzt, indem in etwas mehr als einem Jahrhundert eine Billion Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre injiziert wurde.“

Dieses „gegenwärtige, jetzt plötzlich gestörte Klimamuster besteht seit mindestens 50.000 Jahren und wahrscheinlich noch viel länger“, fügen sie hinzu. Menschliches Handeln über mehrere Generationen hinweg hat die nächste Eiszeit erheblich verzögert.

Das Studium der erdgeschichtlichen Zeitläufe und ihrer Aufzeichnungen in der Erdkruste ist eine demütigende Übung, aber wir sollten uns dadurch nicht hilflos fühlen. Ganz im Gegenteil, sagt Soren Brothers von der University of Toronto, der Seen wie den untersucht, in dem nach Ansicht einiger Wissenschaftler der Marker für das Zeitalter des Menschen liegt.

Seen, die mit künstlichen Nährstoffen aus landwirtschaftlichen Düngemitteln überschwemmt werden, werden in einen neuen Zustand übergehen, so wie es mit unserem kohlenstoffhaltiges Klima bereits geschehen ist. Von klarem Wasser mit Fischen, Pflanzen und Amphibien bis hin zu einer trüben und nicht mehr atmenden ‚Suppe‘ kann es Jahrzehnte dauern, bis Seeökosysteme ihren vorherigen Zustand wiedererlangen, sagt er, aber Abhilfemaßnahmen können immer noch zu schnellen Verbesserungen führen – umso mehr, je früher sie beginnen.

Das Gleiche, so argumentiert Brothers, werde auch für unser ‚System Erde‘ mit seinen Subsystemen gelten – auch wenn es Jahrhunderte statt Jahrzehnte dauern würde.

Im Wesentlichen hat sich an dem Grundsatz, dass das, was wir heute tun, die Optionen der Zukunft anreichert oder verringert, vielleicht ausschließt, nicht geändert; nach wie vor wird Mensch wohl das Anthropozän gestalten, und es möglicherweise beenden.

Kevin Collins, Dozent für Umwelt und Systeme an der Open University, kam zu einem ähnlichen Schluss, nachdem er jahrelang darüber nachgedacht hatte, was es bedeutete, in ein neues Kapitel in der Erdgeschichte eingetreten zu sein, das hauptsächlich von Menschenhand geschrieben wurde.

„Ich kam zu dem Schluss, dass das Wesentliche, was am Anthropozän wirklich zählt, darin besteht, dass es uns als Teil der Mensch-Erde-Dynamik neu definiert“, sagt er.

„Der Beweis für das Anthropozän liegt nicht im Boden oder im Schlamm. Die goldene Markierung befindet sich in unseren Köpfen.“

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https://theconversation.com/the-anthropocene-already-exists-in-our-heads-even-if-its-now-officially-not-a-geological-epoch-226554

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Überarbeitet aus dem Englischen, nach Jack Marley, unter Einsatz von google translate

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manfred staab 04 April 2024

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man.f.red

„Wenn einer, der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, daß er ein Vogel wär, so irrt sich der.“ ... permakultur@startmail.com

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