Mißbrauchs-Geometrie

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Nun ist es raus: weit über zwei Drittel der Deutschen glauben doch tatsächlich, daß es auch außerhalb katholischer Internate Mißbrauch an Jugendlichen gibt. Da haben sich nun viele viele Generationen gänzlich ohne derartige Dinge wie Mißbrauch vermehrt, und nun outet sich die Bevölkerung nach ARD-Sonntags-Umfrage nahezu als sachkundig in diesen Fragen - unglaublich..

Wer spricht da? Sind es eigene Erfahrungen, über die man so sonst nicht spricht oder gar nicht sprechen kann? Sicher spielt auch die Erfahrung eine Rolle, daß in der Regel die eigene Hilflosigkeit das Problem ist und nicht die Art des Raumes, der kein Entweichen ermöglicht, auch wenn immer wieder Konstellationen entstehen, die eher für eine Gelegenheit des Täters sprechen, als für den Schutz des Opfers.
So kann alles zusammenkommen, was man sich denken kann, wie Internat, Straßenbahn, Holzhütte, Wald, Bahnhofsklo, Park, Straße, Werkstatt oder - das Ankleidezimmer bei Tante XY.

Kein Ding und kein Ort sind sicher, wenn wir "es" und "ihn" nicht selbst begreifen können.

Wie aber verhält es sich mit dem Märchen von Rotkäppchen, welches auf einem Wege durch den (schützenden?) Wald läuft? Die Gefahr ist von vornherein als eine solche von Punkt A nach Punkt B benannt. Das Rotkäppchen glaubt, am Hause der Großmutter angekommen sicher zu sein, denn dort endet ja die Gefahr, vom Wege abzuweichen. Welch gedankliche Fehlleistung! So erleben wir es auch heute.

Wer hat behauptet, daß die Großmutter nur deshalb so gefräßig auf Mädchen sei, weil aus ihr "der Wolf spricht"? Gibt es hier vielleicht sogar noch einen viel fürchterlicheren Ansatz, als wir jemals glaubten? Ist es nicht vielmehr so, daß hier ein Konkurrenzverhalten vorliegt, in welchem das Rotkäppchen in jedem Falle das Opfer wird? Sowohl der Wolf als auch die Großmutter sind wegen der Größenverhältnisse in der Lage - "es" zu fressen.
Sie ist immer die Kleine, die gefressen wird - das klassische Opfer.
Wird hier nur verschlüsselt vorgeführt, wie der Wolf schneller als die Großmutter war?

Zurück zum Alltag. Um modern geführte Internatseinrichtungen mit Internet, gleichaltrigen Gruppen und anderem modernen Tralala hätte ich weniger Bange. Eher fördern solche Einrichtungen den Missbrauch, in denen die "Sozialisierung" Unterordnungs-Spiele abverlangt und keine verteilten Kommunikations-Strukturen existieren, die eine angemessene Information um das Miteinander ermöglichen. Und gerade bei der Frage, was denn der Staat an Unterordnung oder Sozialisierung von seinen Bürgern abverlangt, sollten diese mitreden.

Überall - bei der Gewaltdebatte, beim Datenschutz - überhaupt bei den Freiheiten, die wir opfern, um wildfremden Datensammel-Freaks Beschäftigung zu sichern, an Flughäfen Kamera-Voyeuren Freude zu bereiten usw. - so oder so ist die Liste endlos und heißt auch manchmal "ELENA".

Jedoch und immer dann, wenn wir uns täuschen und einlullen lassen - als Kind oder als Erwachsener - räumen wir anderen Individuen fragwürdige Sicherheitsrechte ein. Wir gestatten in einer wie auch immer gearteten Benebelung oder Blindheit anderen, intimes Wissen über uns zu sammeln, uns zu begutachten, uns zu filmen, unsere Krankentage oder Verfehlungen zu sammeln. Wir stimmen dem zu, obwohl dieses intime Wissen wiederum für weiteren Mißbrauch an uns oder anderen verwendet werden kann. Es entsteht eine wilde Sammelei im Namen des Mißbrauchs, die weiteren Mißbrauch fördert und dadurch oft mehr schadet, als nützt.

Pflegen wir also unseren Glauben nicht nur, sondern sprechen darüber. Vielleicht ist dies der beste Schutz.

aktuell zum Thema:

08.03.2010 | 12:47 Das Böse ist Grau und wächst im Dorf

und dies ein Jahr zuvor:

10.03.2009 | 22:12 Pornografisch für Anfänger

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Geschrieben von

manstruator

Der Dummheit hat die Natur keine Grenzen gesetzt - sie ist menschlich.

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